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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.lichen Aussagen vergebens suchen; die Betreffenden glaubten
zum Theil noch Christen zu sein und respectirten außerdem
aus verschiedenen Gründen die vorhandene Kirchenlehre.
Die italien.
Antitrinitarier.
Aber zur Zeit der Reformation, als die Gedanken gezwungen
waren, sich abzuklären, gelangte diese Denkweise zu einem
deutlichern Bewußtsein; eine Anzahl der italienischen Pro-
testanten erwiesen sich als Antitrinitarier und die Socinianer
machten sogar als Flüchtlinge in weiter Ferne den denk-
würdigen Versuch, eine Kirche in diesem Sinn zu consti-
tuiren. Aus dem bisher gesagten wird wenigstens so viel
klar geworden sein, daß außer dem humanistischen Ratio-
nalismus noch andere Geister in diese Segel wehten.

Ein Mittelpunct der ganzen theistischen Denkweise ist
Lorenzo magni-
fico und sein
Kreis.
wohl in der platonischen Academie von Florenz und ganz
besonders in Lorenzo magnifico selbst zu suchen. Die theo-
retischen Werke und selbst die Briefe jener Männer geben
doch nur die Hälfte ihres Wesens. Es ist wahr, daß Lo-
renzo von Jugend auf bis an sein Lebensende sich dogma-
tisch christlich geäußert hat 1) und daß Pico sogar unter die
Herrschaft Savonarola's und in eine mönchisch ascetische
Gesinnung hinein gerieth 2). Allein in den Hymnen Lo-
renzo's 3), welche wir als das höchste Resultat des Geistes
jener Schule zu bezeichnen versucht sind, spricht ohne Rück-
halt der Theismus, und zwar von einer Anschauung aus,

1) Nic. Valori, vita di Lorenzo, passim. -- Die schöne Instruction
an seinen Sohn Cardinal Giovanni, bei Fabroni, Laurentius,
Adnot.
178 und in den Beilagen zu Roscoe, Leben des Lorenzo.
2) Jo. Pici vita, auct. Jo. Franc. Pico. -- Seine Deprecatio ad
Deum,
in den Deliciae poetar. italor.
3) Es sind die Gesänge: Orazione ("Magno Dio, per la cui costante
legge etc.",
bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 120);
-- der Hymnus ("Oda il sacro inno tutta la natura etc.," bei
Fabroni, Laurentius, Adnot. 9); -- L'altercazione (Poesie
di Lorenzo magn. I, p. 265;
in letzterer Sammlung sind auch
die übrigen hier genannten Gedichte mit abgedruckt).

6. Abſchnitt.lichen Ausſagen vergebens ſuchen; die Betreffenden glaubten
zum Theil noch Chriſten zu ſein und reſpectirten außerdem
aus verſchiedenen Gründen die vorhandene Kirchenlehre.
Die italien.
Antitrinitarier.
Aber zur Zeit der Reformation, als die Gedanken gezwungen
waren, ſich abzuklären, gelangte dieſe Denkweiſe zu einem
deutlichern Bewußtſein; eine Anzahl der italieniſchen Pro-
teſtanten erwieſen ſich als Antitrinitarier und die Socinianer
machten ſogar als Flüchtlinge in weiter Ferne den denk-
würdigen Verſuch, eine Kirche in dieſem Sinn zu conſti-
tuiren. Aus dem bisher geſagten wird wenigſtens ſo viel
klar geworden ſein, daß außer dem humaniſtiſchen Ratio-
nalismus noch andere Geiſter in dieſe Segel wehten.

