"geschwebt"? Und fest geglaubt, daß er den Traum erlebe? - Nehmen wir es uns doch vor, die Musik ihrem Urwesen zurückzuführen; befreien wir sie von architektonischen, aku - stischen und ästhetischen Dogmen; lassen wir sie reine Er - findung und Empfindung sein, in Harmonien, in Formen und Klangfarben (denn Erfindung und Empfindung sind nicht allein ein Vorrecht der Melodie); lassen wir sie der Linie des Regenbogens folgen und mit den Wolken um die Wette Sonnenstrahlen brechen; sie sei nichts anderes als die Natur in der menschlichen Seele abgespiegelt und von ihr wieder zurückgestrahlt; ist sie doch tönende Luft und über die Luft hinausreichend; im Menschen selbst ebenso uni - versell und vollständig wie im Weltenraum; denn sie kann sich zusammenballen und auseinanderfließen, ohne an Intensität nachzulassen.
In seinem Buche "Jenseits von Gut und Böse" sagt Nietzsche:
Das Zitat umfasst den gesamten Abschnitt Nr. 255. Busonis Zitierpraxis (bzw. die des Verlages) folgt in Orthographie und Interpunktion den bis 1906 verfügbaren Ausgaben recht frei; wir weisen nur bedeutendere Abweichungen von der Erstausgabe nach.
"Gegen die deutsche Musik halte ich mancherlei Vorsicht für geboten. Gesetzt, daß man Bei Nietzsche 1886 (219): ,Einer'. den Süden liebt, wie ich ihn liebe, als eine große Schule der Genesung, im Geistig - sten und Sinnlichsten, als eine unbändige Sonnenfülle und Sonnenverklärung, welche sich über ein selbstherrliches, an sich glaubendes Dasein breitet: nun, ein solcher wird sich etwas vor der deutschen Musik in acht nehmen lernen, weil sie, indem sie seinen Geschmack zurückverdirbt, ihm die Ge - sundheit mit zurückverdirbt.
Ein solcher Südländer, nicht der Abkunft, sondern dem Glauben Bei Nietzsche 1886 (220),Glauben' mit Hervorhebung. nach, muß, falls er von der Zukunft der Musik träumt, auch von einer Erlösung der Musik vom Norden träumen und das Vorspiel einer tieferen, mächtigeren, viel-
„geschwebt“? Und fest geglaubt, daß er den Traum erlebe? – Nehmen wir es uns doch vor, die Musik ihrem Urwesen zurückzuführen; befreien wir sie von architektonischen, aku - stischen und ästhetischen Dogmen; lassen wir sie reine Er - findung und Empfindung sein, in Harmonien, in Formen und Klangfarben (denn Erfindung und Empfindung sind nicht allein ein Vorrecht der Melodie); lassen wir sie der Linie des Regenbogens folgen und mit den Wolken um die Wette Sonnenstrahlen brechen; sie sei nichts anderes als die Natur in der menschlichen Seele abgespiegelt und von ihr wieder zurückgestrahlt; ist sie doch tönende Luft und über die Luft hinausreichend; im Menschen selbst ebenso uni - versell und vollständig wie im Weltenraum; denn sie kann sich zusammenballen und auseinanderfließen, ohne an Intensität nachzulassen.
In seinem Buche „Jenseits von Gut und Böse“ sagt Nietzsche:
Das Zitat umfasst den gesamten Abschnitt Nr. 255. Busonis Zitierpraxis (bzw. die des Verlages) folgt in Orthographie und Interpunktion den bis 1906 verfügbaren Ausgaben recht frei; wir weisen nur bedeutendere Abweichungen von der Erstausgabe nach.
„Gegen die deutsche Musik halte ich mancherlei Vorsicht für geboten. Gesetzt, daß man Bei Nietzsche 1886 (219): ‚Einer‘. den Süden liebt, wie ich ihn liebe, als eine große Schule der Genesung, im Geistig - sten und Sinnlichsten, als eine unbändige Sonnenfülle und Sonnenverklärung, welche sich über ein selbstherrliches, an sich glaubendes Dasein breitet: nun, ein solcher wird sich etwas vor der deutschen Musik in acht nehmen lernen, weil sie, indem sie seinen Geschmack zurückverdirbt, ihm die Ge - sundheit mit zurückverdirbt.
Ein solcher Südländer, nicht der Abkunft, sondern dem Glauben Bei Nietzsche 1886 (220)‚Glauben‘ mit Hervorhebung. nach, muß, falls er von der Zukunft der Musik träumt, auch von einer Erlösung der Musik vom Norden träumen und das Vorspiel einer tieferen, mächtigeren, viel-
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„geschwebt“? Und fest geglaubt, daß er den Traum erlebe? –
Nehmen wir es uns doch vor, die Musik ihrem Urwesen
zurückzuführen; befreien wir sie von architektonischen, aku -
stischen und ästhetischen Dogmen; lassen wir sie reine Er -
findung und Empfindung sein, in Harmonien, in Formen
und Klangfarben (denn Erfindung und Empfindung sind
nicht allein ein Vorrecht der Melodie); lassen wir sie der
Linie des Regenbogens folgen und mit den Wolken um die
Wette Sonnenstrahlen brechen; sie sei nichts anderes als
die Natur in der menschlichen Seele abgespiegelt und von
ihr wieder zurückgestrahlt; ist sie doch tönende Luft und über
die Luft hinausreichend; im Menschen selbst ebenso uni -
versell und vollständig wie im Weltenraum; denn sie kann
sich zusammenballen und auseinanderfließen, ohne an
Intensität nachzulassen.
In seinem Buche „Jenseits von Gut und Böse“ sagt
Nietzsche:
„Gegen die deutsche Musik halte ich mancherlei Vorsicht
für geboten. Gesetzt, daß man den Süden liebt, wie ich
ihn liebe, als eine große Schule der Genesung, im Geistig -
sten und Sinnlichsten, als eine unbändige Sonnenfülle
und Sonnenverklärung, welche sich über ein selbstherrliches,
an sich glaubendes Dasein breitet: nun, ein solcher wird sich
etwas vor der deutschen Musik in acht nehmen lernen, weil
sie, indem sie seinen Geschmack zurückverdirbt, ihm die Ge -
sundheit mit zurückverdirbt.
Ein solcher Südländer, nicht der Abkunft, sondern dem
Glauben nach, muß, falls er von der Zukunft der Musik
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Christian Schaper, Maximilian Furthmüller, Theresa Menard, Vanda Hehr, Clemens Gubsch, Claudio Fuchs, Jupp Wegner, David Mews, Ullrich Scheideler: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2019-05-27T13:49:52Z)
Benjamin Fiechter: Konvertierung ins DTA-Basisformat
(2019-05-27T13:49:52Z)
Weitere Informationen:
Textgrundlage von 1906 von Busoni hauptsächlich 1914 überarbeitet. Gedruckt 1916 in Altenburg; erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig als Nr. 202 der Insel-Bücherei.
Druckfehler: dokumentiert;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
langes s (ſ): als s transkribiert;
Normalisierungen: keine;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916], S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/busoni_entwurf_1916/46>, abgerufen am 17.02.2025.
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