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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Die Autoren sprechen sich über diese Dinge mit größter1. Abschnitt.
Populationistik.

Unbefangenheit aus 1). Wir erfahren, daß die Bevölkerung
der Stadt im Jahr 1422 190,000 Seelen betrug; vielleicht
hat man in Italien am frühsten angefangen, nicht mehr
nach Feuerherden, nach Waffenfähigen, nach Solchen, die
auf eigenen Beinen gehen konnten u. dgl., sondern nach
anime zu zählen und darin die neutralste Basis aller wei-
tern Berechnungen anzuerkennen. Als die Florentiner um
dieselbe Zeit ein Bündniß mit Venedig gegen Filippo Maria
Visconti wünschten, wies man sie einstweilen ab, in der
klaren, hier, durch genaue Handelsbilanz belegten Ueber-
zeugung, daß jeder Krieg zwischen Mailand und Venedig,
d. h. zwischen Abnehmer und Verkäufer, eine Thorheit sei.
Schon wenn der Herzog nur sein Heer vermehre, so werde
das Herzogthum wegen sofortiger Erhöhung der Steuern
ein schlechterer Consument. "Besser man lasse die Floren-
tiner unterliegen, dann siedeln sie, des freistädtischen Lebens
gewohnt, zu uns über und bringen ihre Seiden- und
Wollenweberei mit, wie die bedrängten Lucchesen gethan
haben." Das merkwürdigste aber ist die Rede des sterben-
den Dogen Mocenigo (1423) an einige Senatoren, die er
vor sein Bett kommen ließ 2). Sie enthält die wichtigsten
Elemente einer Statistik der gesammten Kraft und Habe
Venedigs. Ich weiß nicht, ob und wo eine gründliche Er-
läuterung dieses schwierigen Actenstückes existirt; nur als
Curiosität mag Folgendes angeführt werden. Nach ge-Das Soll und
Haben.

schehener Abbezahlung von 4 Millionen Ducaten eines
Kriegs-Anleihens betrug die Staatsschuld (il monte) da-
mals noch 6 Mill. Ducaten. Der Gesammtumlauf des

1) Vorzüglich Marin Sanudo, in den vite de' Duchi di Venezia,
Murat. XXII, passim.
2) Bei Sanudo l. c. Col. 958. Das auf den Handel bezügliche ist
daraus mitgetheilt bei Scherer, Allg. Gesch. des Welthandels, I,
326. Anm.

Die Autoren ſprechen ſich über dieſe Dinge mit größter1. Abſchnitt.
Populationiſtik.

Unbefangenheit aus 1). Wir erfahren, daß die Bevölkerung
der Stadt im Jahr 1422 190,000 Seelen betrug; vielleicht
hat man in Italien am frühſten angefangen, nicht mehr
nach Feuerherden, nach Waffenfähigen, nach Solchen, die
auf eigenen Beinen gehen konnten u. dgl., ſondern nach
anime zu zählen und darin die neutralſte Baſis aller wei-
tern Berechnungen anzuerkennen. Als die Florentiner um
dieſelbe Zeit ein Bündniß mit Venedig gegen Filippo Maria
Visconti wünſchten, wies man ſie einſtweilen ab, in der
klaren, hier, durch genaue Handelsbilanz belegten Ueber-
zeugung, daß jeder Krieg zwiſchen Mailand und Venedig,
d. h. zwiſchen Abnehmer und Verkäufer, eine Thorheit ſei.
Schon wenn der Herzog nur ſein Heer vermehre, ſo werde
das Herzogthum wegen ſofortiger Erhöhung der Steuern
ein ſchlechterer Conſument. „Beſſer man laſſe die Floren-
tiner unterliegen, dann ſiedeln ſie, des freiſtädtiſchen Lebens
gewohnt, zu uns über und bringen ihre Seiden- und
Wollenweberei mit, wie die bedrängten Luccheſen gethan
haben.” Das merkwürdigſte aber iſt die Rede des ſterben-
den Dogen Mocenigo (1423) an einige Senatoren, die er
vor ſein Bett kommen ließ 2). Sie enthält die wichtigſten
Elemente einer Statiſtik der geſammten Kraft und Habe
Venedigs. Ich weiß nicht, ob und wo eine gründliche Er-
läuterung dieſes ſchwierigen Actenſtückes exiſtirt; nur als
Curioſität mag Folgendes angeführt werden. Nach ge-Das Soll und
Haben.

ſchehener Abbezahlung von 4 Millionen Ducaten eines
Kriegs-Anleihens betrug die Staatsſchuld (il monte) da-
mals noch 6 Mill. Ducaten. Der Geſammtumlauf des

1) Vorzüglich Marin Sanudo, in den vite de' Duchi di Venezia,
Murat. XXII, passim.
2) Bei Sanudo l. c. Col. 958. Das auf den Handel bezügliche iſt
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[71/0081] Die Autoren ſprechen ſich über dieſe Dinge mit größter Unbefangenheit aus 1). Wir erfahren, daß die Bevölkerung der Stadt im Jahr 1422 190,000 Seelen betrug; vielleicht hat man in Italien am frühſten angefangen, nicht mehr nach Feuerherden, nach Waffenfähigen, nach Solchen, die auf eigenen Beinen gehen konnten u. dgl., ſondern nach anime zu zählen und darin die neutralſte Baſis aller wei- tern Berechnungen anzuerkennen. Als die Florentiner um dieſelbe Zeit ein Bündniß mit Venedig gegen Filippo Maria Visconti wünſchten, wies man ſie einſtweilen ab, in der klaren, hier, durch genaue Handelsbilanz belegten Ueber- zeugung, daß jeder Krieg zwiſchen Mailand und Venedig, d. h. zwiſchen Abnehmer und Verkäufer, eine Thorheit ſei. Schon wenn der Herzog nur ſein Heer vermehre, ſo werde das Herzogthum wegen ſofortiger Erhöhung der Steuern ein ſchlechterer Conſument. „Beſſer man laſſe die Floren- tiner unterliegen, dann ſiedeln ſie, des freiſtädtiſchen Lebens gewohnt, zu uns über und bringen ihre Seiden- und Wollenweberei mit, wie die bedrängten Luccheſen gethan haben.” Das merkwürdigſte aber iſt die Rede des ſterben- den Dogen Mocenigo (1423) an einige Senatoren, die er vor ſein Bett kommen ließ 2). Sie enthält die wichtigſten Elemente einer Statiſtik der geſammten Kraft und Habe Venedigs. Ich weiß nicht, ob und wo eine gründliche Er- läuterung dieſes ſchwierigen Actenſtückes exiſtirt; nur als Curioſität mag Folgendes angeführt werden. Nach ge- ſchehener Abbezahlung von 4 Millionen Ducaten eines Kriegs-Anleihens betrug die Staatsſchuld (il monte) da- mals noch 6 Mill. Ducaten. Der Geſammtumlauf des 1. Abſchnitt. Populationiſtik. Das Soll und Haben. 1) Vorzüglich Marin Sanudo, in den vite de' Duchi di Venezia, Murat. XXII, passim. 2) Bei Sanudo l. c. Col. 958. Das auf den Handel bezügliche iſt daraus mitgetheilt bei Scherer, Allg. Geſch. des Welthandels, I, 326. Anm.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/81>, abgerufen am 28.11.2024.