1. Abschnitt.und in zweiter Linie die entwickeltern italienischen Fürsten- thümer. Der Lehnsstaat des Mittelalters bringt höchstens Gesammt-Verzeichnisse der fürstlichen Rechte und Nutzbar- keiten (Urbarien) hervor; er faßt die Production als eine stehende auf, was sie annäherungsweise auch ist, so lange es sich wesentlich um Grund und Boden handelt. Diesem gegenüber haben die Städte im ganzen Abendlande wahr- scheinlich von frühe an ihre Production, die sich auf In- dustrie und Handel bezog, als eine höchst bewegliche erkannt und danach behandelt, allein es blieb -- selbst in den Blüthe- zeiten der Hansa -- bei einer einseitig commerciellen Bilanz. Flotten, Heere, politischer Druck und Einfluß kamen einfach unter das Soll und Haben eines kaufmännnischen Haupt- buches zu stehen. Erst in den italienischen Staaten ver- einigen sich die Consequenzen einer völligen politischen Be- wußtheit, das Vorbild mohammedanischer Administration und ein uralter starker Betrieb der Production und des Handels selbst, um eine wahre Statistik zu begründen. 1) Der unteritalische Zwangsstaat Kaiser Friedrichs II. (S. 3) war einseitig auf Concentration der Macht zum Zwecke eines Kampfes um Sein oder Nichtsein organisirt gewesen. In Venedig dagegen sind die letzten Zwecke Genuß der Macht und des Lebens, Weiterbildung des von den Vor- fahren Ererbten, Ansammlung der gewinnreichsten Industrien und Eröffnung stets neuer Absatzwege.
1) Noch in ziemlich beschränktem Sinne entworfen und doch schon sehr wichtig ist die statist. Uebersicht von Mailand, im Manipulus Florum (bei Murat. XI, 711, s.) vom Jahre 1288. Sie zählt auf: Hausthüren, Bevölkerung, Waffenfähige, Loggien der Adlichen, Brunnen, Oefen, Schenken, Fleischerbuden, Fischer, Kornbedarf, Hunde, Jagdvögel, Preise von Holz, Heu, Wein und Salz, -- ferner Richter, Notare, Aerzte, Schullehrer, Abschreiber, Waffen- schmiede, Hufschmiede, Hospitäler, Klöster, Stifte und geistliche Corporationen.
1. Abſchnitt.und in zweiter Linie die entwickeltern italieniſchen Fürſten- thümer. Der Lehnsſtaat des Mittelalters bringt höchſtens Geſammt-Verzeichniſſe der fürſtlichen Rechte und Nutzbar- keiten (Urbarien) hervor; er faßt die Production als eine ſtehende auf, was ſie annäherungsweiſe auch iſt, ſo lange es ſich weſentlich um Grund und Boden handelt. Dieſem gegenüber haben die Städte im ganzen Abendlande wahr- ſcheinlich von frühe an ihre Production, die ſich auf In- duſtrie und Handel bezog, als eine höchſt bewegliche erkannt und danach behandelt, allein es blieb — ſelbſt in den Blüthe- zeiten der Hanſa — bei einer einſeitig commerciellen Bilanz. Flotten, Heere, politiſcher Druck und Einfluß kamen einfach unter das Soll und Haben eines kaufmännniſchen Haupt- buches zu ſtehen. Erſt in den italieniſchen Staaten ver- einigen ſich die Conſequenzen einer völligen politiſchen Be- wußtheit, das Vorbild mohammedaniſcher Adminiſtration und ein uralter ſtarker Betrieb der Production und des Handels ſelbſt, um eine wahre Statiſtik zu begründen. 1) Der unteritaliſche Zwangsſtaat Kaiſer Friedrichs II. (S. 3) war einſeitig auf Concentration der Macht zum Zwecke eines Kampfes um Sein oder Nichtſein organiſirt geweſen. In Venedig dagegen ſind die letzten Zwecke Genuß der Macht und des Lebens, Weiterbildung des von den Vor- fahren Ererbten, Anſammlung der gewinnreichſten Induſtrien und Eröffnung ſtets neuer Abſatzwege.
1) Noch in ziemlich beſchränktem Sinne entworfen und doch ſchon ſehr wichtig iſt die ſtatiſt. Ueberſicht von Mailand, im Manipulus Florum (bei Murat. XI, 711, s.) vom Jahre 1288. Sie zählt auf: Hausthüren, Bevölkerung, Waffenfähige, Loggien der Adlichen, Brunnen, Oefen, Schenken, Fleiſcherbuden, Fiſcher, Kornbedarf, Hunde, Jagdvögel, Preiſe von Holz, Heu, Wein und Salz, — ferner Richter, Notare, Aerzte, Schullehrer, Abſchreiber, Waffen- ſchmiede, Hufſchmiede, Hoſpitäler, Klöſter, Stifte und geiſtliche Corporationen.
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ſtehende auf, was ſie annäherungsweiſe auch iſt, ſo lange
es ſich weſentlich um Grund und Boden handelt. Dieſem
gegenüber haben die Städte im ganzen Abendlande wahr-
ſcheinlich von frühe an ihre Production, die ſich auf In-
duſtrie und Handel bezog, als eine höchſt bewegliche erkannt
und danach behandelt, allein es blieb — ſelbſt in den Blüthe-
zeiten der Hanſa — bei einer einſeitig commerciellen Bilanz.
Flotten, Heere, politiſcher Druck und Einfluß kamen einfach
unter das Soll und Haben eines kaufmännniſchen Haupt-
buches zu ſtehen. Erſt in den italieniſchen Staaten ver-
einigen ſich die Conſequenzen einer völligen politiſchen Be-
wußtheit, das Vorbild mohammedaniſcher Adminiſtration
und ein uralter ſtarker Betrieb der Production und des
Handels ſelbſt, um eine wahre Statiſtik zu begründen. 1)
Der unteritaliſche Zwangsſtaat Kaiſer Friedrichs II. (S. 3)
war einſeitig auf Concentration der Macht zum Zwecke
eines Kampfes um Sein oder Nichtſein organiſirt geweſen.
In Venedig dagegen ſind die letzten Zwecke Genuß der
Macht und des Lebens, Weiterbildung des von den Vor-
fahren Ererbten, Anſammlung der gewinnreichſten Induſtrien
und Eröffnung ſtets neuer Abſatzwege.
1. Abſchnitt.
1) Noch in ziemlich beſchränktem Sinne entworfen und doch ſchon ſehr
wichtig iſt die ſtatiſt. Ueberſicht von Mailand, im Manipulus
Florum (bei Murat. XI, 711, s.) vom Jahre 1288. Sie zählt
auf: Hausthüren, Bevölkerung, Waffenfähige, Loggien der Adlichen,
Brunnen, Oefen, Schenken, Fleiſcherbuden, Fiſcher, Kornbedarf,
Hunde, Jagdvögel, Preiſe von Holz, Heu, Wein und Salz, —
ferner Richter, Notare, Aerzte, Schullehrer, Abſchreiber, Waffen-
ſchmiede, Hufſchmiede, Hoſpitäler, Klöſter, Stifte und geiſtliche
Corporationen.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/80>, abgerufen am 16.02.2025.
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