6. Abschnitt.Joseph und der Maria aus einer gewöhnlichen Empfäng- niß; er habe die Welt mit seiner Arglist ins Verderben gebracht; den Kreuzestod möge er wohl erlitten haben wegen begangener Verbrechen; auch werde seine Religion nächstens aufhören; in der geweihten Hostie sei sein wahrer Leib nicht; seine Wunder habe er nicht vollbracht aus göttlicher Kraft, sondern sie seien durch Einfluß der Himmelskörper geschehen. Letzteres ist wiederum höchst bezeichnend; der Glaube ist dahin, aber die Magie behält man sich vor 1).
Fatalismus der Humanisten.In Betreff der Weltregierung raffen sich die Huma- nisten insgemein nicht weiter auf als bis zu einer kalt re- signirten Betrachtung dessen was unter der ringsum herr- schenden Gewalt und Mißregierung geschieht. Aus dieser Stimmung sind hervorgegangen die vielen Bücher "vom Schicksal" oder wie die Varietäten des Titels lauten mögen. Sie constatiren meist nur das Drehen des Glücksrades, die Unbeständigkeit der irdischen, zumal der politischen Dinge; die Vorsehung wird herbeigezogen offenbar nur weil man sich des nackten Fatalismus, des Verzichtens auf Erkennt- niß von Ursachen und Wirkungen, oder des baaren Jam- mers noch schämt. Richt ohne Geist construirt Gioviano Pontano die Naturgeschichte des dämonischen Etwas, Fortuna genannt, aus hundert meist selbsterlebten Erfahrungen 2). Mehr scherzhaft, in Form eines Traumgesichtes, behandelt Aeneas Sylvius den Gegenstand 3). Poggio's Streben da- gegen, in einer Schrift seines Greisenalters 4), geht dahin, die Welt als ein Jammerthal darzustellen und das Glück der einzelnen Stände so niedrig als möglich zu taxiren. Dieser Ton bleibt dann im Ganzen der vorherrschende; von
1) Wie weit die frevelhaften Reden bisweilen gingen, hat Gieseler, Kirchengeschichte II, IV, §. 154 Anm. mit einigen sprechenden Bei- spielen dargethan.
2)Jov. Pontanus, de fortuna. Seine Art von Theodicee II, p. 286.
3)Aen. Sylvii opera, p. 611.
4)Poggius, de miseriis humanae conditionis.
6. Abſchnitt.Joſeph und der Maria aus einer gewöhnlichen Empfäng- niß; er habe die Welt mit ſeiner Argliſt ins Verderben gebracht; den Kreuzestod möge er wohl erlitten haben wegen begangener Verbrechen; auch werde ſeine Religion nächſtens aufhören; in der geweihten Hoſtie ſei ſein wahrer Leib nicht; ſeine Wunder habe er nicht vollbracht aus göttlicher Kraft, ſondern ſie ſeien durch Einfluß der Himmelskörper geſchehen. Letzteres iſt wiederum höchſt bezeichnend; der Glaube iſt dahin, aber die Magie behält man ſich vor 1).
Fatalismus der Humaniſten.In Betreff der Weltregierung raffen ſich die Huma- niſten insgemein nicht weiter auf als bis zu einer kalt re- ſignirten Betrachtung deſſen was unter der ringsum herr- ſchenden Gewalt und Mißregierung geſchieht. Aus dieſer Stimmung ſind hervorgegangen die vielen Bücher „vom Schickſal“ oder wie die Varietäten des Titels lauten mögen. Sie conſtatiren meiſt nur das Drehen des Glücksrades, die Unbeſtändigkeit der irdiſchen, zumal der politiſchen Dinge; die Vorſehung wird herbeigezogen offenbar nur weil man ſich des nackten Fatalismus, des Verzichtens auf Erkennt- niß von Urſachen und Wirkungen, oder des baaren Jam- mers noch ſchämt. Richt ohne Geiſt conſtruirt Gioviano Pontano die Naturgeſchichte des dämoniſchen Etwas, Fortuna genannt, aus hundert meiſt ſelbſterlebten Erfahrungen 2). Mehr ſcherzhaft, in Form eines Traumgeſichtes, behandelt Aeneas Sylvius den Gegenſtand 3). Poggio's Streben da- gegen, in einer Schrift ſeines Greiſenalters 4), geht dahin, die Welt als ein Jammerthal darzuſtellen und das Glück der einzelnen Stände ſo niedrig als möglich zu taxiren. Dieſer Ton bleibt dann im Ganzen der vorherrſchende; von
1) Wie weit die frevelhaften Reden bisweilen gingen, hat Gieſeler, Kirchengeſchichte II, IV, §. 154 Anm. mit einigen ſprechenden Bei- ſpielen dargethan.
2)Jov. Pontanus, de fortuna. Seine Art von Theodicee II, p. 286.
3)Aen. Sylvii opera, p. 611.
4)Poggius, de miseriis humanæ conditionis.
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Joſeph und der Maria aus einer gewöhnlichen Empfäng-
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begangener Verbrechen; auch werde ſeine Religion nächſtens
aufhören; in der geweihten Hoſtie ſei ſein wahrer Leib nicht;
ſeine Wunder habe er nicht vollbracht aus göttlicher Kraft,
ſondern ſie ſeien durch Einfluß der Himmelskörper geſchehen.
Letzteres iſt wiederum höchſt bezeichnend; der Glaube iſt
dahin, aber die Magie behält man ſich vor 1).
6. Abſchnitt.
In Betreff der Weltregierung raffen ſich die Huma-
niſten insgemein nicht weiter auf als bis zu einer kalt re-
ſignirten Betrachtung deſſen was unter der ringsum herr-
ſchenden Gewalt und Mißregierung geſchieht. Aus dieſer
Stimmung ſind hervorgegangen die vielen Bücher „vom
Schickſal“ oder wie die Varietäten des Titels lauten mögen.
Sie conſtatiren meiſt nur das Drehen des Glücksrades, die
Unbeſtändigkeit der irdiſchen, zumal der politiſchen Dinge;
die Vorſehung wird herbeigezogen offenbar nur weil man
ſich des nackten Fatalismus, des Verzichtens auf Erkennt-
niß von Urſachen und Wirkungen, oder des baaren Jam-
mers noch ſchämt. Richt ohne Geiſt conſtruirt Gioviano
Pontano die Naturgeſchichte des dämoniſchen Etwas, Fortuna
genannt, aus hundert meiſt ſelbſterlebten Erfahrungen 2).
Mehr ſcherzhaft, in Form eines Traumgeſichtes, behandelt
Aeneas Sylvius den Gegenſtand 3). Poggio's Streben da-
gegen, in einer Schrift ſeines Greiſenalters 4), geht dahin,
die Welt als ein Jammerthal darzuſtellen und das Glück
der einzelnen Stände ſo niedrig als möglich zu taxiren.
Dieſer Ton bleibt dann im Ganzen der vorherrſchende; von
Fatalismus
der Humaniſten.
1) Wie weit die frevelhaften Reden bisweilen gingen, hat Gieſeler,
Kirchengeſchichte II, IV, §. 154 Anm. mit einigen ſprechenden Bei-
ſpielen dargethan.
2) Jov. Pontanus, de fortuna. Seine Art von Theodicee II, p. 286.
3) Aen. Sylvii opera, p. 611.
4) Poggius, de miseriis humanæ conditionis.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/518>, abgerufen am 24.11.2024.
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