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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.es zu merken, ein ganz wohlerhaltenes Stück antiker My-
thologie. An der dalmatinischen Küste nämlich erscheint ein
Triton, bärtig und mit Hörnchen, als echter Meersatyr,
unten in Flossen und einen Fischleib ausgehend; er fängt
Kinder und Weiber vom Ufer weg, bis ihn fünf tapfere
Waschfrauen mit Steinen und Prügeln tödten 1). Ein
hölzernes Modell des Ungethüms, welches man in Ferrara
zeigt, macht dem Poggio die Sache völlig glaublich. Zwar
Orakel gab es keine mehr und Götter konnte man nicht
mehr befragen, aber das Aufschlagen des Virgil und die
ominöse Deutung der Stelle auf die man traf (sortes
virgilianae
) wurde wieder Mode 2). Außerdem blieb der
Dämonenglauben des spätesten Alterthums gewiß nicht ohne
Einfluß auf denjenigen der Renaissance. Die Schrift des
Jamblichus oder Abammon über die Mysterien der Aegypter,
welche hiezu dienen konnte, ist schon zu Ende des XV.
Jahrhunderts in lateinischer Uebersetzung gedruckt worden.
Sogar die platonische Academie in Florenz z. B. ist von
solchem und ähnlichem neuplatonischem Wahn der sinkenden
Römerzeit nicht ganz frei geblieben. Von diesem Glauben
an die Dämonen und dem damit zusammenhängenden Zauber
muß nunmehr die Rede sein.

Gespenster
Verstorbener.
Der Populärglaube an das was man die Geisterwelt
nennt 3), ist in Italien so ziemlich derselbe wie im übrigen
Europa. Zunächst giebt es auch dort Gespenster, d. h. Er-

1) Poggii facetiae, fol. 160. cf. Pausanias IX, 20.
2) Varchi III, p. 195. Zwei Verdächtige entschließen sich 1529 zur
Flucht aus dem Staate, weil sie Virg. Aen. III, vs. 44 aufschlugen.
3) Phantasien von Gelehrten wie z. B. den splendor und den spiritus
des Cardanus und den Daemon familiaris seines Vaters lassen wir
auf sich beruhen. Vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 4. 38.
47. Er selber war Gegner der Magie, cap. 39. Die Prodigien
und Gespenster die ihm begegnet, cap. 37. 41. -- Wie weit die
Gespensterfurcht des letzten Visconti ging, vgl. Decembrio, bei Mu-
ratori XX, Col.
1016.

6. Abſchnitt.es zu merken, ein ganz wohlerhaltenes Stück antiker My-
thologie. An der dalmatiniſchen Küſte nämlich erſcheint ein
Triton, bärtig und mit Hörnchen, als echter Meerſatyr,
unten in Floſſen und einen Fiſchleib ausgehend; er fängt
Kinder und Weiber vom Ufer weg, bis ihn fünf tapfere
Waſchfrauen mit Steinen und Prügeln tödten 1). Ein
hölzernes Modell des Ungethüms, welches man in Ferrara
zeigt, macht dem Poggio die Sache völlig glaublich. Zwar
Orakel gab es keine mehr und Götter konnte man nicht
mehr befragen, aber das Aufſchlagen des Virgil und die
ominöſe Deutung der Stelle auf die man traf (sortes
virgilianæ
) wurde wieder Mode 2). Außerdem blieb der
Dämonenglauben des ſpäteſten Alterthums gewiß nicht ohne
Einfluß auf denjenigen der Renaiſſance. Die Schrift des
Jamblichus oder Abammon über die Myſterien der Aegypter,
welche hiezu dienen konnte, iſt ſchon zu Ende des XV.
Jahrhunderts in lateiniſcher Ueberſetzung gedruckt worden.
Sogar die platoniſche Academie in Florenz z. B. iſt von
ſolchem und ähnlichem neuplatoniſchem Wahn der ſinkenden
Römerzeit nicht ganz frei geblieben. Von dieſem Glauben
an die Dämonen und dem damit zuſammenhängenden Zauber
muß nunmehr die Rede ſein.

