der Sacramente und Segnungen ist schon die Rede gewe-6. Abschnitt. sen (S. 104, 466); überblicken wir einstweilen die Stellung des Glaubens und des Cultus im täglichen Leben. Hier ist die Masse und ihre Gewöhnung und die Rücksicht der Mächtigen auf Beides von bestimmendem Gewicht.
Alles was zur Buße und zur Erwerbung der Selig-Das Heidnische im Volksglauben. keit mittelst guter Werke gehört, war bei den Bauern und bei den untern Classen überhaupt wohl in derselben Aus- bildung und Ausartung vorhanden wie im Norden, und auch die Gebildeten wurden davon stellenweise ergriffen und bestimmt. Diejenigen Seiten des populären Catholicismus, wo er sich dem antiken, heidnischen Anrufen, Beschenken und Versöhnen der Götter anschließt, haben sich im Be- wußtsein des Volkes auf das Hartnäckigste festgesetzt. Die schon bei einem andern Anlaß citirte achte Ecloge des Bat- tista Mantovano 1) enthält unter andern das Gebet eines Bauern an die Madonna, worin dieselbe als specielle Schutzgöttin für alle einzelnen Interessen des Landlebens angerufen wird. Welche Begriffe machte sich das Volk von dem Werthe bestimmter Madonnen als Nothhelferinnen! was dachte sich jene Florentinerin 2), die ein Fäßchen von Wachs als ex voto nach der Annunziata stiftete, weil ihr Geliebter, ein Mönch, allmälig ein Fäßchen Wein bei ihr austrank, ohne daß der abwesende Gemahl es bemerkte. Ebenso regierte damals ein Patronat einzelner Heiligen für bestimmte Lebenssphären gerade wie jetzt noch. Es ist schon öfter versucht worden, eine Anzahl von allgemeinen ritualen Gebräuchen der catholischen Kirche auf heidnische Ceremo- nien zurückzuführen, und daß außerdem eine Menge örtlicher und volksthümlicher Bräuche, die sich an Kirchenfeste geknüpft haben, unbewußte Reste der verschiedenen alten Heidenthümer Europa's sind, giebt Jedermann zu. In Italien aber kam
1) Mit dem Titel: De rusticorum religione.
2)Franco Sacchetti, Nov. 109, wo noch Anderes der Art.
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der Sacramente und Segnungen iſt ſchon die Rede gewe-6. Abſchnitt. ſen (S. 104, 466); überblicken wir einſtweilen die Stellung des Glaubens und des Cultus im täglichen Leben. Hier iſt die Maſſe und ihre Gewöhnung und die Rückſicht der Mächtigen auf Beides von beſtimmendem Gewicht.
Alles was zur Buße und zur Erwerbung der Selig-Das Heidniſche im Volksglauben. keit mittelſt guter Werke gehört, war bei den Bauern und bei den untern Claſſen überhaupt wohl in derſelben Aus- bildung und Ausartung vorhanden wie im Norden, und auch die Gebildeten wurden davon ſtellenweiſe ergriffen und beſtimmt. Diejenigen Seiten des populären Catholicismus, wo er ſich dem antiken, heidniſchen Anrufen, Beſchenken und Verſöhnen der Götter anſchließt, haben ſich im Be- wußtſein des Volkes auf das Hartnäckigſte feſtgeſetzt. Die ſchon bei einem andern Anlaß citirte achte Ecloge des Bat- tiſta Mantovano 1) enthält unter andern das Gebet eines Bauern an die Madonna, worin dieſelbe als ſpecielle Schutzgöttin für alle einzelnen Intereſſen des Landlebens angerufen wird. Welche Begriffe machte ſich das Volk von dem Werthe beſtimmter Madonnen als Nothhelferinnen! was dachte ſich jene Florentinerin 2), die ein Fäßchen von Wachs als ex voto nach der Annunziata ſtiftete, weil ihr Geliebter, ein Mönch, allmälig ein Fäßchen Wein bei ihr austrank, ohne daß der abweſende Gemahl es bemerkte. Ebenſo regierte damals ein Patronat einzelner Heiligen für beſtimmte Lebensſphären gerade wie jetzt noch. Es iſt ſchon öfter verſucht worden, eine Anzahl von allgemeinen ritualen Gebräuchen der catholiſchen Kirche auf heidniſche Ceremo- nien zurückzuführen, und daß außerdem eine Menge örtlicher und volksthümlicher Bräuche, die ſich an Kirchenfeſte geknüpft haben, unbewußte Reſte der verſchiedenen alten Heidenthümer Europa's ſind, giebt Jedermann zu. In Italien aber kam
1) Mit dem Titel: De rusticorum religione.
2)Franco Sacchetti, Nov. 109, wo noch Anderes der Art.
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der Sacramente und Segnungen iſt ſchon die Rede gewe-
ſen (S. 104, 466); überblicken wir einſtweilen die Stellung
des Glaubens und des Cultus im täglichen Leben. Hier iſt
die Maſſe und ihre Gewöhnung und die Rückſicht der
Mächtigen auf Beides von beſtimmendem Gewicht.
6. Abſchnitt.
Alles was zur Buße und zur Erwerbung der Selig-
keit mittelſt guter Werke gehört, war bei den Bauern und
bei den untern Claſſen überhaupt wohl in derſelben Aus-
bildung und Ausartung vorhanden wie im Norden, und
auch die Gebildeten wurden davon ſtellenweiſe ergriffen und
beſtimmt. Diejenigen Seiten des populären Catholicismus,
wo er ſich dem antiken, heidniſchen Anrufen, Beſchenken
und Verſöhnen der Götter anſchließt, haben ſich im Be-
wußtſein des Volkes auf das Hartnäckigſte feſtgeſetzt. Die
ſchon bei einem andern Anlaß citirte achte Ecloge des Bat-
tiſta Mantovano 1) enthält unter andern das Gebet eines
Bauern an die Madonna, worin dieſelbe als ſpecielle
Schutzgöttin für alle einzelnen Intereſſen des Landlebens
angerufen wird. Welche Begriffe machte ſich das Volk
von dem Werthe beſtimmter Madonnen als Nothhelferinnen!
was dachte ſich jene Florentinerin 2), die ein Fäßchen von
Wachs als ex voto nach der Annunziata ſtiftete, weil ihr
Geliebter, ein Mönch, allmälig ein Fäßchen Wein bei ihr
austrank, ohne daß der abweſende Gemahl es bemerkte.
Ebenſo regierte damals ein Patronat einzelner Heiligen für
beſtimmte Lebensſphären gerade wie jetzt noch. Es iſt ſchon
öfter verſucht worden, eine Anzahl von allgemeinen ritualen
Gebräuchen der catholiſchen Kirche auf heidniſche Ceremo-
nien zurückzuführen, und daß außerdem eine Menge örtlicher
und volksthümlicher Bräuche, die ſich an Kirchenfeſte geknüpft
haben, unbewußte Reſte der verſchiedenen alten Heidenthümer
Europa's ſind, giebt Jedermann zu. In Italien aber kam
Das
Heidniſche im
Volksglauben.
1) Mit dem Titel: De rusticorum religione.
2) Franco Sacchetti, Nov. 109, wo noch Anderes der Art.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/493>, abgerufen am 25.11.2024.
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