Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.sofort parat steht, nun auch natürlich die drei andern sich wieder füllen und mitten unter den mannichfaltigsten Commentaren zu den Neuigkeiten des Tages abermals geleert werden. Jeder trägt nach wie vor sein Contingent zur Unterhaltung bei, und je reichere Ausbeute die scandalöse Chronik des Tages gerade liefert, desto größer wird die Zahl der Trinker, desto größer aber auch die Menge des vertilgten Schnapses, denn jeder der Neuhinzugetretenen läßt den Andern wieder mit einschenken. Die Gescheidtesten drücken sich gewöhnlich nach dem vierten oder fünften Gläschen, der größte Theil der Gesellschaft aber hält so lange aus, bis der Unterhaltungsstoff sich völlig erschöpft hat; und, wer sollte es für möglich halten, wenn er es nicht mit eigenen Augen sähe, einige der Trinker erneuern nun sogar noch dieselbe Scene bei drei, vier, fünf andern Schnapsschenken in den verschiedenen Stadttheilen, indem sie unterwegs andere Genossen recrutiren, um mit ihnen Brüderschaft zu trinken oder vielmehr, um einen Vorwand zum Ausschweifen zu gewinnen, obgleich sich Manche wohl auch nicht scheuen, für sich allein zu schnapsen. So nun schließt sich der erste Act in dem Tagesverlauf eines Säufers; fast alle diese Leute aber, so sehr hat der gewohnte Genuß der Spirituosen ihre allgemeine Sensibilität abgestumpft, fast alle, sage ich, sind noch im Stande, ihren Beschäftigungen nachzugehen (jedoch selbstverständlich mit mehr oder weniger Geschick). Wenn wir indeß denen, welche, nachdem sie mehre Stadtviertel durchstrichen sind, ein Dutzend Gläschen Schnaps vertilgt*) haben, weiter folgen, so kann es uns nicht entgehen, daß ihre schwerfälligen, zitternden Hände sich nur ungern zu einer Arbeit hergeben, welche sie übrigens auch nur ganz obenhin verrichten, und welche sie *) Man wird gegen den Gebrauch dieses neuen Modeausdrucks hoffentlich um so weniger etwas hier einzuwenden haben, als in der That auch kein anderer das französische absorbe so treffend verdeutscht. Der Bearb.
sofort parat steht, nun auch natürlich die drei andern sich wieder füllen und mitten unter den mannichfaltigsten Commentaren zu den Neuigkeiten des Tages abermals geleert werden. Jeder trägt nach wie vor sein Contingent zur Unterhaltung bei, und je reichere Ausbeute die scandalöse Chronik des Tages gerade liefert, desto größer wird die Zahl der Trinker, desto größer aber auch die Menge des vertilgten Schnapses, denn jeder der Neuhinzugetretenen läßt den Andern wieder mit einschenken. Die Gescheidtesten drücken sich gewöhnlich nach dem vierten oder fünften Gläschen, der größte Theil der Gesellschaft aber hält so lange aus, bis der Unterhaltungsstoff sich völlig erschöpft hat; und, wer sollte es für möglich halten, wenn er es nicht mit eigenen Augen sähe, einige der Trinker erneuern nun sogar noch dieselbe Scene bei drei, vier, fünf andern Schnapsschenken in den verschiedenen Stadttheilen, indem sie unterwegs andere Genossen recrutiren, um mit ihnen Brüderschaft zu trinken oder vielmehr, um einen Vorwand zum Ausschweifen zu gewinnen, obgleich sich Manche wohl auch nicht scheuen, für sich allein zu schnapsen. So nun schließt sich der erste Act in dem Tagesverlauf eines Säufers; fast alle diese Leute aber, so sehr hat der gewohnte Genuß der Spirituosen ihre allgemeine Sensibilität abgestumpft, fast alle, sage ich, sind noch im Stande, ihren Beschäftigungen nachzugehen (jedoch selbstverständlich mit mehr oder weniger Geschick). Wenn wir indeß denen, welche, nachdem sie mehre Stadtviertel durchstrichen sind, ein Dutzend Gläschen Schnaps vertilgt*) haben, weiter folgen, so kann es uns nicht entgehen, daß ihre schwerfälligen, zitternden Hände sich nur ungern zu einer Arbeit hergeben, welche sie übrigens auch nur ganz obenhin verrichten, und welche sie *) Man wird gegen den Gebrauch dieses neuen Modeausdrucks hoffentlich um so weniger etwas hier einzuwenden haben, als in der That auch kein anderer das französische absorbé so treffend verdeutscht. Der Bearb.
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sofort parat steht, nun auch natürlich die drei andern sich wieder füllen und mitten unter den mannichfaltigsten Commentaren zu den Neuigkeiten des Tages abermals geleert werden. Jeder trägt nach wie vor sein Contingent zur Unterhaltung bei, und je reichere Ausbeute die scandalöse Chronik des Tages gerade liefert, desto größer wird die Zahl der Trinker, desto größer aber auch die Menge des vertilgten Schnapses, denn jeder der Neuhinzugetretenen läßt den Andern wieder mit einschenken. Die Gescheidtesten drücken sich gewöhnlich nach dem vierten oder fünften Gläschen, der größte Theil der Gesellschaft aber hält so lange aus, bis der Unterhaltungsstoff sich völlig erschöpft hat; und, wer sollte es für möglich halten, wenn er es nicht mit eigenen Augen sähe, einige der Trinker erneuern nun sogar noch dieselbe Scene bei drei, vier, fünf andern Schnapsschenken in den verschiedenen Stadttheilen, indem sie unterwegs andere Genossen recrutiren, um mit ihnen Brüderschaft zu trinken oder vielmehr, um einen Vorwand zum Ausschweifen zu gewinnen, obgleich sich Manche wohl auch nicht scheuen, für sich allein zu schnapsen.
So nun schließt sich der erste Act in dem Tagesverlauf eines Säufers; fast alle diese Leute aber, so sehr hat der gewohnte Genuß der Spirituosen ihre allgemeine Sensibilität abgestumpft, fast alle, sage ich, sind noch im Stande, ihren Beschäftigungen nachzugehen (jedoch selbstverständlich mit mehr oder weniger Geschick). Wenn wir indeß denen, welche, nachdem sie mehre Stadtviertel durchstrichen sind, ein Dutzend Gläschen Schnaps vertilgt *) haben, weiter folgen, so kann es uns nicht entgehen, daß ihre schwerfälligen, zitternden Hände sich nur ungern zu einer Arbeit hergeben, welche sie übrigens auch nur ganz obenhin verrichten, und welche sie
*) Man wird gegen den Gebrauch dieses neuen Modeausdrucks hoffentlich um so weniger etwas hier einzuwenden haben, als in der That auch kein anderer das französische absorbé so treffend verdeutscht. Der Bearb.
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