Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.6. Abschnitt.und Rede. Der Norden bringt eine Imitatio Christi her- Dieser Eindruck beruht wesentlich auf Erregung des So predigten im XV. Jahrhundert Bernardino da 1) Capistrano z. B. begnügte sich, über die Tausende von Kranken, die man ihm brachte, das Kreuz zu machen und sie im Namen der Dreieinigkeit und seines Meisters S. Bernardino zu segnen, worauf hie und da eine wirkliche Genesung erfolgte, wie in solchen Fällen zu geschehen pflegt. Der Chronist von Brescia deutet dieß so an: "er that schöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war". 2) So z. B. Poggio, de avaritia, in den Opera, fol. 2. Er findet,
sie hätten es leicht, da sie in jeder Stadt dasselbe vorbrächten und das Volk dümmer entlassen dürften als es gekommen sei etc. 6. Abſchnitt.und Rede. Der Norden bringt eine Imitatio Christi her- Dieſer Eindruck beruht weſentlich auf Erregung des So predigten im XV. Jahrhundert Bernardino da 1) Capiſtrano z. B. begnügte ſich, über die Tauſende von Kranken, die man ihm brachte, das Kreuz zu machen und ſie im Namen der Dreieinigkeit und ſeines Meiſters S. Bernardino zu ſegnen, worauf hie und da eine wirkliche Geneſung erfolgte, wie in ſolchen Fällen zu geſchehen pflegt. Der Chroniſt von Brescia deutet dieß ſo an: „er that ſchöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war“. 2) So z. B. Poggio, de avaritia, in den Opera, fol. 2. Er findet,
ſie hätten es leicht, da ſie in jeder Stadt daſſelbe vorbrächten und das Volk dümmer entlaſſen dürften als es gekommen ſei ꝛc. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0478" n="468"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">6. Abſchnitt.</hi></hi></note>und Rede. Der Norden bringt eine <hi rendition="#aq">Imitatio Christi</hi> her-<lb/> vor, welche im Stillen, anfangs nur in Klöſtern, aber auf<lb/> Jahrhunderte wirkt; der Süden producirt Menſchen, welche<lb/> auf Menſchen einen coloſſalen Eindruck des Augenblickes<lb/> machen.</p><lb/> <p>Dieſer Eindruck beruht weſentlich auf Erregung des<lb/> Gewiſſens. Es ſind Moralpredigten, ohne Abſtraction, voll<lb/> ſpecieller Anwendung, unterſtützt von einer geweihten, as-<lb/> cetiſchen Perſönlichkeit, woran ſich dann von ſelbſt durch die<lb/> erregte Phantaſie das Mirakel anſchließt, auch gegen den<lb/> Willen des Predigers <note place="foot" n="1)">Capiſtrano z. B. begnügte ſich, über die Tauſende von Kranken, die<lb/> man ihm brachte, das Kreuz zu machen und ſie im Namen der<lb/> Dreieinigkeit und ſeines Meiſters S. Bernardino zu ſegnen, worauf<lb/> hie und da eine wirkliche Geneſung erfolgte, wie in ſolchen Fällen<lb/> zu geſchehen pflegt. Der Chroniſt von Brescia deutet dieß ſo an:<lb/> „er that ſchöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war“.</note>. Das gewaltigſte Argument war<lb/> weniger die Drohung mit Fegefeuer und Hölle, als viel-<lb/> mehr die höchſt lebendige Entwicklung der <hi rendition="#aq">maledizione</hi>,<lb/> des zeitlichen, in der Perſon wirkenden Fluches, der ſich an<lb/> das Böſe knüpft. Die Betrübung Chriſti und der Heiligen<lb/> hat ihre Folgen im Leben. Nur ſo konnte man die in<lb/> Leidenſchaft, Racheſchwüre und Verbrechen verrannten Men-<lb/> ſchen zur Sühne und Buße bringen, was bei Weitem der<lb/> wichtigſte Zweck war.</p><lb/> <p>So predigten im <hi rendition="#aq">XV.</hi> Jahrhundert Bernardino da<lb/> Siena, Alberto da Sarzana, Giovanni Capiſtrano, Jacopo<lb/> della Marca, Roberto da Lecce (S. 409) und Andere;<lb/> endlich Girolamo Savonarola. Es gab kein ſtärkeres Vor-<lb/> urtheil als dasjenige gegen die Bettelmönche; ſie überwanden<lb/> es. Der hochmüthige Humanismus critiſirte und höhnte<note place="foot" n="2)">So z. B. <hi rendition="#aq">Poggio, de avaritia,</hi> in den <hi rendition="#aq">Opera, fol.</hi> 2. Er findet,<lb/> ſie hätten es leicht, da ſie in jeder Stadt daſſelbe vorbrächten und<lb/> das Volk dümmer entlaſſen dürften als es gekommen ſei ꝛc.</note>;<lb/> wenn ſie ihre Stimme erhoben, ſo dachte man ſeiner nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [468/0478]
und Rede. Der Norden bringt eine Imitatio Christi her-
vor, welche im Stillen, anfangs nur in Klöſtern, aber auf
Jahrhunderte wirkt; der Süden producirt Menſchen, welche
auf Menſchen einen coloſſalen Eindruck des Augenblickes
machen.
6. Abſchnitt.
Dieſer Eindruck beruht weſentlich auf Erregung des
Gewiſſens. Es ſind Moralpredigten, ohne Abſtraction, voll
ſpecieller Anwendung, unterſtützt von einer geweihten, as-
cetiſchen Perſönlichkeit, woran ſich dann von ſelbſt durch die
erregte Phantaſie das Mirakel anſchließt, auch gegen den
Willen des Predigers 1). Das gewaltigſte Argument war
weniger die Drohung mit Fegefeuer und Hölle, als viel-
mehr die höchſt lebendige Entwicklung der maledizione,
des zeitlichen, in der Perſon wirkenden Fluches, der ſich an
das Böſe knüpft. Die Betrübung Chriſti und der Heiligen
hat ihre Folgen im Leben. Nur ſo konnte man die in
Leidenſchaft, Racheſchwüre und Verbrechen verrannten Men-
ſchen zur Sühne und Buße bringen, was bei Weitem der
wichtigſte Zweck war.
So predigten im XV. Jahrhundert Bernardino da
Siena, Alberto da Sarzana, Giovanni Capiſtrano, Jacopo
della Marca, Roberto da Lecce (S. 409) und Andere;
endlich Girolamo Savonarola. Es gab kein ſtärkeres Vor-
urtheil als dasjenige gegen die Bettelmönche; ſie überwanden
es. Der hochmüthige Humanismus critiſirte und höhnte 2);
wenn ſie ihre Stimme erhoben, ſo dachte man ſeiner nicht
1) Capiſtrano z. B. begnügte ſich, über die Tauſende von Kranken, die
man ihm brachte, das Kreuz zu machen und ſie im Namen der
Dreieinigkeit und ſeines Meiſters S. Bernardino zu ſegnen, worauf
hie und da eine wirkliche Geneſung erfolgte, wie in ſolchen Fällen
zu geſchehen pflegt. Der Chroniſt von Brescia deutet dieß ſo an:
„er that ſchöne Wunder, doch erzählte man viel mehr als wirklich war“.
2) So z. B. Poggio, de avaritia, in den Opera, fol. 2. Er findet,
ſie hätten es leicht, da ſie in jeder Stadt daſſelbe vorbrächten und
das Volk dümmer entlaſſen dürften als es gekommen ſei ꝛc.
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