Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916].ob Neid oder Eifersucht; ebenso vergeblich ist es, moralische Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem ob Neid oder Eifersucht; ebenso vergeblich ist es, moralische Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0016" n="16"/> ob Neid oder Eifersucht; ebenso vergeblich ist es, moralische<lb/> Eigenschaften, Eitelkeit, Klugheit, in Töne umzusetzen oder<lb/> gar abstrakte Begriffe, wie Wahrheit und Gerechtigkeit,<lb/> durch sie aussprechen zu wollen. Könnte man denken, wie<lb/> ein armer, doch zufriedener Mensch in Musik wiederzugeben<lb/> wäre? Die Zufriedenheit, der seelische Teil, kann zu Musik<lb/> werden; wo bleibt aber die Armut, das ethische Problem,<lb/> das hier wichtig war: zwar arm, jedoch zufrieden. Das<lb/> kommt daher, daß „arm“ eine Form irdischer und gesellschaft-<lb/> licher Zustände ist, die in der ewigen Harmonie nicht zu<lb/> finden ist. Musik ist aber ein Teil des schwingenden Weltalls.</p><lb/> <p>Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem<lb/> Fehler, daß sie die Vorgänge, die sich auf der Bühne ab-<lb/> spielen, wiederholen will, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe<lb/> nachzugehen, den Seelenzustand der handelnden Personen<lb/> während jener Vorgänge zu tragen. Wenn die<lb/> Bühne die Illusion eines Gewitters vortäuscht,<supplied> </supplied>so ist dieses Ereignis<lb/> durch das Auge erschöpfend wahrgenommen. Fast alle<lb/> Komponisten bemühen sich jedoch, das Gewitter in Tönen<lb/> zu beschreiben, welches nicht nur eine unnötige <choice><sic>nud</sic><corr>und</corr></choice> schwächere<lb/> Wiederholung, sondern auch <choice><sic>eine</sic><corr>ein</corr></choice> Versäumnis ihrer Auf-<lb/> gabe ist. Die Person auf der Bühne wird entweder von<lb/> dem Gewitter seelisch beeinflußt, oder ihr Gemüt verweilt in-<lb/> folge von Gedanken, die es stärker in Anspruch nehmen, un-<lb/> beirrt. Das Gewitter ist sichtbar und hörbar ohne Hilfe der<lb/> Musik; was aber in der Seele des Menschen währenddessen<lb/> vorgeht, das Unsichtbare und Unhörbare, das soll die Musik<lb/> verständlich machen.</p><lb/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [16/0016]
ob Neid oder Eifersucht; ebenso vergeblich ist es, moralische
Eigenschaften, Eitelkeit, Klugheit, in Töne umzusetzen oder
gar abstrakte Begriffe, wie Wahrheit und Gerechtigkeit,
durch sie aussprechen zu wollen. Könnte man denken, wie
ein armer, doch zufriedener Mensch in Musik wiederzugeben
wäre? Die Zufriedenheit, der seelische Teil, kann zu Musik
werden; wo bleibt aber die Armut, das ethische Problem,
das hier wichtig war: zwar arm, jedoch zufrieden. Das
kommt daher, daß „arm“ eine Form irdischer und gesellschaft-
licher Zustände ist, die in der ewigen Harmonie nicht zu
finden ist. Musik ist aber ein Teil des schwingenden Weltalls.
Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem
Fehler, daß sie die Vorgänge, die sich auf der Bühne ab-
spielen, wiederholen will, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe
nachzugehen, den Seelenzustand der handelnden Personen
während jener Vorgänge zu tragen. Wenn die
Bühne die Illusion eines Gewitters vortäuscht, so ist dieses Ereignis
durch das Auge erschöpfend wahrgenommen. Fast alle
Komponisten bemühen sich jedoch, das Gewitter in Tönen
zu beschreiben, welches nicht nur eine unnötige und schwächere
Wiederholung, sondern auch ein Versäumnis ihrer Auf-
gabe ist. Die Person auf der Bühne wird entweder von
dem Gewitter seelisch beeinflußt, oder ihr Gemüt verweilt in-
folge von Gedanken, die es stärker in Anspruch nehmen, un-
beirrt. Das Gewitter ist sichtbar und hörbar ohne Hilfe der
Musik; was aber in der Seele des Menschen währenddessen
vorgeht, das Unsichtbare und Unhörbare, das soll die Musik
verständlich machen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Ferruccio Busoni – Briefe und Schriften, herausgegeben von Christian Schaper und Ullrich Scheideler, Humboldt-Universität zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2019-05-15T13:49:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Schaper, Maximilian Furthmüller, Theresa Menard, Vanda Hehr, Clemens Gubsch, Claudio Fuchs, Jupp Wegner, David Mews, Ullrich Scheideler: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2019-05-27T13:49:52Z)
Benjamin Fiechter: Konvertierung ins DTA-Basisformat
(2019-05-27T13:49:52Z)
Weitere Informationen:Textgrundlage von 1906 von Busoni hauptsächlich 1914 überarbeitet. Gedruckt 1916 in Altenburg; erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig als Nr. 202 der Insel-Bücherei. Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.busoni-nachlass.org/de/Projekt/E1000003.html, http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien. Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |