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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.Gottmenschen Christus reden und sich brieflich in das Gebet
Codrus Urceus.eines frommen Priesters empfehlen. Einmal fällt es ihm
ein, nach Aufzählung der Thorheiten der heidnischen Reli-
gion also fortzufahren: "auch unsere Theologen wackeln oft
"und zanken de lana caprina über unbefleckte Empfängniß,
"Antichrist, Sacramente, Vorherbestimmung und einiges
"Andere, was man lieber beschweigen als herauspredigen
"sollte". Einst verbrannte sein Zimmer sammt fertigen
Manuscripten da er nicht zu Hause war; als er es ver-
nahm, auf der Gasse, stellte er sich gegen ein Madonnen-
bild und rief an dasselbe hinauf: "Höre was ich dir sage,
"ich bin nicht verrückt, ich rede mit Absicht! wenn ich dich
"einst in der Stunde meines Todes zu Hülfe rufen sollte,
"so brauchst du mich nicht zu erhören und zu den Deinigen
"hinüberzunehmen! denn mit dem Teufel will ich wohnen
"bleiben in Ewigkeit!" Eine Rede, auf welche hin er doch
für gut fand, sich sechs Monate hindurch bei einem Holz-
hacker verborgen zu halten. Dabei war er so abergläubisch,
daß ihn Augurien und Prodigien beständig ängstigten; nur
für die Unsterblichkeit hatte er keinen Glauben übrig. Sei-
nen Zuhörern sagte er auf Befragen: was nach dem Tode
mit dem Menschen, mit seiner Seele oder seinem Geiste
geschehe, das wisse man nicht und alle Reden über das
Jenseits seien Schreckmittel für alte Weiber. Als es aber
an's Sterben ging, empfahl er doch in seinem Testament
seine Seele oder seinen Geist 1) dem allmächtigen Gott,
vermahnte auch jetzt seine weinenden Schüler zur Gottes-
furcht und insbesondere zum Glauben an Unsterblichkeit und
Vergeltung nach dem Tode, und empfing die Sacramente
mit großer Inbrunst. -- Man hat keine Garantie dafür,
daß ungleich berühmtere Leute desselben Faches, auch wenn
sie bedeutende Gedanken ausgesprochen haben, im Leben

1) Animum meum seu animam, eine Unterscheidung, durch welche
damals die Philologie gerne die Theologie in Verlegenheit setzte.

6. Abſchnitt.Gottmenſchen Chriſtus reden und ſich brieflich in das Gebet
Codrus Urceus.eines frommen Prieſters empfehlen. Einmal fällt es ihm
ein, nach Aufzählung der Thorheiten der heidniſchen Reli-
gion alſo fortzufahren: „auch unſere Theologen wackeln oft
„und zanken de lana caprina über unbefleckte Empfängniß,
„Antichriſt, Sacramente, Vorherbeſtimmung und einiges
„Andere, was man lieber beſchweigen als herauspredigen
„ſollte“. Einſt verbrannte ſein Zimmer ſammt fertigen
Manuſcripten da er nicht zu Hauſe war; als er es ver-
nahm, auf der Gaſſe, ſtellte er ſich gegen ein Madonnen-
bild und rief an daſſelbe hinauf: „Höre was ich dir ſage,
„ich bin nicht verrückt, ich rede mit Abſicht! wenn ich dich
„einſt in der Stunde meines Todes zu Hülfe rufen ſollte,
„ſo brauchſt du mich nicht zu erhören und zu den Deinigen
„hinüberzunehmen! denn mit dem Teufel will ich wohnen
„bleiben in Ewigkeit!“ Eine Rede, auf welche hin er doch
für gut fand, ſich ſechs Monate hindurch bei einem Holz-
hacker verborgen zu halten. Dabei war er ſo abergläubiſch,
daß ihn Augurien und Prodigien beſtändig ängſtigten; nur
für die Unſterblichkeit hatte er keinen Glauben übrig. Sei-
nen Zuhörern ſagte er auf Befragen: was nach dem Tode
mit dem Menſchen, mit ſeiner Seele oder ſeinem Geiſte
geſchehe, das wiſſe man nicht und alle Reden über das
Jenſeits ſeien Schreckmittel für alte Weiber. Als es aber
an's Sterben ging, empfahl er doch in ſeinem Teſtament
ſeine Seele oder ſeinen Geiſt 1) dem allmächtigen Gott,
vermahnte auch jetzt ſeine weinenden Schüler zur Gottes-
furcht und insbeſondere zum Glauben an Unſterblichkeit und
Vergeltung nach dem Tode, und empfing die Sacramente
mit großer Inbrunſt. — Man hat keine Garantie dafür,
daß ungleich berühmtere Leute deſſelben Faches, auch wenn
ſie bedeutende Gedanken ausgeſprochen haben, im Leben

1) Animum meum seu animam, eine Unterſcheidung, durch welche
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[506/0516] Gottmenſchen Chriſtus reden und ſich brieflich in das Gebet eines frommen Prieſters empfehlen. Einmal fällt es ihm ein, nach Aufzählung der Thorheiten der heidniſchen Reli- gion alſo fortzufahren: „auch unſere Theologen wackeln oft „und zanken de lana caprina über unbefleckte Empfängniß, „Antichriſt, Sacramente, Vorherbeſtimmung und einiges „Andere, was man lieber beſchweigen als herauspredigen „ſollte“. Einſt verbrannte ſein Zimmer ſammt fertigen Manuſcripten da er nicht zu Hauſe war; als er es ver- nahm, auf der Gaſſe, ſtellte er ſich gegen ein Madonnen- bild und rief an daſſelbe hinauf: „Höre was ich dir ſage, „ich bin nicht verrückt, ich rede mit Abſicht! wenn ich dich „einſt in der Stunde meines Todes zu Hülfe rufen ſollte, „ſo brauchſt du mich nicht zu erhören und zu den Deinigen „hinüberzunehmen! denn mit dem Teufel will ich wohnen „bleiben in Ewigkeit!“ Eine Rede, auf welche hin er doch für gut fand, ſich ſechs Monate hindurch bei einem Holz- hacker verborgen zu halten. Dabei war er ſo abergläubiſch, daß ihn Augurien und Prodigien beſtändig ängſtigten; nur für die Unſterblichkeit hatte er keinen Glauben übrig. Sei- nen Zuhörern ſagte er auf Befragen: was nach dem Tode mit dem Menſchen, mit ſeiner Seele oder ſeinem Geiſte geſchehe, das wiſſe man nicht und alle Reden über das Jenſeits ſeien Schreckmittel für alte Weiber. Als es aber an's Sterben ging, empfahl er doch in ſeinem Teſtament ſeine Seele oder ſeinen Geiſt 1) dem allmächtigen Gott, vermahnte auch jetzt ſeine weinenden Schüler zur Gottes- furcht und insbeſondere zum Glauben an Unſterblichkeit und Vergeltung nach dem Tode, und empfing die Sacramente mit großer Inbrunſt. — Man hat keine Garantie dafür, daß ungleich berühmtere Leute deſſelben Faches, auch wenn ſie bedeutende Gedanken ausgeſprochen haben, im Leben 6. Abſchnitt. Codrus Urceus. 1) Animum meum seu animam, eine Unterſcheidung, durch welche damals die Philologie gerne die Theologie in Verlegenheit ſetzte.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/516>, abgerufen am 28.11.2024.