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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.empfindlich gewordenen, wilden Egoismus zeichnen, dem
nur ein Rest von Ehrgefühl geblieben ist. Auch in andern
Gedichten wird den Riesen, Dämonen, Heiden und Mo-
hammedanern in den Mund gelegt was kein christlicher
Ritter sagen darf.

Einwirkung des
Alterthums im
XIV. Jahrh.
Wieder auf eine ganz andere Weise als der Islam
wirkte das Alterthum ein, und zwar nicht durch seine Re-
ligion, denn diese war dem damaligen Catholicismus nur
zu homogen, sondern durch seine Philosophie. Die antike
Literatur, die man jetzt als etwas Unvergleichliches verehrte,
war ganz erfüllt von dem Siege der Philosophie über den
Götterglauben; eine ganze Anzahl von Systemen und Frag-
mente von Systemen stürzten über den italienischen Geist
herein, nicht mehr als Curiositäten oder gar als Häresien,
sondern fast als Dogmen, die man nun nicht sowohl zu
unterscheiden als miteinander zu versöhnen bestrebt war. Fast
in all diesen verschiedenen Meinungen und Philosophemen
lebte irgend eine Art von Gottesbewußtsein, aber in ihrer
Gesammtheit bildeten sie doch einen starken Gegensatz zu
der christlichen Lehre von der göttlichen Weltregierung.
Nun giebt es eine wahrhaft centrale Frage, um deren Lö-
sung sich schon die Theologie des Mittelalters ohne genü-
genden Erfolg bemüht hatte, und welche jetzt vorzugsweise
von der Weisheit des Alterthums eine Antwort verlangte:
Das Verhältniß der Vorsehung zur menschlichen Freiheit
und Nothwendigkeit. Wenn wir die Geschichte dieser Frage
seit dem XIV. Jahrhundert auch nur oberflächlich durch-
gehen wollten, so würde hieraus ein eigenes Buch werden.
Wenige Andeutungen müssen hier genügen.

Epicureismus.Hört man Dante und seine Zeitgenossen, so wäre die
antike Philosophie zuerst gerade von derjenigen Seite
her auf das italienische Leben gestoßen, wo sie den schroffsten
Gegensatz gegen das Christenthum bildete; es stehen nämlich
in Italien Epicureer auf. Nun besaß man Epicurs Schriften

6. Abſchnitt.empfindlich gewordenen, wilden Egoismus zeichnen, dem
nur ein Reſt von Ehrgefühl geblieben iſt. Auch in andern
Gedichten wird den Rieſen, Dämonen, Heiden und Mo-
hammedanern in den Mund gelegt was kein chriſtlicher
Ritter ſagen darf.

Einwirkung des
Alterthums im
XIV. Jahrh.
Wieder auf eine ganz andere Weiſe als der Islam
wirkte das Alterthum ein, und zwar nicht durch ſeine Re-
ligion, denn dieſe war dem damaligen Catholicismus nur
zu homogen, ſondern durch ſeine Philoſophie. Die antike
Literatur, die man jetzt als etwas Unvergleichliches verehrte,
war ganz erfüllt von dem Siege der Philoſophie über den
Götterglauben; eine ganze Anzahl von Syſtemen und Frag-
mente von Syſtemen ſtürzten über den italieniſchen Geiſt
herein, nicht mehr als Curioſitäten oder gar als Häreſien,
ſondern faſt als Dogmen, die man nun nicht ſowohl zu
unterſcheiden als miteinander zu verſöhnen beſtrebt war. Faſt
in all dieſen verſchiedenen Meinungen und Philoſophemen
lebte irgend eine Art von Gottesbewußtſein, aber in ihrer
Geſammtheit bildeten ſie doch einen ſtarken Gegenſatz zu
der chriſtlichen Lehre von der göttlichen Weltregierung.
Nun giebt es eine wahrhaft centrale Frage, um deren Lö-
ſung ſich ſchon die Theologie des Mittelalters ohne genü-
genden Erfolg bemüht hatte, und welche jetzt vorzugsweiſe
von der Weisheit des Alterthums eine Antwort verlangte:
Das Verhältniß der Vorſehung zur menſchlichen Freiheit
und Nothwendigkeit. Wenn wir die Geſchichte dieſer Frage
ſeit dem XIV. Jahrhundert auch nur oberflächlich durch-
gehen wollten, ſo würde hieraus ein eigenes Buch werden.
Wenige Andeutungen müſſen hier genügen.

Epicureismus.Hört man Dante und ſeine Zeitgenoſſen, ſo wäre die
antike Philoſophie zuerſt gerade von derjenigen Seite
her auf das italieniſche Leben geſtoßen, wo ſie den ſchroffſten
Gegenſatz gegen das Chriſtenthum bildete; es ſtehen nämlich
in Italien Epicureer auf. Nun beſaß man Epicurs Schriften

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[500/0510] empfindlich gewordenen, wilden Egoismus zeichnen, dem nur ein Reſt von Ehrgefühl geblieben iſt. Auch in andern Gedichten wird den Rieſen, Dämonen, Heiden und Mo- hammedanern in den Mund gelegt was kein chriſtlicher Ritter ſagen darf. 6. Abſchnitt. Wieder auf eine ganz andere Weiſe als der Islam wirkte das Alterthum ein, und zwar nicht durch ſeine Re- ligion, denn dieſe war dem damaligen Catholicismus nur zu homogen, ſondern durch ſeine Philoſophie. Die antike Literatur, die man jetzt als etwas Unvergleichliches verehrte, war ganz erfüllt von dem Siege der Philoſophie über den Götterglauben; eine ganze Anzahl von Syſtemen und Frag- mente von Syſtemen ſtürzten über den italieniſchen Geiſt herein, nicht mehr als Curioſitäten oder gar als Häreſien, ſondern faſt als Dogmen, die man nun nicht ſowohl zu unterſcheiden als miteinander zu verſöhnen beſtrebt war. Faſt in all dieſen verſchiedenen Meinungen und Philoſophemen lebte irgend eine Art von Gottesbewußtſein, aber in ihrer Geſammtheit bildeten ſie doch einen ſtarken Gegenſatz zu der chriſtlichen Lehre von der göttlichen Weltregierung. Nun giebt es eine wahrhaft centrale Frage, um deren Lö- ſung ſich ſchon die Theologie des Mittelalters ohne genü- genden Erfolg bemüht hatte, und welche jetzt vorzugsweiſe von der Weisheit des Alterthums eine Antwort verlangte: Das Verhältniß der Vorſehung zur menſchlichen Freiheit und Nothwendigkeit. Wenn wir die Geſchichte dieſer Frage ſeit dem XIV. Jahrhundert auch nur oberflächlich durch- gehen wollten, ſo würde hieraus ein eigenes Buch werden. Wenige Andeutungen müſſen hier genügen. Einwirkung des Alterthums im XIV. Jahrh. Hört man Dante und ſeine Zeitgenoſſen, ſo wäre die antike Philoſophie zuerſt gerade von derjenigen Seite her auf das italieniſche Leben geſtoßen, wo ſie den ſchroffſten Gegenſatz gegen das Chriſtenthum bildete; es ſtehen nämlich in Italien Epicureer auf. Nun beſaß man Epicurs Schriften Epicureismus.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/510>, abgerufen am 24.11.2024.