Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.verlassen, um ihre Angetrunkenheit dann noch weiter würdig zu krönen. Diese kehren endlich, nachdem sie sich so den ganzen Tag auf den Straßen, in den Schenken und Kaffeehäusern herumgetrieben haben, des Abends heim, um nun ihre Weiber und Kinder, welche auf ihren Tagesverdienst, um sich Brod dafür zu kaufen, vergebens warten, vollends zur Verzweiflung zu bringen. Die Trunksucht, wenn sie auch bei den Arbeiterclassen am Sichtbarsten hervortritt, findet nichtsdestoweniger auch in den andern Ständen hier und da ihre Priester, allerdings in verschiedenen Graden und unter Formen, welche weniger in's Auge fallen, aber in ihren Folgen sich doch nicht minder beklagenswerth erweisen. Ich verstehe darunter die Leute, welche, alle Morgen mehre Gläser Branntwein zu sich zu nehmen gewohnt, dabei dennoch sich einbilden, sie gehörten nicht zu den Trunkenbolden, weil sie niemals dabei des Gebrauchs ihrer Vernunft beraubt sind und weil sie in ihren Ausschweifungen selten über das ihnen von ihrer unseligen Gewohnheit vorgeschriebene Maß hinausgehen. Aber sie täuschen sich sehr, auch ihnen erscheint der Tag, wo körperliches Leiden ihre Illusionen verjagt und sie mit schweren Kosten zu der Erkenntniß gelangen, daß die Spirituosen, mögen sie immerhin auch nur in kleinen Dosen genossen werden, doch nicht weniger ihre zerstörende Wirkung äußern. Indem wir auch einem dieser Trinker in seine Wohnung, und zwar zur Mittagszeit, folgen, sehen wir, wie er vergebens seinem Magen einige Speise aufzudrängen sucht; denn der Alkohol hat die Nervenwärzchen dieses Organes oft dermaßen überreizt, hat die Empfindlichkeit derselben in einem solchen Grade herabgestimmt, daß es sich in der vollkommensten Unthätigkeit befindet. Das, worin wir Aerzte ein vorzeitiges Absterben des Verdauungsorgans erkennen, bloß als einen Appetitmangel betrachtend, glaubt der Unglückliche, seiner Unlust zum Essen dadurch abhelfen zu können, daß er nach einem neuen Reizmittel greift. So trinkt er denn kurz vor seiner verlassen, um ihre Angetrunkenheit dann noch weiter würdig zu krönen. Diese kehren endlich, nachdem sie sich so den ganzen Tag auf den Straßen, in den Schenken und Kaffeehäusern herumgetrieben haben, des Abends heim, um nun ihre Weiber und Kinder, welche auf ihren Tagesverdienst, um sich Brod dafür zu kaufen, vergebens warten, vollends zur Verzweiflung zu bringen. Die Trunksucht, wenn sie auch bei den Arbeiterclassen am Sichtbarsten hervortritt, findet nichtsdestoweniger auch in den andern Ständen hier und da ihre Priester, allerdings in verschiedenen Graden und unter Formen, welche weniger in’s Auge fallen, aber in ihren Folgen sich doch nicht minder beklagenswerth erweisen. Ich verstehe darunter die Leute, welche, alle Morgen mehre Gläser Branntwein zu sich zu nehmen gewohnt, dabei dennoch sich einbilden, sie gehörten nicht zu den Trunkenbolden, weil sie niemals dabei des Gebrauchs ihrer Vernunft beraubt sind und weil sie in ihren Ausschweifungen selten über das ihnen von ihrer unseligen Gewohnheit vorgeschriebene Maß hinausgehen. Aber sie täuschen sich sehr, auch ihnen erscheint der Tag, wo körperliches Leiden ihre Illusionen verjagt und sie mit schweren Kosten zu der Erkenntniß gelangen, daß die Spirituosen, mögen sie immerhin auch nur in kleinen Dosen genossen werden, doch nicht weniger ihre zerstörende Wirkung äußern. Indem wir auch einem dieser Trinker in seine Wohnung, und zwar zur Mittagszeit, folgen, sehen wir, wie er vergebens seinem Magen einige Speise aufzudrängen sucht; denn der Alkohol hat die Nervenwärzchen dieses Organes oft dermaßen überreizt, hat die Empfindlichkeit derselben in einem solchen Grade herabgestimmt, daß es sich in der vollkommensten Unthätigkeit befindet. Das, worin wir Aerzte ein vorzeitiges Absterben des Verdauungsorgans erkennen, bloß als einen Appetitmangel betrachtend, glaubt der Unglückliche, seiner Unlust zum Essen dadurch abhelfen zu können, daß er nach einem neuen Reizmittel greift. So trinkt er denn kurz vor seiner <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0029" n="19"/> verlassen, um ihre Angetrunkenheit dann noch weiter würdig zu krönen. Diese kehren endlich, nachdem sie sich so den ganzen Tag auf den Straßen, in den Schenken und Kaffeehäusern herumgetrieben haben, des Abends heim, um nun ihre Weiber und Kinder, welche auf ihren Tagesverdienst, um sich Brod dafür zu kaufen, vergebens warten, vollends zur Verzweiflung zu bringen.