Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Abschnitt.glückliche Fürst durch nächtlichen Mord von seinem Bruder-
sohn des Lebens und der Herrschaft beraubt worden, und
ich selber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davon-
gekommen".

Eine characterlose Halbtyrannie, wie sie Pandolfo Pe-
trucci seit den 1490er Jahren in dem von Factionen zer-
rissenen Siena ausübte, ist kaum der nähern Betrachtung
werth. Unbedeutend und böse, regierte er mit Hülfe eines
Professors der Rechte und eines Astrologen und verbreitete
hie und da einigen Schrecken durch Mordthaten. Sein
Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata
herunter zu rollen, ohne Rücksicht darauf, was und wen
sie trafen. Nachdem ihm gelingen mußte, was den Schlausten
mißlang -- er entzog sich den Tücken des Cesare Borgia --
starb er doch später verlassen und verachtet. Seine Söhne
aber hielten sich noch lange mit einer Art von Halbherrschaft.

Die Aragonesen
von Neapel.
Alfons der
Große.
Von den wichtigern Dynastien sind die Aragonesen
gesondert zu betrachten. Das Lehnswesen, welches hier seit
der Normannenzeit als Grundherrschaft der Barone fort-
dauert, färbt schon den Staat eigenthümlich, während im
übrigen Italien, den südlichen Kirchenstaat und wenige
andere Gegenden ausgenommen, fast nur noch einfacher
Grundbesitz gilt und der Staat keine Befugnisse mehr erb-
lich werden läßt. Sodann ist der große Alfons, welcher
seit 1435 Neapel in Besitz genommen (st. 1458), von einer
andern Art als seine wirklichen oder vorgeblichen Nach-
kommen. Glänzend in seinem ganzen Dasein, furchtlos
unter seinem Volke, von einer großartigen Liebenswürdigkeit
im Umgang, und selbst wegen seiner späten Leidenschaft
für Lucrezia d'Alagna nicht getadelt, sondern bewundert,
hatte er die eine üble Eigenschaft der Verschwendung, 1)

1) Jovian. Pontan. de liberalitate, und: de obedientia, 1. 4. Vgl.
Sismondi X, p. 78, s.

1. Abſchnitt.glückliche Fürſt durch nächtlichen Mord von ſeinem Bruder-
ſohn des Lebens und der Herrſchaft beraubt worden, und
ich ſelber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davon-
gekommen“.

Eine characterloſe Halbtyrannie, wie ſie Pandolfo Pe-
trucci ſeit den 1490er Jahren in dem von Factionen zer-
riſſenen Siena ausübte, iſt kaum der nähern Betrachtung
werth. Unbedeutend und böſe, regierte er mit Hülfe eines
Profeſſors der Rechte und eines Aſtrologen und verbreitete
hie und da einigen Schrecken durch Mordthaten. Sein
Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata
herunter zu rollen, ohne Rückſicht darauf, was und wen
ſie trafen. Nachdem ihm gelingen mußte, was den Schlauſten
mißlang — er entzog ſich den Tücken des Ceſare Borgia —
ſtarb er doch ſpäter verlaſſen und verachtet. Seine Söhne
aber hielten ſich noch lange mit einer Art von Halbherrſchaft.

Die Aragoneſen
von Neapel.
Alfons der
Große.
Von den wichtigern Dynaſtien ſind die Aragoneſen
geſondert zu betrachten. Das Lehnsweſen, welches hier ſeit
der Normannenzeit als Grundherrſchaft der Barone fort-
dauert, färbt ſchon den Staat eigenthümlich, während im
übrigen Italien, den ſüdlichen Kirchenſtaat und wenige
andere Gegenden ausgenommen, faſt nur noch einfacher
Grundbeſitz gilt und der Staat keine Befugniſſe mehr erb-
lich werden läßt. Sodann iſt der große Alfons, welcher
ſeit 1435 Neapel in Beſitz genommen (ſt. 1458), von einer
andern Art als ſeine wirklichen oder vorgeblichen Nach-
kommen. Glänzend in ſeinem ganzen Daſein, furchtlos
unter ſeinem Volke, von einer großartigen Liebenswürdigkeit
im Umgang, und ſelbſt wegen ſeiner ſpäten Leidenſchaft
für Lucrezia d'Alagna nicht getadelt, ſondern bewundert,
hatte er die eine üble Eigenſchaft der Verſchwendung, 1)

1) Jovian. Pontan. de liberalitate, und: de obedientia, 1. 4. Vgl.
Sismondi X, p. 78, s.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0044" n="34"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">1. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>glückliche Für&#x017F;t durch nächtlichen Mord von &#x017F;einem Bruder-<lb/>
&#x017F;ohn des Lebens und der Herr&#x017F;chaft beraubt worden, und<lb/>
ich &#x017F;elber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davon-<lb/>
gekommen&#x201C;.</p><lb/>
        <p>Eine characterlo&#x017F;e Halbtyrannie, wie &#x017F;ie Pandolfo Pe-<lb/>
trucci &#x017F;eit den 1490er Jahren in dem von Factionen zer-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;enen Siena ausübte, i&#x017F;t kaum der nähern Betrachtung<lb/>
werth. Unbedeutend und bö&#x017F;e, regierte er mit Hülfe eines<lb/>
Profe&#x017F;&#x017F;ors der Rechte und eines A&#x017F;trologen und verbreitete<lb/>
hie und da einigen Schrecken durch Mordthaten. Sein<lb/>
Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata<lb/>
herunter zu rollen, ohne Rück&#x017F;icht darauf, was und wen<lb/>
&#x017F;ie trafen. Nachdem ihm gelingen mußte, was den Schlau&#x017F;ten<lb/>
mißlang &#x2014; er entzog &#x017F;ich den Tücken des Ce&#x017F;are Borgia &#x2014;<lb/>
&#x017F;tarb er doch &#x017F;päter verla&#x017F;&#x017F;en und verachtet. Seine Söhne<lb/>
aber hielten &#x017F;ich noch lange mit einer Art von Halbherr&#x017F;chaft.</p><lb/>
        <p><note place="left">Die Aragone&#x017F;en<lb/>
von Neapel.<lb/>
Alfons der<lb/>
Große.</note>Von den wichtigern Dyna&#x017F;tien &#x017F;ind die Aragone&#x017F;en<lb/>
ge&#x017F;ondert zu betrachten. Das Lehnswe&#x017F;en, welches hier &#x017F;eit<lb/>
der Normannenzeit als Grundherr&#x017F;chaft der Barone fort-<lb/>
dauert, färbt &#x017F;chon den Staat eigenthümlich, während im<lb/>
übrigen Italien, den &#x017F;üdlichen Kirchen&#x017F;taat und wenige<lb/>
andere Gegenden ausgenommen, fa&#x017F;t nur noch einfacher<lb/>
Grundbe&#x017F;itz gilt und der Staat keine Befugni&#x017F;&#x017F;e mehr erb-<lb/>
lich werden läßt. Sodann i&#x017F;t der große Alfons, welcher<lb/>
&#x017F;eit 1435 Neapel in Be&#x017F;itz genommen (&#x017F;t. 1458), von einer<lb/>
andern Art als &#x017F;eine wirklichen oder vorgeblichen Nach-<lb/>
kommen. Glänzend in &#x017F;einem ganzen Da&#x017F;ein, furchtlos<lb/>
unter &#x017F;einem Volke, von einer großartigen Liebenswürdigkeit<lb/>
im Umgang, und &#x017F;elb&#x017F;t wegen &#x017F;einer &#x017F;päten Leiden&#x017F;chaft<lb/>
für Lucrezia d'Alagna nicht getadelt, &#x017F;ondern bewundert,<lb/>
hatte er die eine üble Eigen&#x017F;chaft der Ver&#x017F;chwendung, <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Jovian. Pontan. de liberalitate</hi>, und: <hi rendition="#aq">de obedientia, 1. 4</hi>. Vgl.<lb/><hi rendition="#aq">Sismondi X, p. 78, s</hi>.</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0044] glückliche Fürſt durch nächtlichen Mord von ſeinem Bruder- ſohn des Lebens und der Herrſchaft beraubt worden, und ich ſelber bin in tiefem Elend kaum mit dem Leben davon- gekommen“. 1. Abſchnitt. Eine characterloſe Halbtyrannie, wie ſie Pandolfo Pe- trucci ſeit den 1490er Jahren in dem von Factionen zer- riſſenen Siena ausübte, iſt kaum der nähern Betrachtung werth. Unbedeutend und böſe, regierte er mit Hülfe eines Profeſſors der Rechte und eines Aſtrologen und verbreitete hie und da einigen Schrecken durch Mordthaten. Sein Sommervergnügen war, Steinblöcke vom Monte Amiata herunter zu rollen, ohne Rückſicht darauf, was und wen ſie trafen. Nachdem ihm gelingen mußte, was den Schlauſten mißlang — er entzog ſich den Tücken des Ceſare Borgia — ſtarb er doch ſpäter verlaſſen und verachtet. Seine Söhne aber hielten ſich noch lange mit einer Art von Halbherrſchaft. Von den wichtigern Dynaſtien ſind die Aragoneſen geſondert zu betrachten. Das Lehnsweſen, welches hier ſeit der Normannenzeit als Grundherrſchaft der Barone fort- dauert, färbt ſchon den Staat eigenthümlich, während im übrigen Italien, den ſüdlichen Kirchenſtaat und wenige andere Gegenden ausgenommen, faſt nur noch einfacher Grundbeſitz gilt und der Staat keine Befugniſſe mehr erb- lich werden läßt. Sodann iſt der große Alfons, welcher ſeit 1435 Neapel in Beſitz genommen (ſt. 1458), von einer andern Art als ſeine wirklichen oder vorgeblichen Nach- kommen. Glänzend in ſeinem ganzen Daſein, furchtlos unter ſeinem Volke, von einer großartigen Liebenswürdigkeit im Umgang, und ſelbſt wegen ſeiner ſpäten Leidenſchaft für Lucrezia d'Alagna nicht getadelt, ſondern bewundert, hatte er die eine üble Eigenſchaft der Verſchwendung, 1) Die Aragoneſen von Neapel. Alfons der Große. 1) Jovian. Pontan. de liberalitate, und: de obedientia, 1. 4. Vgl. Sismondi X, p. 78, s.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/44
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/44>, abgerufen am 25.11.2024.