6. Abschnitt.erzählt Charon dem Mercur, wie er den Aristoteles bei der Unsterblichkeit der Seele.Ueberfahrt im Nachen selber um seinen Unsterblichkeits- glauben befragt habe; der vorsichtige Philosoph, obwohl selber bereits leiblich gestorben und dennoch fortlebend, habe sich auch jetzt nicht mit einer klaren Antwort compromittiren wollen; wie werde es erst nach vielen Jahrhunderten mit der Deutung seiner Schriften gehen! -- Nur um so eifri- ger stritt man über seine und anderer alten Schriftsteller Meinungen in Betreff der wahren Beschaffenheit der Seele, ihren Ursprung, ihre Präexistenz, ihre Einheit in allen Menschen, ihre absolute Ewigkeit, ja ihre Wanderungen, und es gab Leute die dergleichen auf die Kanzel brachten. 1) Die Debatte wurde überhaupt schon im XV. Jahrh. sehr laut; die einen bewiesen daß Aristoteles allerdings eine unsterbliche Seele lehre 2); andere klagten über die Herzens- härte der Menschen, welche die Seele gern breit auf einem Stuhl vor sich sitzen sähen um überhaupt an ihr Dasein zu glauben 3); Filelfo in seiner Leichenrede auf Francesco Sforza führt eine bunte Reihe von Aussagen antiker und selbst arabischer Philosophen zu Gunsten der Unsterblichkeit an und schließt dieß im Druck 4) anderthalb enge Folio- seiten betragende Gemisch mit zwei Zeilen: "überdieß haben wir das alte und neue Testament was über alle Wahrheit ist". Dazwischen kamen die florentinischen Platoniker mit der Seelenlehre Plato's, und, wie z. B. Pico, mit sehr wesentlicher Ergänzung derselben aus der Lehre des Christen- thums. Allein die Gegner erfüllten die gebildete Welt mit ihrer Meinung. Zu Anfang des XVI. Jahrh. war das Aergerniß das die Kirche darob empfand, so hoch gestiegen, daß Leo X. auf dem lateranensischen Concil (1513) eine
1)Faustini Terdocei triumphus stultitiae, L. II.
2) So Borbone Morosini um 1460, vgl. Sansovino, Venezia, L. XIII, p. 243.
3)Vespas. Fiorentin. p. 260.
4)Orationes Philelphi, fol. 8.
6. Abſchnitt.erzählt Charon dem Mercur, wie er den Ariſtoteles bei der Unſterblichkeit der Seele.Ueberfahrt im Nachen ſelber um ſeinen Unſterblichkeits- glauben befragt habe; der vorſichtige Philoſoph, obwohl ſelber bereits leiblich geſtorben und dennoch fortlebend, habe ſich auch jetzt nicht mit einer klaren Antwort compromittiren wollen; wie werde es erſt nach vielen Jahrhunderten mit der Deutung ſeiner Schriften gehen! — Nur um ſo eifri- ger ſtritt man über ſeine und anderer alten Schriftſteller Meinungen in Betreff der wahren Beſchaffenheit der Seele, ihren Urſprung, ihre Präexiſtenz, ihre Einheit in allen Menſchen, ihre abſolute Ewigkeit, ja ihre Wanderungen, und es gab Leute die dergleichen auf die Kanzel brachten. 1) Die Debatte wurde überhaupt ſchon im XV. Jahrh. ſehr laut; die einen bewieſen daß Ariſtoteles allerdings eine unſterbliche Seele lehre 2); andere klagten über die Herzens- härte der Menſchen, welche die Seele gern breit auf einem Stuhl vor ſich ſitzen ſähen um überhaupt an ihr Daſein zu glauben 3); Filelfo in ſeiner Leichenrede auf Francesco Sforza führt eine bunte Reihe von Ausſagen antiker und ſelbſt arabiſcher Philoſophen zu Gunſten der Unſterblichkeit an und ſchließt dieß im Druck 4) anderthalb enge Folio- ſeiten betragende Gemiſch mit zwei Zeilen: „überdieß haben wir das alte und neue Teſtament was über alle Wahrheit iſt“. Dazwiſchen kamen die florentiniſchen Platoniker mit der Seelenlehre Plato's, und, wie z. B. Pico, mit ſehr weſentlicher Ergänzung derſelben aus der Lehre des Chriſten- thums. Allein die Gegner erfüllten die gebildete Welt mit ihrer Meinung. Zu Anfang des XVI. Jahrh. war das Aergerniß das die Kirche darob empfand, ſo hoch geſtiegen, daß Leo X. auf dem lateranenſiſchen Concil (1513) eine
1)Faustini Terdocei triumphus stultitiæ, L. II.
2) So Borbone Moroſini um 1460, vgl. Sansovino, Venezia, L. XIII, p. 243.
3)Vespas. Fiorentin. p. 260.
4)Orationes Philelphi, fol. 8.
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[554/0564]
erzählt Charon dem Mercur, wie er den Ariſtoteles bei der
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ſelber bereits leiblich geſtorben und dennoch fortlebend, habe
ſich auch jetzt nicht mit einer klaren Antwort compromittiren
wollen; wie werde es erſt nach vielen Jahrhunderten mit
der Deutung ſeiner Schriften gehen! — Nur um ſo eifri-
ger ſtritt man über ſeine und anderer alten Schriftſteller
Meinungen in Betreff der wahren Beſchaffenheit der Seele,
ihren Urſprung, ihre Präexiſtenz, ihre Einheit in allen
Menſchen, ihre abſolute Ewigkeit, ja ihre Wanderungen,
und es gab Leute die dergleichen auf die Kanzel brachten. 1)
Die Debatte wurde überhaupt ſchon im XV. Jahrh. ſehr
laut; die einen bewieſen daß Ariſtoteles allerdings eine
unſterbliche Seele lehre 2); andere klagten über die Herzens-
härte der Menſchen, welche die Seele gern breit auf einem
Stuhl vor ſich ſitzen ſähen um überhaupt an ihr Daſein
zu glauben 3); Filelfo in ſeiner Leichenrede auf Francesco
Sforza führt eine bunte Reihe von Ausſagen antiker und
ſelbſt arabiſcher Philoſophen zu Gunſten der Unſterblichkeit
an und ſchließt dieß im Druck 4) anderthalb enge Folio-
ſeiten betragende Gemiſch mit zwei Zeilen: „überdieß haben
wir das alte und neue Teſtament was über alle Wahrheit
iſt“. Dazwiſchen kamen die florentiniſchen Platoniker mit
der Seelenlehre Plato's, und, wie z. B. Pico, mit ſehr
weſentlicher Ergänzung derſelben aus der Lehre des Chriſten-
thums. Allein die Gegner erfüllten die gebildete Welt mit
ihrer Meinung. Zu Anfang des XVI. Jahrh. war das
Aergerniß das die Kirche darob empfand, ſo hoch geſtiegen,
daß Leo X. auf dem lateranenſiſchen Concil (1513) eine
6. Abſchnitt.
Unſterblichkeit
der Seele.
1) Faustini Terdocei triumphus stultitiæ, L. II.
2) So Borbone Moroſini um 1460, vgl. Sansovino, Venezia, L. XIII,
p. 243.
3) Vespas. Fiorentin. p. 260.
4) Orationes Philelphi, fol. 8.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/564>, abgerufen am 24.11.2024.
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