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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.Menschen die Gefühle auf verschiedenen Stufen zugleich
nicht nur stillschweigend vorhanden sind sondern auch zur
bewußten, je nach Umständen künstlerischen Darstellung
kommen. Erst der moderne Mensch ist, wie der antike,
auch in dieser Beziehung ein Microcosmus, was der mittel-
alterliche nicht war und nicht sein konnte.

Novellen-
moral.
Zunächst ist die Moral der Novellen beachtenswerth.
Es handelt sich in den meisten derselben, wie bemerkt, um
Ehefrauen und also um Ehebruch.

Stellung des
Weibes.
Höchst wichtig erscheint nun hier jene oben (S. 391, f.)
erwähnte Ansicht von der gleichen Geltung des Weibes mit
dem Manne. Die höher gebildete, individuell entwickelte
Frau verfügt über sich mit einer ganz andern Souveränität
als im Norden, und die Untreue macht nicht jenen furcht-
baren Riß durch ihr Leben, sobald sie sich gegen die äußern
Folgen sichern kann. Das Recht des Gemahles auf ihre
Treue hat nicht denjenigen festen Boden, den es bei den
Nordländern durch die Poesie und Leidenschaft der Wer-
bung und des Brautstandes gewinnt; nach flüchtigster Be-
kanntschaft, unmittelbar aus dem elterlichen oder klösterlichen
Gewahrsam tritt die junge Frau in die Welt und nun erst
bildet sich ihre Individualität ungemein schnell aus. Haupt-
sächlich deßhalb ist jenes Recht des Gatten nur ein sehr be-
dingtes, und auch wer es als ein ius quaesitum ansieht,
bezieht es doch nur auf die äußere That, nicht auf das
Herz. Die schöne junge Gemahlin eines Greises z. B. weist
die Geschenke und Botschaften eines jungen Liebhabers zu-
rück, in festen Vorsatz, ihre Ehrbarkeit (honesta) zu be-
haupten. "Aber sie freute sich doch der Liebe des Jünglings
"wegen seiner großen Trefflichkeit, und sie erkannte, daß ein
"edles Weib einen ausgezeichneten Menschen lieben darf
"ohne Nachtheil ihrer Ehrbarkeit 1)." Wie kurz ist aber

1) Giraldi, Hecatommithi III, Nov. 2. -- Ganz ähnlich: Cortigiano,
L. IV, fol.
180.

6. Abſchnitt.Menſchen die Gefühle auf verſchiedenen Stufen zugleich
nicht nur ſtillſchweigend vorhanden ſind ſondern auch zur
bewußten, je nach Umſtänden künſtleriſchen Darſtellung
kommen. Erſt der moderne Menſch iſt, wie der antike,
auch in dieſer Beziehung ein Microcosmus, was der mittel-
alterliche nicht war und nicht ſein konnte.

Novellen-
moral.
Zunächſt iſt die Moral der Novellen beachtenswerth.
Es handelt ſich in den meiſten derſelben, wie bemerkt, um
Ehefrauen und alſo um Ehebruch.

Stellung des
Weibes.
Höchſt wichtig erſcheint nun hier jene oben (S. 391, f.)
erwähnte Anſicht von der gleichen Geltung des Weibes mit
dem Manne. Die höher gebildete, individuell entwickelte
Frau verfügt über ſich mit einer ganz andern Souveränität
als im Norden, und die Untreue macht nicht jenen furcht-
baren Riß durch ihr Leben, ſobald ſie ſich gegen die äußern
Folgen ſichern kann. Das Recht des Gemahles auf ihre
Treue hat nicht denjenigen feſten Boden, den es bei den
Nordländern durch die Poeſie und Leidenſchaft der Wer-
bung und des Brautſtandes gewinnt; nach flüchtigſter Be-
kanntſchaft, unmittelbar aus dem elterlichen oder klöſterlichen
Gewahrſam tritt die junge Frau in die Welt und nun erſt
bildet ſich ihre Individualität ungemein ſchnell aus. Haupt-
ſächlich deßhalb iſt jenes Recht des Gatten nur ein ſehr be-
dingtes, und auch wer es als ein ius quæsitum anſieht,
bezieht es doch nur auf die äußere That, nicht auf das
Herz. Die ſchöne junge Gemahlin eines Greiſes z. B. weist
die Geſchenke und Botſchaften eines jungen Liebhabers zu-
rück, in feſten Vorſatz, ihre Ehrbarkeit (honestà) zu be-
haupten. „Aber ſie freute ſich doch der Liebe des Jünglings
„wegen ſeiner großen Trefflichkeit, und ſie erkannte, daß ein
„edles Weib einen ausgezeichneten Menſchen lieben darf
„ohne Nachtheil ihrer Ehrbarkeit 1).“ Wie kurz iſt aber

1) Giraldi, Hecatommithi III, Nov. 2. — Ganz ähnlich: Cortigiano,
L. IV, fol.
180.
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[440/0450] Menſchen die Gefühle auf verſchiedenen Stufen zugleich nicht nur ſtillſchweigend vorhanden ſind ſondern auch zur bewußten, je nach Umſtänden künſtleriſchen Darſtellung kommen. Erſt der moderne Menſch iſt, wie der antike, auch in dieſer Beziehung ein Microcosmus, was der mittel- alterliche nicht war und nicht ſein konnte. 6. Abſchnitt. Zunächſt iſt die Moral der Novellen beachtenswerth. Es handelt ſich in den meiſten derſelben, wie bemerkt, um Ehefrauen und alſo um Ehebruch. Novellen- moral. Höchſt wichtig erſcheint nun hier jene oben (S. 391, f.) erwähnte Anſicht von der gleichen Geltung des Weibes mit dem Manne. Die höher gebildete, individuell entwickelte Frau verfügt über ſich mit einer ganz andern Souveränität als im Norden, und die Untreue macht nicht jenen furcht- baren Riß durch ihr Leben, ſobald ſie ſich gegen die äußern Folgen ſichern kann. Das Recht des Gemahles auf ihre Treue hat nicht denjenigen feſten Boden, den es bei den Nordländern durch die Poeſie und Leidenſchaft der Wer- bung und des Brautſtandes gewinnt; nach flüchtigſter Be- kanntſchaft, unmittelbar aus dem elterlichen oder klöſterlichen Gewahrſam tritt die junge Frau in die Welt und nun erſt bildet ſich ihre Individualität ungemein ſchnell aus. Haupt- ſächlich deßhalb iſt jenes Recht des Gatten nur ein ſehr be- dingtes, und auch wer es als ein ius quæsitum anſieht, bezieht es doch nur auf die äußere That, nicht auf das Herz. Die ſchöne junge Gemahlin eines Greiſes z. B. weist die Geſchenke und Botſchaften eines jungen Liebhabers zu- rück, in feſten Vorſatz, ihre Ehrbarkeit (honestà) zu be- haupten. „Aber ſie freute ſich doch der Liebe des Jünglings „wegen ſeiner großen Trefflichkeit, und ſie erkannte, daß ein „edles Weib einen ausgezeichneten Menſchen lieben darf „ohne Nachtheil ihrer Ehrbarkeit 1).“ Wie kurz iſt aber Stellung des Weibes. 1) Giraldi, Hecatommithi III, Nov. 2. — Ganz ähnlich: Cortigiano, L. IV, fol. 180.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/450>, abgerufen am 22.11.2024.