Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.sie zu beachten, so selten geschieht es, daß man die Folgen dessen, was man sieht, bedenkt oder ihnen nachforscht. Begegnet man, z. B., einem singenden, mit den Armen fechtenden Betrunkenen, so lacht man zwar über ihn, weil er sich eben lächerlich benimmt, geht aber seines Weges fürbaß; einige Jahre später trifft man abermals ein Individuum, dessen magere, bleiche, leichenhafte Figur einen Sterbenskranken verkündet, der langsamen Schrittes dem Grabe zuwankt, und man erinnert sich dann kaum noch, daß dieses derselbe Mensch ist, den man früher einmal betrunken gesehen hatte, und daß diese Gewohnheit des Saufens ihn zu dem gestempelt hat, was er jetzt ist. Die Verwandlung erweis't sich als so groß, daß es Mühe kostet, sich zu überzeugen, diese beiden Persönlichkeiten seien eben nur ein und derselbe Mensch; um wie viel weniger würde man sich aber wundern, wenn man dem Betreffenden von dem Tage an, wo er zum ersten Male dem Bacchus seine Huldigungen dargebracht hat, bis zu dem, wo er sich uns nur noch als ein wandelndes Gerippe darstellt. Schritt vor Schritt gefolgt wäre. Die alkoholische Ueberreizung, worin sich der Säufer fortwährend befindet, heißt ihn des Morgens ziemlich früh aufstehen, denn der Schlaf flieht seine Augenlider und, einem Fieberkranken gleich, wirft er sich in seinem Bette unaufhörlich von einer Seite zur andern, ohne irgend Ruhe zu finden. So erhebt er sich denn endlich von seinem Lager, und - folgen wir ihm nun, um der ersten Scene seines Tagelebens als Zuschauer beizuwohnen. Die Straße, bisher noch, gleich ihren Bewohnern, der Ruhe hingegeben, scheint endlich zu erwachen, Thüren öffnen sich hier und da, die Verschlüsse der Läden fallen, einige fleißige Handwerker begeben sich schon an ihre Arbeit, und auf der Schwelle einer der Hausthüren in der Straße erscheint - ein Mann von blassem, gedunsenem Antlitze, mit mattem Blicke, die Augen feucht und geschwollen; er gähnt, streckt die Arme aus, wie sie zu beachten, so selten geschieht es, daß man die Folgen dessen, was man sieht, bedenkt oder ihnen nachforscht. Begegnet man, z. B., einem singenden, mit den Armen fechtenden Betrunkenen, so lacht man zwar über ihn, weil er sich eben lächerlich benimmt, geht aber seines Weges fürbaß; einige Jahre später trifft man abermals ein Individuum, dessen magere, bleiche, leichenhafte Figur einen Sterbenskranken verkündet, der langsamen Schrittes dem Grabe zuwankt, und man erinnert sich dann kaum noch, daß dieses derselbe Mensch ist, den man früher einmal betrunken gesehen hatte, und daß diese Gewohnheit des Saufens ihn zu dem gestempelt hat, was er jetzt ist. Die Verwandlung erweis’t sich als so groß, daß es Mühe kostet, sich zu überzeugen, diese beiden Persönlichkeiten seien eben nur ein und derselbe Mensch; um wie viel weniger würde man sich aber wundern, wenn man dem Betreffenden von dem Tage an, wo er zum ersten Male dem Bacchus seine Huldigungen dargebracht hat, bis zu dem, wo er sich uns nur noch als ein wandelndes Gerippe darstellt. Schritt vor Schritt gefolgt wäre. Die alkoholische Ueberreizung, worin sich der Säufer fortwährend befindet, heißt ihn des Morgens ziemlich früh aufstehen, denn der Schlaf flieht seine Augenlider und, einem Fieberkranken gleich, wirft er sich in seinem Bette unaufhörlich von einer Seite zur andern, ohne irgend Ruhe zu finden. So erhebt er sich denn endlich von seinem Lager, und – folgen wir ihm nun, um der ersten Scene seines Tagelebens als Zuschauer beizuwohnen. Die Straße, bisher noch, gleich ihren Bewohnern, der Ruhe hingegeben, scheint endlich zu erwachen, Thüren öffnen sich hier und da, die Verschlüsse der Läden fallen, einige fleißige Handwerker begeben sich schon an ihre Arbeit, und auf der Schwelle einer der Hausthüren in der Straße erscheint – ein Mann von blassem, gedunsenem Antlitze, mit mattem Blicke, die Augen feucht und geschwollen; er gähnt, streckt die Arme aus, wie <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0026" n="16"/> sie