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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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einer Menge ausgezeichneter Leute wird das Soll und Ha-6. Abschnitt.
ben ihres Glückes und Unglückes untersucht und die Summe
daraus in vorwiegend ungünstigem Sinn gezogen. In
höchst würdiger Welse, fast elegisch, schildert uns vorzüglich
Tristan Caracciolo 1) das Schicksal Italiens und der Ita-
liener, soweit es sich um 1510 überschauen ließ. Mit spe-
cieller Anwendung dieses herrschenden Grundgefühls auf
die Humanisten selber verfaßte dann später Pierio Valeriano
seine berühmte Abhandlung (S. 273). Es gab einzelne
ganz besonders anregende Themata dieser Art wie z. B.
das Glück Leo's X. Was von politischer Seite darüber
Günstiges gesagt werden kann, das hat Francesco Vettori
in scharfen Meisterzügen zusammengefaßt; das Bild seines
Genußlebens geben Paolo Giovio und die Biographie eines
Ungenannten 2); die Schattenseiten dieses Glückes verzeichnet
unerbittlich wie das Schicksal selbst der ebengenannte Pierio.

Daneben erregt es beinahe Grauen, wenn hie und daDas Rühmen
des Glückes.

sich Jemand öffentlich in lateinischer Inschrift des Glückes
rühmt. So wagte Giovanni II. Bentivoglio, Herrscher von
Bologna, an dem neu erbauten Thurme bei seinem Palaste
es in Stein hauen zu lassen: sein Verdienst und sein Glück
hätten ihm alle irgend wünschbaren Güter reichlich gewährt 3)

1) Caracciolo, de varietate fortunae, bei Murat. XXII. Eine der
lesenswerthesten Schriften jener sonst so reichen Jahre. Vgl. S. 331.
-- Die Fortuna bei festlichen Aufzügen, S. 418 u. Anm.
2) Leonis X. vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 153.
3) Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 909: monimen-
tum hoc conditum a Joanne Bentivolo secundo Patriae rec-
tore, cui virtus et fortuna cuncta quae optari possunt affatim
praestiterunt.
Es ist indeß nicht ganz klar, ob diese Inschrift außen
angebracht und sichtbar, oder wie die zunächst vorher mitgetheilte in
einem Grundstein verborgen war. Im letztern Fall verbände sich
wohl damit eine neue Idee: das Glück sollte durch die geheime
Schrift, die vielleicht nur noch der Chronist kannte, magisch an das
Gebäude gefesselt werden.

einer Menge ausgezeichneter Leute wird das Soll und Ha-6. Abſchnitt.
ben ihres Glückes und Unglückes unterſucht und die Summe
daraus in vorwiegend ungünſtigem Sinn gezogen. In
höchſt würdiger Welſe, faſt elegiſch, ſchildert uns vorzüglich
Triſtan Caracciolo 1) das Schickſal Italiens und der Ita-
liener, ſoweit es ſich um 1510 überſchauen ließ. Mit ſpe-
cieller Anwendung dieſes herrſchenden Grundgefühls auf
die Humaniſten ſelber verfaßte dann ſpäter Pierio Valeriano
ſeine berühmte Abhandlung (S. 273). Es gab einzelne
ganz beſonders anregende Themata dieſer Art wie z. B.
das Glück Leo's X. Was von politiſcher Seite darüber
Günſtiges geſagt werden kann, das hat Francesco Vettori
in ſcharfen Meiſterzügen zuſammengefaßt; das Bild ſeines
Genußlebens geben Paolo Giovio und die Biographie eines
Ungenannten 2); die Schattenſeiten dieſes Glückes verzeichnet
unerbittlich wie das Schickſal ſelbſt der ebengenannte Pierio.

Daneben erregt es beinahe Grauen, wenn hie und daDas Rühmen
des Glückes.

