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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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politischen Ereignissen die Sterne vorher befragt wurden,6. Abschnitt.
oder ob die Astrologen nur nachträglich aus Curiosität die
Constellation berechneten, welche den betreffenden Augenblick
beherrscht haben sollte. Als Giangaleazzo Visconti (S. 11)
mit einem Meisterstreich seinen Oheim Bernabo und dessen
Familie gefangen nahm (1385), standen Jupiter, Saturn
und Mars im Hause der Zwillinge -- so meldet ein Zeit-
genosse 1), aber wir erfahren nicht, ob dieß den Entschluß
zur That bestimmte. Nicht selten mag auch politische Ein-
sicht und Berechnung den Sterndeuter mehr geleitet haben
als der Gang der Planeten 2).

Hatte sich Europa schon das ganze spätere Mittelalter
hindurch von Paris und Toledo aus durch astrologische
Weissagungen von Pest, Krieg, Erdbeben, großen Wassern
u. dgl, ängstigen lassen, so blieb Italien hierin vollends
nicht zurück. Dem Unglücksjahr 1494, das den Fremden
für immer Italien öffnete, gingen unläugbar schlimme Weis-
sagungen nahe voraus 3), nur müßte man wissen, ob solche
nicht längst für jedes beliebige Jahr bereit lagen.

In seiner vollen, antiken Consequenz dehnt sich aberDie Religionen
von den Ster-
nen abhängig.

das System in Regionen aus, wo man nicht mehr erwarten
würde ihm zu begegnen. Wenn das ganze äußere und
geistige Leben des Individuums von dessen Genitura bedingt
ist, so befinden sich auch größere geistige Gruppen, z. B.

1) Azario, bei Corio, Fol. 258.
2) Etwas der Art könnte man selbst bei jenem türkischen Astrologen
vermuthen, der nach der Sch lacht von Nicopolis dem Sultan Baja-
zeth I. rieth, den Loskauf des Johann von Burgund zu gestatten:
"um seinetwillen werde noch viel Christenblut vergossen werden".
Es war nicht zu schwer, den weitern Verlauf des innern französischen
Krieges voraus zu ahnen. Magn. chron. belgicum, p. 358.
Juvenal des Ursins ad a.
1396.
3) Benedictus, bei Eccard II, Col. 1579. Es hieß u. a. 1493 vom
König Ferrante: er werde seine Herrschaft verlieren sine cruore,
sed sola fama,
wie denn auch geschah.

politiſchen Ereigniſſen die Sterne vorher befragt wurden,6. Abſchnitt.
oder ob die Aſtrologen nur nachträglich aus Curioſität die
Conſtellation berechneten, welche den betreffenden Augenblick
beherrſcht haben ſollte. Als Giangaleazzo Visconti (S. 11)
mit einem Meiſterſtreich ſeinen Oheim Bernabò und deſſen
Familie gefangen nahm (1385), ſtanden Jupiter, Saturn
und Mars im Hauſe der Zwillinge — ſo meldet ein Zeit-
genoſſe 1), aber wir erfahren nicht, ob dieß den Entſchluß
zur That beſtimmte. Nicht ſelten mag auch politiſche Ein-
ſicht und Berechnung den Sterndeuter mehr geleitet haben
als der Gang der Planeten 2).

Hatte ſich Europa ſchon das ganze ſpätere Mittelalter
hindurch von Paris und Toledo aus durch aſtrologiſche
Weiſſagungen von Peſt, Krieg, Erdbeben, großen Waſſern
u. dgl, ängſtigen laſſen, ſo blieb Italien hierin vollends
nicht zurück. Dem Unglücksjahr 1494, das den Fremden
für immer Italien öffnete, gingen unläugbar ſchlimme Weiſ-
ſagungen nahe voraus 3), nur müßte man wiſſen, ob ſolche
nicht längſt für jedes beliebige Jahr bereit lagen.

