Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Abschnitt.noch wahrhaft glänzend; aber die aufgesammelte Energie
und das allgemeine Vorurtheil Europa's genügten auch
später noch, um Venedig selbst die schwersten Schläge lange
überdauern zu lassen: die Entdeckung des Seeweges nach
Ostindien, den Sturz der Mamelukenherrschaft von Aegypten
und den Krieg der Liga von Cambray.

Der Staat.Sabellico, der aus der Gegend von Tivoli gebürtig
und an das ungenirte Redewerk der damaligen Philologen
gewöhnt war, bemerkt an einem andern Orte 1) mit einigem
Erstaunen, daß die jungen Nobili, welche seine Morgen-
vorlesungen hörten, sich gar nicht auf das Politisiren mit
ihm einlassen wollten: "wenn ich sie frage, was die Leute
von dieser oder jener Bewegung in Italien dächten, sprächen
und erwarteten, antworten sie mir alle mit Einer Stimme,
sie wüßten nichts". Man konnte aber von dem demorali-
sirten Theil des Adels trotz aller Staatsinquisition mancherlei
Die Verräther.erfahren, nur nicht so wohlfeilen Kaufes. Im letzten Viertel
des XV. Jahrhunderts gab es Verräther in den höchsten
Behörden; 2) die Päpste, die italienischen Fürsten, ja ganz
mittelmäßige Condottieren im Dienst der Republik hatten
ihre Zuträger, zum Theil mit regelmäßiger Besoldung;
es war so weit gekommen, daß der Rath der Zehn für gut
fand, dem Rath der Pregadi wichtigere politische Nach-
richten zu verbergen, ja man nahm an daß Lodovico Moro
in den Pregadi über eine ganz bestimmte Stimmenzahl ver-
füge. Ob das nächtliche Aufhenken einzelner Schuldigen
und die hohe Belohnung der Angeber (z. B. sechszig Du-
caten lebenslängliche Pension) viel fruchteten, ist schwer zu
sagen; eine Hauptursache, die Armuth vieler Nobili, ließ
sich nicht plötzlich beseitigen. Im J. 1492 betrieben zwei

1) Epistolae, lib. V, fol. 28.
2) Malipiero, ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 377. 431. 481.
493. 530. II, p. 661. 668. 679. -- Chron. venetum,
bei Murat.
XXIV. Col. 57. -- Diario Ferrarese, ib. Col.
240.

1. Abſchnitt.noch wahrhaft glänzend; aber die aufgeſammelte Energie
und das allgemeine Vorurtheil Europa's genügten auch
ſpäter noch, um Venedig ſelbſt die ſchwerſten Schläge lange
überdauern zu laſſen: die Entdeckung des Seeweges nach
Oſtindien, den Sturz der Mamelukenherrſchaft von Aegypten
und den Krieg der Liga von Cambray.

Der Staat.Sabellico, der aus der Gegend von Tivoli gebürtig
und an das ungenirte Redewerk der damaligen Philologen
gewöhnt war, bemerkt an einem andern Orte 1) mit einigem
Erſtaunen, daß die jungen Nobili, welche ſeine Morgen-
vorleſungen hörten, ſich gar nicht auf das Politiſiren mit
ihm einlaſſen wollten: „wenn ich ſie frage, was die Leute
von dieſer oder jener Bewegung in Italien dächten, ſprächen
und erwarteten, antworten ſie mir alle mit Einer Stimme,
ſie wüßten nichts”. Man konnte aber von dem demorali-
ſirten Theil des Adels trotz aller Staatsinquiſition mancherlei
Die Verräther.erfahren, nur nicht ſo wohlfeilen Kaufes. Im letzten Viertel
des XV. Jahrhunderts gab es Verräther in den höchſten
Behörden; 2) die Päpſte, die italieniſchen Fürſten, ja ganz
mittelmäßige Condottieren im Dienſt der Republik hatten
ihre Zuträger, zum Theil mit regelmäßiger Beſoldung;
es war ſo weit gekommen, daß der Rath der Zehn für gut
fand, dem Rath der Pregadi wichtigere politiſche Nach-
richten zu verbergen, ja man nahm an daß Lodovico Moro
in den Pregadi über eine ganz beſtimmte Stimmenzahl ver-
füge. Ob das nächtliche Aufhenken einzelner Schuldigen
und die hohe Belohnung der Angeber (z. B. ſechszig Du-
caten lebenslängliche Penſion) viel fruchteten, iſt ſchwer zu
ſagen; eine Haupturſache, die Armuth vieler Nobili, ließ
ſich nicht plötzlich beſeitigen. Im J. 1492 betrieben zwei