ſich Jemand öffentlich in lateiniſcher Inſchrift des Glückes
rühmt. So wagte Giovanni II. Bentivoglio, Herrſcher von
Bologna, an dem neu erbauten Thurme bei ſeinem Palaſte
es in Stein hauen zu laſſen: ſein Verdienſt und ſein Glück
hätten ihm alle irgend wünſchbaren Güter reichlich gewährt 3)

1) Caracciolo, de varietate fortunæ, bei Murat. XXII. Eine der
leſenswertheſten Schriften jener ſonſt ſo reichen Jahre. Vgl. S. 331.
— Die Fortuna bei feſtlichen Aufzügen, S. 418 u. Anm.
2) Leonis X. vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 153.
3) Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 909: monimen-
tum hoc conditum a Joanne Bentivolo secundo Patriæ rec-
tore, cui virtus et fortuna cuncta quæ optari possunt affatim
præstiterunt.
Es iſt indeß nicht ganz klar, ob dieſe Inſchrift außen
angebracht und ſichtbar, oder wie die zunächſt vorher mitgetheilte in
einem Grundſtein verborgen war. Im letztern Fall verbände ſich
wohl damit eine neue Idee: das Glück ſollte durch die geheime
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[509/0519] einer Menge ausgezeichneter Leute wird das Soll und Ha- ben ihres Glückes und Unglückes unterſucht und die Summe daraus in vorwiegend ungünſtigem Sinn gezogen. In höchſt würdiger Welſe, faſt elegiſch, ſchildert uns vorzüglich Triſtan Caracciolo 1) das Schickſal Italiens und der Ita- liener, ſoweit es ſich um 1510 überſchauen ließ. Mit ſpe- cieller Anwendung dieſes herrſchenden Grundgefühls auf die Humaniſten ſelber verfaßte dann ſpäter Pierio Valeriano ſeine berühmte Abhandlung (S. 273). Es gab einzelne ganz beſonders anregende Themata dieſer Art wie z. B. das Glück Leo's X. Was von politiſcher Seite darüber Günſtiges geſagt werden kann, das hat Francesco Vettori in ſcharfen Meiſterzügen zuſammengefaßt; das Bild ſeines Genußlebens geben Paolo Giovio und die Biographie eines Ungenannten 2); die Schattenſeiten dieſes Glückes verzeichnet unerbittlich wie das Schickſal ſelbſt der ebengenannte Pierio. 6. Abſchnitt. Daneben erregt es beinahe Grauen, wenn hie und da ſich Jemand öffentlich in lateiniſcher Inſchrift des Glückes rühmt. So wagte Giovanni II. Bentivoglio, Herrſcher von Bologna, an dem neu erbauten Thurme bei ſeinem Palaſte es in Stein hauen zu laſſen: ſein Verdienſt und ſein Glück hätten ihm alle irgend wünſchbaren Güter reichlich gewährt 3) Das Rühmen des Glückes. 1) Caracciolo, de varietate fortunæ, bei Murat. XXII. Eine der leſenswertheſten Schriften jener ſonſt ſo reichen Jahre. Vgl. S. 331. — Die Fortuna bei feſtlichen Aufzügen, S. 418 u. Anm. 2) Leonis X. vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi, XII, p. 153. 3) Bursellis, ann. Bonon., bei Murat. XXIII, Col. 909: monimen- tum hoc conditum a Joanne Bentivolo secundo Patriæ rec- tore, cui virtus et fortuna cuncta quæ optari possunt affatim præstiterunt. Es iſt indeß nicht ganz klar, ob dieſe Inſchrift außen angebracht und ſichtbar, oder wie die zunächſt vorher mitgetheilte in einem Grundſtein verborgen war. Im letztern Fall verbände ſich wohl damit eine neue Idee: das Glück ſollte durch die geheime Schrift, die vielleicht nur noch der Chroniſt kannte, magiſch an das Gebäude gefeſſelt werden.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/519>, abgerufen am 28.11.2024.