Ein Mittelpunct der ganzen theiſtiſchen Denkweiſe iſt
Lorenzo magni-
fico und ſein
Kreis.
wohl in der platoniſchen Academie von Florenz und ganz
beſonders in Lorenzo magnifico ſelbſt zu ſuchen. Die theo-
retiſchen Werke und ſelbſt die Briefe jener Männer geben
doch nur die Hälfte ihres Weſens. Es iſt wahr, daß Lo-
renzo von Jugend auf bis an ſein Lebensende ſich dogma-
tiſch chriſtlich geäußert hat 1) und daß Pico ſogar unter die
Herrſchaft Savonarola's und in eine mönchiſch ascetiſche
Geſinnung hinein gerieth 2). Allein in den Hymnen Lo-
renzo's 3), welche wir als das höchſte Reſultat des Geiſtes
jener Schule zu bezeichnen verſucht ſind, ſpricht ohne Rück-
halt der Theismus, und zwar von einer Anſchauung aus,

1) Nic. Valori, vita di Lorenzo, passim. — Die ſchöne Inſtruction
an ſeinen Sohn Cardinal Giovanni, bei Fabroni, Laurentius,
Adnot.
178 und in den Beilagen zu Roscoe, Leben des Lorenzo.
2) Jo. Pici vita, auct. Jo. Franc. Pico. — Seine Deprecatio ad
Deum,
in den Deliciæ poetar. italor.
3) Es ſind die Geſänge: Orazione („Magno Dio, per la cui costante
legge etc.“,
bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 120);
— der Hymnus („Oda il sacro inno tutta la natura etc.,“ bei
Fabroni, Laurentius, Adnot. 9); — L'altercazione (Poesie
di Lorenzo magn. I, p. 265;
in letzterer Sammlung ſind auch
die übrigen hier genannten Gedichte mit abgedruckt).
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[560/0570] lichen Ausſagen vergebens ſuchen; die Betreffenden glaubten zum Theil noch Chriſten zu ſein und reſpectirten außerdem aus verſchiedenen Gründen die vorhandene Kirchenlehre. Aber zur Zeit der Reformation, als die Gedanken gezwungen waren, ſich abzuklären, gelangte dieſe Denkweiſe zu einem deutlichern Bewußtſein; eine Anzahl der italieniſchen Pro- teſtanten erwieſen ſich als Antitrinitarier und die Socinianer machten ſogar als Flüchtlinge in weiter Ferne den denk- würdigen Verſuch, eine Kirche in dieſem Sinn zu conſti- tuiren. Aus dem bisher geſagten wird wenigſtens ſo viel klar geworden ſein, daß außer dem humaniſtiſchen Ratio- nalismus noch andere Geiſter in dieſe Segel wehten. 6. Abſchnitt. Die italien. Antitrinitarier. Ein Mittelpunct der ganzen theiſtiſchen Denkweiſe iſt wohl in der platoniſchen Academie von Florenz und ganz beſonders in Lorenzo magnifico ſelbſt zu ſuchen. Die theo- retiſchen Werke und ſelbſt die Briefe jener Männer geben doch nur die Hälfte ihres Weſens. Es iſt wahr, daß Lo- renzo von Jugend auf bis an ſein Lebensende ſich dogma- tiſch chriſtlich geäußert hat 1) und daß Pico ſogar unter die Herrſchaft Savonarola's und in eine mönchiſch ascetiſche Geſinnung hinein gerieth 2). Allein in den Hymnen Lo- renzo's 3), welche wir als das höchſte Reſultat des Geiſtes jener Schule zu bezeichnen verſucht ſind, ſpricht ohne Rück- halt der Theismus, und zwar von einer Anſchauung aus, Lorenzo magni- fico und ſein Kreis. 1) Nic. Valori, vita di Lorenzo, passim. — Die ſchöne Inſtruction an ſeinen Sohn Cardinal Giovanni, bei Fabroni, Laurentius, Adnot. 178 und in den Beilagen zu Roscoe, Leben des Lorenzo. 2) Jo. Pici vita, auct. Jo. Franc. Pico. — Seine Deprecatio ad Deum, in den Deliciæ poetar. italor. 3) Es ſind die Geſänge: Orazione („Magno Dio, per la cui costante legge etc.“, bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi, VIII, p. 120); — der Hymnus („Oda il sacro inno tutta la natura etc.,“ bei Fabroni, Laurentius, Adnot. 9); — L'altercazione (Poesie di Lorenzo magn. I, p. 265; in letzterer Sammlung ſind auch die übrigen hier genannten Gedichte mit abgedruckt).

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/570>, abgerufen am 21.11.2024.