1) Epistolæ, lib. V, fol. 28.
2) Malipiero, ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 377. 431. 481.
493. 530. II, p. 661. 668. 679. — Chron. venetum,
bei Murat.
XXIV. Col. 57. — Diario Ferrarese, ib. Col.
240.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="64"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">1. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>noch wahrhaft glänzend; aber die aufge&#x017F;ammelte Energie<lb/>
und das allgemeine Vorurtheil Europa's genügten auch<lb/>
&#x017F;päter noch, um Venedig &#x017F;elb&#x017F;t die &#x017F;chwer&#x017F;ten Schläge lange<lb/>
überdauern zu la&#x017F;&#x017F;en: die Entdeckung des Seeweges nach<lb/>
O&#x017F;tindien, den Sturz der Mamelukenherr&#x017F;chaft von Aegypten<lb/>
und den Krieg der Liga von Cambray.</p><lb/>
        <p><note place="left">Der Staat.</note>Sabellico, der aus der Gegend von Tivoli gebürtig<lb/>
und an das ungenirte Redewerk der damaligen Philologen<lb/>
gewöhnt war, bemerkt an einem andern Orte <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Epistolæ, lib. V, fol.</hi> 28.</note> mit einigem<lb/>
Er&#x017F;taunen, daß die jungen Nobili, welche &#x017F;eine Morgen-<lb/>
vorle&#x017F;ungen hörten, &#x017F;ich gar nicht auf das Politi&#x017F;iren mit<lb/>
ihm einla&#x017F;&#x017F;en wollten: &#x201E;wenn ich &#x017F;ie frage, was die Leute<lb/>
von die&#x017F;er oder jener Bewegung in Italien dächten, &#x017F;prächen<lb/>
und erwarteten, antworten &#x017F;ie mir alle mit Einer Stimme,<lb/>
&#x017F;ie wüßten nichts&#x201D;. Man konnte aber von dem demorali-<lb/>
&#x017F;irten Theil des Adels trotz aller Staatsinqui&#x017F;ition mancherlei<lb/><note place="left">Die Verräther.</note>erfahren, nur nicht &#x017F;o wohlfeilen Kaufes. Im letzten Viertel<lb/>
des <hi rendition="#aq">XV.</hi> Jahrhunderts gab es Verräther in den höch&#x017F;ten<lb/>
Behörden; <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Malipiero, ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 377. 431. 481.<lb/>
493. 530. II, p. 661. 668. 679. &#x2014; Chron. venetum,</hi> bei <hi rendition="#aq">Murat.<lb/>
XXIV. Col. 57. &#x2014; Diario Ferrarese, ib. Col.</hi> 240.</note> die Päp&#x017F;te, die italieni&#x017F;chen Für&#x017F;ten, ja ganz<lb/>
mittelmäßige Condottieren im Dien&#x017F;t der Republik hatten<lb/>
ihre Zuträger, zum Theil mit regelmäßiger Be&#x017F;oldung;<lb/>
es war &#x017F;o weit gekommen, daß der Rath der Zehn für gut<lb/>
fand, dem Rath der Pregadi wichtigere politi&#x017F;che Nach-<lb/>
richten zu verbergen, ja man nahm an daß Lodovico Moro<lb/>
in den Pregadi über eine ganz be&#x017F;timmte Stimmenzahl ver-<lb/>
füge. Ob das nächtliche Aufhenken einzelner Schuldigen<lb/>
und die hohe Belohnung der Angeber (z. B. &#x017F;echszig Du-<lb/>
caten lebenslängliche Pen&#x017F;ion) viel fruchteten, i&#x017F;t &#x017F;chwer zu<lb/>
&#x017F;agen; eine Hauptur&#x017F;ache, die Armuth vieler Nobili, ließ<lb/>
&#x017F;ich nicht plötzlich be&#x017F;eitigen. Im J. 1492 betrieben zwei<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0074] noch wahrhaft glänzend; aber die aufgeſammelte Energie und das allgemeine Vorurtheil Europa's genügten auch ſpäter noch, um Venedig ſelbſt die ſchwerſten Schläge lange überdauern zu laſſen: die Entdeckung des Seeweges nach Oſtindien, den Sturz der Mamelukenherrſchaft von Aegypten und den Krieg der Liga von Cambray. 1. Abſchnitt. Sabellico, der aus der Gegend von Tivoli gebürtig und an das ungenirte Redewerk der damaligen Philologen gewöhnt war, bemerkt an einem andern Orte 1) mit einigem Erſtaunen, daß die jungen Nobili, welche ſeine Morgen- vorleſungen hörten, ſich gar nicht auf das Politiſiren mit ihm einlaſſen wollten: „wenn ich ſie frage, was die Leute von dieſer oder jener Bewegung in Italien dächten, ſprächen und erwarteten, antworten ſie mir alle mit Einer Stimme, ſie wüßten nichts”. Man konnte aber von dem demorali- ſirten Theil des Adels trotz aller Staatsinquiſition mancherlei erfahren, nur nicht ſo wohlfeilen Kaufes. Im letzten Viertel des XV. Jahrhunderts gab es Verräther in den höchſten Behörden; 2) die Päpſte, die italieniſchen Fürſten, ja ganz mittelmäßige Condottieren im Dienſt der Republik hatten ihre Zuträger, zum Theil mit regelmäßiger Beſoldung; es war ſo weit gekommen, daß der Rath der Zehn für gut fand, dem Rath der Pregadi wichtigere politiſche Nach- richten zu verbergen, ja man nahm an daß Lodovico Moro in den Pregadi über eine ganz beſtimmte Stimmenzahl ver- füge. Ob das nächtliche Aufhenken einzelner Schuldigen und die hohe Belohnung der Angeber (z. B. ſechszig Du- caten lebenslängliche Penſion) viel fruchteten, iſt ſchwer zu ſagen; eine Haupturſache, die Armuth vieler Nobili, ließ ſich nicht plötzlich beſeitigen. Im J. 1492 betrieben zwei Der Staat. Die Verräther. 1) Epistolæ, lib. V, fol. 28. 2) Malipiero, ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 377. 431. 481. 493. 530. II, p. 661. 668. 679. — Chron. venetum, bei Murat. XXIV. Col. 57. — Diario Ferrarese, ib. Col. 240.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/74
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/74>, abgerufen am 28.11.2024.