Geſpenſter
Verſtorbener.
Der Populärglaube an das was man die Geiſterwelt
nennt 3), iſt in Italien ſo ziemlich derſelbe wie im übrigen
Europa. Zunächſt giebt es auch dort Geſpenſter, d. h. Er-

1) Poggii facetiæ, fol. 160. cf. Pausanias IX, 20.
2) Varchi III, p. 195. Zwei Verdächtige entſchließen ſich 1529 zur
Flucht aus dem Staate, weil ſie Virg. Aen. III, vs. 44 aufſchlugen.
3) Phantaſien von Gelehrten wie z. B. den splendor und den spiritus
des Cardanus und den Dæmon familiaris ſeines Vaters laſſen wir
auf ſich beruhen. Vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 4. 38.
47. Er ſelber war Gegner der Magie, cap. 39. Die Prodigien
und Geſpenſter die ihm begegnet, cap. 37. 41. — Wie weit die
Geſpenſterfurcht des letzten Visconti ging, vgl. Decembrio, bei Mu-
ratori XX, Col.
1016.
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[528/0538] es zu merken, ein ganz wohlerhaltenes Stück antiker My- thologie. An der dalmatiniſchen Küſte nämlich erſcheint ein Triton, bärtig und mit Hörnchen, als echter Meerſatyr, unten in Floſſen und einen Fiſchleib ausgehend; er fängt Kinder und Weiber vom Ufer weg, bis ihn fünf tapfere Waſchfrauen mit Steinen und Prügeln tödten 1). Ein hölzernes Modell des Ungethüms, welches man in Ferrara zeigt, macht dem Poggio die Sache völlig glaublich. Zwar Orakel gab es keine mehr und Götter konnte man nicht mehr befragen, aber das Aufſchlagen des Virgil und die ominöſe Deutung der Stelle auf die man traf (sortes virgilianæ) wurde wieder Mode 2). Außerdem blieb der Dämonenglauben des ſpäteſten Alterthums gewiß nicht ohne Einfluß auf denjenigen der Renaiſſance. Die Schrift des Jamblichus oder Abammon über die Myſterien der Aegypter, welche hiezu dienen konnte, iſt ſchon zu Ende des XV. Jahrhunderts in lateiniſcher Ueberſetzung gedruckt worden. Sogar die platoniſche Academie in Florenz z. B. iſt von ſolchem und ähnlichem neuplatoniſchem Wahn der ſinkenden Römerzeit nicht ganz frei geblieben. Von dieſem Glauben an die Dämonen und dem damit zuſammenhängenden Zauber muß nunmehr die Rede ſein. 6. Abſchnitt. Der Populärglaube an das was man die Geiſterwelt nennt 3), iſt in Italien ſo ziemlich derſelbe wie im übrigen Europa. Zunächſt giebt es auch dort Geſpenſter, d. h. Er- Geſpenſter Verſtorbener. 1) Poggii facetiæ, fol. 160. cf. Pausanias IX, 20. 2) Varchi III, p. 195. Zwei Verdächtige entſchließen ſich 1529 zur Flucht aus dem Staate, weil ſie Virg. Aen. III, vs. 44 aufſchlugen. 3) Phantaſien von Gelehrten wie z. B. den splendor und den spiritus des Cardanus und den Dæmon familiaris ſeines Vaters laſſen wir auf ſich beruhen. Vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 4. 38. 47. Er ſelber war Gegner der Magie, cap. 39. Die Prodigien und Geſpenſter die ihm begegnet, cap. 37. 41. — Wie weit die Geſpenſterfurcht des letzten Visconti ging, vgl. Decembrio, bei Mu- ratori XX, Col. 1016.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/538>, abgerufen am 28.11.2024.