</p> <p>Die Trunksucht, wenn sie auch bei den Arbeiterclassen am Sichtbarsten hervortritt, findet nichtsdestoweniger auch in den andern Ständen hier und da ihre Priester, allerdings in verschiedenen Graden und unter Formen, welche weniger in’s Auge fallen, aber in ihren Folgen sich doch nicht minder beklagenswerth erweisen. Ich verstehe darunter die Leute, welche, alle Morgen mehre Gläser Branntwein zu sich zu nehmen gewohnt, dabei dennoch sich einbilden, sie gehörten nicht zu den Trunkenbolden, weil sie niemals dabei des Gebrauchs ihrer Vernunft beraubt sind und weil sie in ihren Ausschweifungen selten über das ihnen von ihrer unseligen Gewohnheit vorgeschriebene Maß hinausgehen. Aber sie täuschen sich sehr, auch ihnen erscheint der Tag, wo körperliches Leiden ihre Illusionen verjagt und sie mit schweren Kosten zu der Erkenntniß gelangen, daß die Spirituosen, mögen sie immerhin auch nur in kleinen Dosen genossen werden, doch nicht weniger ihre zerstörende Wirkung äußern.</p> <p>Indem wir auch einem dieser Trinker in seine Wohnung, und zwar zur Mittagszeit, folgen, sehen wir, wie er vergebens seinem Magen einige Speise aufzudrängen sucht; denn der Alkohol hat die Nervenwärzchen dieses Organes oft dermaßen überreizt, hat die Empfindlichkeit derselben in einem solchen Grade herabgestimmt, daß es sich in der vollkommensten Unthätigkeit befindet. Das, worin wir Aerzte ein vorzeitiges Absterben des Verdauungsorgans erkennen, bloß als einen Appetitmangel betrachtend, glaubt der Unglückliche, seiner Unlust zum Essen dadurch abhelfen zu können, daß er nach einem neuen Reizmittel greift. So trinkt er denn kurz vor seiner </p> </div> </body> </text> </TEI> [19/0029]
verlassen, um ihre Angetrunkenheit dann noch weiter würdig zu krönen. Diese kehren endlich, nachdem sie sich so den ganzen Tag auf den Straßen, in den Schenken und Kaffeehäusern herumgetrieben haben, des Abends heim, um nun ihre Weiber und Kinder, welche auf ihren Tagesverdienst, um sich Brod dafür zu kaufen, vergebens warten, vollends zur Verzweiflung zu bringen.
Die Trunksucht, wenn sie auch bei den Arbeiterclassen am Sichtbarsten hervortritt, findet nichtsdestoweniger auch in den andern Ständen hier und da ihre Priester, allerdings in verschiedenen Graden und unter Formen, welche weniger in’s Auge fallen, aber in ihren Folgen sich doch nicht minder beklagenswerth erweisen. Ich verstehe darunter die Leute, welche, alle Morgen mehre Gläser Branntwein zu sich zu nehmen gewohnt, dabei dennoch sich einbilden, sie gehörten nicht zu den Trunkenbolden, weil sie niemals dabei des Gebrauchs ihrer Vernunft beraubt sind und weil sie in ihren Ausschweifungen selten über das ihnen von ihrer unseligen Gewohnheit vorgeschriebene Maß hinausgehen. Aber sie täuschen sich sehr, auch ihnen erscheint der Tag, wo körperliches Leiden ihre Illusionen verjagt und sie mit schweren Kosten zu der Erkenntniß gelangen, daß die Spirituosen, mögen sie immerhin auch nur in kleinen Dosen genossen werden, doch nicht weniger ihre zerstörende Wirkung äußern.
Indem wir auch einem dieser Trinker in seine Wohnung, und zwar zur Mittagszeit, folgen, sehen wir, wie er vergebens seinem Magen einige Speise aufzudrängen sucht; denn der Alkohol hat die Nervenwärzchen dieses Organes oft dermaßen überreizt, hat die Empfindlichkeit derselben in einem solchen Grade herabgestimmt, daß es sich in der vollkommensten Unthätigkeit befindet. Das, worin wir Aerzte ein vorzeitiges Absterben des Verdauungsorgans erkennen, bloß als einen Appetitmangel betrachtend, glaubt der Unglückliche, seiner Unlust zum Essen dadurch abhelfen zu können, daß er nach einem neuen Reizmittel greift. So trinkt er denn kurz vor seiner
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-11-01T10:28:26Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Benjamin Fiechter, Frank Wiegand: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-11-01T10:28:26Z)
Bayerische Staatsbibliothek München: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-11-01T10:28:26Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription: Die Transkription erfolgte nach den unter http://de.wikisource.org/wiki/Wikisource:Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien. Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |