1. Abschnitt.tasie und der Druck der Zeiten zu einem unbedingten Lob des Volkes, welches seine Leute besser wähle als irgend ein Fürst und sich "mit Zureden" von Irrthümern abbringen lasse 1). In Betreff der Herrschaft über Toscana zweifelt er nicht, daß dieselbe seiner Stadt gehöre und hält (in einem besondern Discorso) die Wiederbezwingung Pisa's für eine Lebensfrage; er bedauert, daß man Arezzo nach der Rebellion von 1502 überhaupt habe stehen lassen; er giebt sogar im Allgemeinen zu, italienische Republiken müßten sich lebhaft nach außen bewegen und vergrößern dürfen, um nicht selber angegriffen zu werden und um Ruhe im Innern zu haben; allein Florenz habe die Sache immer verkehrt angefangen und sich Pisa, Siena und Lucca von jeher tödtlich verfeindet, während das "brüder- lich behandelte" Pistoja sich freiwillig untergeordnet habe.
Siena.Es wäre unbillig, die wenigen übrigen Republiken, die im XV. Jahrhundert noch existirten, mit diesem einzi- gen Florenz auch nur in Parallele setzen zu wollen, welches bei Weitem die wichtigste Werkstätte des italienischen, ja des modernen europäischen Geistes überhaupt war. Siena litt an den schwersten organischen Uebeln und sein relatives Gedeihen in Gewerben und Künsten darf hierüber nicht täuschen. Aeneas Sylvius 2) schaut von seiner Vaterstadt aus wahrhaft sehnsüchtig nach den "fröhlichen" deutschen Reichsstädten hinüber, wo keine Confiscationen von Habe und Erbe, keine gewaltthätigen Behörden, keine Factionen Genua.das Dasein verderben 3). Genua gehört kaum in den Kreis
1) Dieselbe Ansicht, ohne Zweifel hier entlehnt, findet sich bei Montes- quieu wieder.
2)Aen. Sylvii apologia ad Martinum Mayer, p. 701. -- Aehnlich noch Macchiavelli, Discorsi I, 55 u. a. a. O.
3) Wie völlig moderne Halbbildung und Abstraction bisweilen in das politische Wesen hineingriffen, zeigt die Parteiung von 1535, Della Valle, lettere sanesi III, p. 317. Eine Anzahl von Krämern, aufgeregt durch Livius und Macchiavell's Discorsi, verlangen alles
1. Abſchnitt.taſie und der Druck der Zeiten zu einem unbedingten Lob des Volkes, welches ſeine Leute beſſer wähle als irgend ein Fürſt und ſich „mit Zureden“ von Irrthümern abbringen laſſe 1). In Betreff der Herrſchaft über Toscana zweifelt er nicht, daß dieſelbe ſeiner Stadt gehöre und hält (in einem beſondern Discorſo) die Wiederbezwingung Piſa's für eine Lebensfrage; er bedauert, daß man Arezzo nach der Rebellion von 1502 überhaupt habe ſtehen laſſen; er giebt ſogar im Allgemeinen zu, italieniſche Republiken müßten ſich lebhaft nach außen bewegen und vergrößern dürfen, um nicht ſelber angegriffen zu werden und um Ruhe im Innern zu haben; allein Florenz habe die Sache immer verkehrt angefangen und ſich Piſa, Siena und Lucca von jeher tödtlich verfeindet, während das „brüder- lich behandelte“ Piſtoja ſich freiwillig untergeordnet habe.
Siena.Es wäre unbillig, die wenigen übrigen Republiken, die im XV. Jahrhundert noch exiſtirten, mit dieſem einzi- gen Florenz auch nur in Parallele ſetzen zu wollen, welches bei Weitem die wichtigſte Werkſtätte des italieniſchen, ja des modernen europäiſchen Geiſtes überhaupt war. Siena litt an den ſchwerſten organiſchen Uebeln und ſein relatives Gedeihen in Gewerben und Künſten darf hierüber nicht täuſchen. Aeneas Sylvius 2) ſchaut von ſeiner Vaterſtadt aus wahrhaft ſehnſüchtig nach den „fröhlichen“ deutſchen Reichsſtädten hinüber, wo keine Confiscationen von Habe und Erbe, keine gewaltthätigen Behörden, keine Factionen Genua.das Daſein verderben 3). Genua gehört kaum in den Kreis
1) Dieſelbe Anſicht, ohne Zweifel hier entlehnt, findet ſich bei Montes- quieu wieder.
2)Aen. Sylvii apologia ad Martinum Mayer, p. 701. — Aehnlich noch Macchiavelli, Discorsi I, 55 u. a. a. O.
3) Wie völlig moderne Halbbildung und Abſtraction bisweilen in das politiſche Weſen hineingriffen, zeigt die Parteiung von 1535, Della Valle, lettere sanesi III, p. 317. Eine Anzahl von Krämern, aufgeregt durch Livius und Macchiavell's Discorſi, verlangen alles
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er nicht, daß dieſelbe ſeiner Stadt gehöre und hält (in
einem beſondern Discorſo) die Wiederbezwingung Piſa's
für eine Lebensfrage; er bedauert, daß man Arezzo nach
der Rebellion von 1502 überhaupt habe ſtehen laſſen; er
giebt ſogar im Allgemeinen zu, italieniſche Republiken
müßten ſich lebhaft nach außen bewegen und vergrößern
dürfen, um nicht ſelber angegriffen zu werden und um
Ruhe im Innern zu haben; allein Florenz habe die Sache
immer verkehrt angefangen und ſich Piſa, Siena und
Lucca von jeher tödtlich verfeindet, während das „brüder-
lich behandelte“ Piſtoja ſich freiwillig untergeordnet habe.
1. Abſchnitt.
Es wäre unbillig, die wenigen übrigen Republiken,
die im XV. Jahrhundert noch exiſtirten, mit dieſem einzi-
gen Florenz auch nur in Parallele ſetzen zu wollen, welches
bei Weitem die wichtigſte Werkſtätte des italieniſchen, ja
des modernen europäiſchen Geiſtes überhaupt war. Siena
litt an den ſchwerſten organiſchen Uebeln und ſein relatives
Gedeihen in Gewerben und Künſten darf hierüber nicht
täuſchen. Aeneas Sylvius 2) ſchaut von ſeiner Vaterſtadt
aus wahrhaft ſehnſüchtig nach den „fröhlichen“ deutſchen
Reichsſtädten hinüber, wo keine Confiscationen von Habe
und Erbe, keine gewaltthätigen Behörden, keine Factionen
das Daſein verderben 3). Genua gehört kaum in den Kreis
Siena.
Genua.
1) Dieſelbe Anſicht, ohne Zweifel hier entlehnt, findet ſich bei Montes-
quieu wieder.
2) Aen. Sylvii apologia ad Martinum Mayer, p. 701. — Aehnlich
noch Macchiavelli, Discorsi I, 55 u. a. a. O.
3) Wie völlig moderne Halbbildung und Abſtraction bisweilen in das
politiſche Weſen hineingriffen, zeigt die Parteiung von 1535, Della
Valle, lettere sanesi III, p. 317. Eine Anzahl von Krämern,
aufgeregt durch Livius und Macchiavell's Discorſi, verlangen alles
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/98>, abgerufen am 16.02.2025.
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