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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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drüssig, seitdem man (1352) durch eine verschlagene Aeb-6. Abschnitt.
tissin im Neapolitanischen mit einem falschen, aus Holz und
Gyps nachgemachten Arm der Schutzpatronin des Domes,
S. Reparata, war betrogen worden 1). Oder dürfen wir
etwa annehmen, daß der ästhetische Sinn es war, welcher
sich hier vorzüglich entschieden von den zerstückelten Leichnamen,
den halbvermoderten Gewändern und Geräthen abwandte?
oder gar der moderne Ruhmessinn, welcher lieber die Leichen
eines Dante und Petrarca in den herrlichsten Gräbern be-
herbergt hätte als alle zwölf Apostel miteinander? Vielleicht
war aber in Italien überhaupt, abgesehen von Venedig und
dem ganz exceptionellen Rom, der Reliquiendienst schon seit
langer Zeit mehr zurückgetreten 2) vor dem Madonnendienst,Der
Mariendienst
im Volk,

als irgendwo sonst in Europa, und darin läge dann zu-
gleich, wenn auch verhüllt, ein frühes Ueberwiegen des
Formsinnes.

Man wird fragen, ob denn im Norden, wo die riesen-
haftesten Cathedralen fast alle Unser Frauen gewidmet sind,
wo ein ganzer reicher Zweig der Poesie im Lateinischen wie
in den Landessprachen die Mutter Gottes verherrlichte, eine
größere Verehrung derselben auch nur möglich gewesen wäre?
Allein diesem gegenüber macht sich in Italien eine ungemein
viel größere Anzahl von wunderthätigen Marienbildern
geltend, mit einer unaufhörlichen Intervention in das täg-
liche Leben. Jede beträchtliche Stadt besitzt ihrer eine ganze

1) Matteo Villani III, 15 und 16.
2) Man müßte überdieß unterscheiden zwischen dem in Italien blühenden
Cultus der Leichen historisch noch genau bekannter Heiligen aus den
letzten Jahrhunderten, und zwischen dem im Norden vorherrschenden
Zusammensuchen von Körper- und Gewandfragmenten etc. aus der
heiligen Urzeit. Letzterer Art, und vorzüglich für Pilger wichtig,
war dann auch der große Vorrath der lateranensischen Reliquien.
Allein über den Sarcophagen des h. Dominicus und des h. Anto-
nius von Padua und über dem mysteriösen Grabe des h. Franz
schimmert außer der Heiligkeit auch schon der historische Ruhm.

drüſſig, ſeitdem man (1352) durch eine verſchlagene Aeb-6. Abſchnitt.
tiſſin im Neapolitaniſchen mit einem falſchen, aus Holz und
Gyps nachgemachten Arm der Schutzpatronin des Domes,
S. Reparata, war betrogen worden 1). Oder dürfen wir
etwa annehmen, daß der äſthetiſche Sinn es war, welcher
ſich hier vorzüglich entſchieden von den zerſtückelten Leichnamen,
den halbvermoderten Gewändern und Geräthen abwandte?
oder gar der moderne Ruhmesſinn, welcher lieber die Leichen
eines Dante und Petrarca in den herrlichſten Gräbern be-
herbergt hätte als alle zwölf Apoſtel miteinander? Vielleicht
war aber in Italien überhaupt, abgeſehen von Venedig und
dem ganz exceptionellen Rom, der Reliquiendienſt ſchon ſeit
langer Zeit mehr zurückgetreten 2) vor dem Madonnendienſt,Der
Mariendienſt
im Volk,

als irgendwo ſonſt in Europa, und darin läge dann zu-
gleich, wenn auch verhüllt, ein frühes Ueberwiegen des
Formſinnes.

Man wird fragen, ob denn im Norden, wo die rieſen-
hafteſten Cathedralen faſt alle Unſer Frauen gewidmet ſind,
wo ein ganzer reicher Zweig der Poeſie im Lateiniſchen wie
in den Landesſprachen die Mutter Gottes verherrlichte, eine
größere Verehrung derſelben auch nur möglich geweſen wäre?
Allein dieſem gegenüber macht ſich in Italien eine ungemein
viel größere Anzahl von wunderthätigen Marienbildern
geltend, mit einer unaufhörlichen Intervention in das täg-
liche Leben. Jede beträchtliche Stadt beſitzt ihrer eine ganze

1) Matteo Villani III, 15 und 16.
2) Man müßte überdieß unterſcheiden zwiſchen dem in Italien blühenden
Cultus der Leichen hiſtoriſch noch genau bekannter Heiligen aus den
letzten Jahrhunderten, und zwiſchen dem im Norden vorherrſchenden
Zuſammenſuchen von Körper- und Gewandfragmenten ꝛc. aus der
heiligen Urzeit. Letzterer Art, und vorzüglich für Pilger wichtig,
war dann auch der große Vorrath der lateranenſiſchen Reliquien.
Allein über den Sarcophagen des h. Dominicus und des h. Anto-
nius von Padua und über dem myſteriöſen Grabe des h. Franz
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[487/0497] drüſſig, ſeitdem man (1352) durch eine verſchlagene Aeb- tiſſin im Neapolitaniſchen mit einem falſchen, aus Holz und Gyps nachgemachten Arm der Schutzpatronin des Domes, S. Reparata, war betrogen worden 1). Oder dürfen wir etwa annehmen, daß der äſthetiſche Sinn es war, welcher ſich hier vorzüglich entſchieden von den zerſtückelten Leichnamen, den halbvermoderten Gewändern und Geräthen abwandte? oder gar der moderne Ruhmesſinn, welcher lieber die Leichen eines Dante und Petrarca in den herrlichſten Gräbern be- herbergt hätte als alle zwölf Apoſtel miteinander? Vielleicht war aber in Italien überhaupt, abgeſehen von Venedig und dem ganz exceptionellen Rom, der Reliquiendienſt ſchon ſeit langer Zeit mehr zurückgetreten 2) vor dem Madonnendienſt, als irgendwo ſonſt in Europa, und darin läge dann zu- gleich, wenn auch verhüllt, ein frühes Ueberwiegen des Formſinnes. 6. Abſchnitt. Der Mariendienſt im Volk, Man wird fragen, ob denn im Norden, wo die rieſen- hafteſten Cathedralen faſt alle Unſer Frauen gewidmet ſind, wo ein ganzer reicher Zweig der Poeſie im Lateiniſchen wie in den Landesſprachen die Mutter Gottes verherrlichte, eine größere Verehrung derſelben auch nur möglich geweſen wäre? Allein dieſem gegenüber macht ſich in Italien eine ungemein viel größere Anzahl von wunderthätigen Marienbildern geltend, mit einer unaufhörlichen Intervention in das täg- liche Leben. Jede beträchtliche Stadt beſitzt ihrer eine ganze 1) Matteo Villani III, 15 und 16. 2) Man müßte überdieß unterſcheiden zwiſchen dem in Italien blühenden Cultus der Leichen hiſtoriſch noch genau bekannter Heiligen aus den letzten Jahrhunderten, und zwiſchen dem im Norden vorherrſchenden Zuſammenſuchen von Körper- und Gewandfragmenten ꝛc. aus der heiligen Urzeit. Letzterer Art, und vorzüglich für Pilger wichtig, war dann auch der große Vorrath der lateranenſiſchen Reliquien. Allein über den Sarcophagen des h. Dominicus und des h. Anto- nius von Padua und über dem myſteriöſen Grabe des h. Franz ſchimmert außer der Heiligkeit auch ſchon der hiſtoriſche Ruhm.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/497>, abgerufen am 24.11.2024.