zu beachten, so selten geschieht es, daß man die Folgen dessen, was man sieht, bedenkt oder ihnen nachforscht. Begegnet man, z. B., einem singenden, mit den Armen fechtenden Betrunkenen, so lacht man zwar über ihn, weil er sich eben lächerlich benimmt, geht aber seines Weges fürbaß; einige Jahre später trifft man abermals ein Individuum, dessen magere, bleiche, leichenhafte Figur einen Sterbenskranken verkündet, der langsamen Schrittes dem Grabe zuwankt, und man erinnert sich dann kaum noch, daß dieses derselbe Mensch ist, den man früher einmal betrunken gesehen hatte, und daß diese Gewohnheit des Saufens ihn zu dem gestempelt hat, was er jetzt ist. Die Verwandlung erweis’t sich als so groß, daß es Mühe kostet, sich zu überzeugen, diese beiden Persönlichkeiten seien eben nur ein und derselbe Mensch; um wie viel weniger würde man sich aber wundern, wenn man dem Betreffenden von dem Tage an, wo er zum ersten Male dem Bacchus seine Huldigungen dargebracht hat, bis zu dem, wo er sich uns nur noch als ein wandelndes Gerippe darstellt. Schritt vor Schritt gefolgt wäre.</p> <p>Die alkoholische Ueberreizung, worin sich der Säufer fortwährend befindet, heißt ihn des Morgens ziemlich früh aufstehen, denn der Schlaf flieht seine Augenlider und, einem Fieberkranken gleich, wirft er sich in seinem Bette unaufhörlich von einer Seite zur andern, ohne irgend Ruhe zu finden. So erhebt er sich denn endlich von seinem Lager, und – folgen wir ihm nun, um der ersten Scene seines Tagelebens als Zuschauer beizuwohnen.</p> <p>Die Straße, bisher noch, gleich ihren Bewohnern, der Ruhe hingegeben, scheint endlich zu erwachen, Thüren öffnen sich hier und da, die Verschlüsse der Läden fallen, einige fleißige Handwerker begeben sich schon an ihre Arbeit, und auf der Schwelle einer der Hausthüren in der Straße erscheint – ein Mann von blassem, gedunsenem Antlitze, mit mattem Blicke, die Augen feucht und geschwollen; er gähnt, streckt die Arme aus, wie </p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0026]
sie zu beachten, so selten geschieht es, daß man die Folgen dessen, was man sieht, bedenkt oder ihnen nachforscht. Begegnet man, z. B., einem singenden, mit den Armen fechtenden Betrunkenen, so lacht man zwar über ihn, weil er sich eben lächerlich benimmt, geht aber seines Weges fürbaß; einige Jahre später trifft man abermals ein Individuum, dessen magere, bleiche, leichenhafte Figur einen Sterbenskranken verkündet, der langsamen Schrittes dem Grabe zuwankt, und man erinnert sich dann kaum noch, daß dieses derselbe Mensch ist, den man früher einmal betrunken gesehen hatte, und daß diese Gewohnheit des Saufens ihn zu dem gestempelt hat, was er jetzt ist. Die Verwandlung erweis’t sich als so groß, daß es Mühe kostet, sich zu überzeugen, diese beiden Persönlichkeiten seien eben nur ein und derselbe Mensch; um wie viel weniger würde man sich aber wundern, wenn man dem Betreffenden von dem Tage an, wo er zum ersten Male dem Bacchus seine Huldigungen dargebracht hat, bis zu dem, wo er sich uns nur noch als ein wandelndes Gerippe darstellt. Schritt vor Schritt gefolgt wäre.
Die alkoholische Ueberreizung, worin sich der Säufer fortwährend befindet, heißt ihn des Morgens ziemlich früh aufstehen, denn der Schlaf flieht seine Augenlider und, einem Fieberkranken gleich, wirft er sich in seinem Bette unaufhörlich von einer Seite zur andern, ohne irgend Ruhe zu finden. So erhebt er sich denn endlich von seinem Lager, und – folgen wir ihm nun, um der ersten Scene seines Tagelebens als Zuschauer beizuwohnen.
Die Straße, bisher noch, gleich ihren Bewohnern, der Ruhe hingegeben, scheint endlich zu erwachen, Thüren öffnen sich hier und da, die Verschlüsse der Läden fallen, einige fleißige Handwerker begeben sich schon an ihre Arbeit, und auf der Schwelle einer der Hausthüren in der Straße erscheint – ein Mann von blassem, gedunsenem Antlitze, mit mattem Blicke, die Augen feucht und geschwollen; er gähnt, streckt die Arme aus, wie
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