In ſeiner vollen, antiken Conſequenz dehnt ſich aberDie Religionen
von den Ster-
nen abhängig.

das Syſtem in Regionen aus, wo man nicht mehr erwarten
würde ihm zu begegnen. Wenn das ganze äußere und
geiſtige Leben des Individuums von deſſen Genitura bedingt
iſt, ſo befinden ſich auch größere geiſtige Gruppen, z. B.

1) Azario, bei Corio, Fol. 258.
2) Etwas der Art könnte man ſelbſt bei jenem türkiſchen Aſtrologen
vermuthen, der nach der Sch lacht von Nicopolis dem Sultan Baja-
zeth I. rieth, den Loskauf des Johann von Burgund zu geſtatten:
„um ſeinetwillen werde noch viel Chriſtenblut vergoſſen werden“.
Es war nicht zu ſchwer, den weitern Verlauf des innern franzöſiſchen
Krieges voraus zu ahnen. Magn. chron. belgicum, p. 358.
Juvénal des Ursins ad a.
1396.
3) Benedictus, bei Eccard II, Col. 1579. Es hieß u. a. 1493 vom
König Ferrante: er werde ſeine Herrſchaft verlieren sine cruore,
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[519/0529] politiſchen Ereigniſſen die Sterne vorher befragt wurden, oder ob die Aſtrologen nur nachträglich aus Curioſität die Conſtellation berechneten, welche den betreffenden Augenblick beherrſcht haben ſollte. Als Giangaleazzo Visconti (S. 11) mit einem Meiſterſtreich ſeinen Oheim Bernabò und deſſen Familie gefangen nahm (1385), ſtanden Jupiter, Saturn und Mars im Hauſe der Zwillinge — ſo meldet ein Zeit- genoſſe 1), aber wir erfahren nicht, ob dieß den Entſchluß zur That beſtimmte. Nicht ſelten mag auch politiſche Ein- ſicht und Berechnung den Sterndeuter mehr geleitet haben als der Gang der Planeten 2). 6. Abſchnitt. Hatte ſich Europa ſchon das ganze ſpätere Mittelalter hindurch von Paris und Toledo aus durch aſtrologiſche Weiſſagungen von Peſt, Krieg, Erdbeben, großen Waſſern u. dgl, ängſtigen laſſen, ſo blieb Italien hierin vollends nicht zurück. Dem Unglücksjahr 1494, das den Fremden für immer Italien öffnete, gingen unläugbar ſchlimme Weiſ- ſagungen nahe voraus 3), nur müßte man wiſſen, ob ſolche nicht längſt für jedes beliebige Jahr bereit lagen. In ſeiner vollen, antiken Conſequenz dehnt ſich aber das Syſtem in Regionen aus, wo man nicht mehr erwarten würde ihm zu begegnen. Wenn das ganze äußere und geiſtige Leben des Individuums von deſſen Genitura bedingt iſt, ſo befinden ſich auch größere geiſtige Gruppen, z. B. Die Religionen von den Ster- nen abhängig. 1) Azario, bei Corio, Fol. 258. 2) Etwas der Art könnte man ſelbſt bei jenem türkiſchen Aſtrologen vermuthen, der nach der Sch lacht von Nicopolis dem Sultan Baja- zeth I. rieth, den Loskauf des Johann von Burgund zu geſtatten: „um ſeinetwillen werde noch viel Chriſtenblut vergoſſen werden“. Es war nicht zu ſchwer, den weitern Verlauf des innern franzöſiſchen Krieges voraus zu ahnen. Magn. chron. belgicum, p. 358. Juvénal des Ursins ad a. 1396. 3) Benedictus, bei Eccard II, Col. 1579. Es hieß u. a. 1493 vom König Ferrante: er werde ſeine Herrſchaft verlieren sine cruore, sed sola fama, wie denn auch geſchah.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/529>, abgerufen am 28.11.2024.