einer jener großen Bußprediger, von welchen im letzten Ab-5. Abschnitt. schnitt die Rede sein wird, Roberto da Lecce, den Kreis seiner Fastenpredigten während der Pestzeit 1448 in Perugia mit einer Charfreitagsaufführung der Passion beschließt; nur wenige Personen traten auf, aber das ganze Volk weinte laut. Freilich kamen bei solchen Anlässen Rührungs- mittel zur Anwendung, welche dem Gebiet des herbsten Naturalismus entnommen waren. Es bildet eine Parallele zu den Gemälden eines Matteo da Siena, zu den Thon- gruppen eines Guido Mazzoni, wenn der den Christus vorstellende Autor mit Striemen bedeckt und scheinbar Blut schwitzend, ja aus der Seitenwunde blutend auftreten mußte 1).
Die besondern Anlässe zur Aufführung von Mysterien,Anlässe zu My- sterien. abgesehen von gewissen großen Kirchenfesten, fürstlichen Ver- mählungen etc. sind sehr verschieden. Als z. B. S. Ber- nardino von Siena durch den Papst heilig gesprochen wurde (1450), gab es, wahrscheinlich auf dem großen Platz seiner Vaterstadt, eine Art von dramatischer Nachahmung (rap- presentazione) seiner Canonisation 2), nebst Speise und Trank für Jedermann. Oder ein gelehrter Mönch feiert seine Promotion zum Doctor der Theologie durch Aufführung der Legende des Stadtpatrons 3). König Carl VIII. war kaum nach Italien hinabgestiegen, als ihn die Herzogin Wittwe Blanca von Savoyen zu Turin mit einer Art von
Bei der Kreuzigung wurde eine bereit gehaltene Figur unterge- schoben.
1) Für letzteres z. B. Pii II. comment., L. VIII., p. 383. 386. -- Auch die Poesie des XV. Jahrh. stimmt bisweilen denselben rohen Ton an. Eine Canzone des Andrea da Basso constatirt bis ins Einzelne die Verwesung der Leiche einer hartherzigen Geliebten. Freilich in einem Klosterdrama des XII. Jahrh. hatte man sogar auf der Scene gesehen wie König Herodes von den Würmern ge- fressen wird. Carmina Burana, p. 80, s.
2)Allegretto, Diarei sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 767.
3)Matarazzo, arch. stor. XVI, II, p. 36.
einer jener großen Bußprediger, von welchen im letzten Ab-5. Abſchnitt. ſchnitt die Rede ſein wird, Roberto da Lecce, den Kreis ſeiner Faſtenpredigten während der Peſtzeit 1448 in Perugia mit einer Charfreitagsaufführung der Paſſion beſchließt; nur wenige Perſonen traten auf, aber das ganze Volk weinte laut. Freilich kamen bei ſolchen Anläſſen Rührungs- mittel zur Anwendung, welche dem Gebiet des herbſten Naturalismus entnommen waren. Es bildet eine Parallele zu den Gemälden eines Matteo da Siena, zu den Thon- gruppen eines Guido Mazzoni, wenn der den Chriſtus vorſtellende Autor mit Striemen bedeckt und ſcheinbar Blut ſchwitzend, ja aus der Seitenwunde blutend auftreten mußte 1).
Die beſondern Anläſſe zur Aufführung von Myſterien,Anläſſe zu My- ſterien. abgeſehen von gewiſſen großen Kirchenfeſten, fürſtlichen Ver- mählungen ꝛc. ſind ſehr verſchieden. Als z. B. S. Ber- nardino von Siena durch den Papſt heilig geſprochen wurde (1450), gab es, wahrſcheinlich auf dem großen Platz ſeiner Vaterſtadt, eine Art von dramatiſcher Nachahmung (rap- presentazione) ſeiner Canoniſation 2), nebſt Speiſe und Trank für Jedermann. Oder ein gelehrter Mönch feiert ſeine Promotion zum Doctor der Theologie durch Aufführung der Legende des Stadtpatrons 3). König Carl VIII. war kaum nach Italien hinabgeſtiegen, als ihn die Herzogin Wittwe Blanca von Savoyen zu Turin mit einer Art von
Bei der Kreuzigung wurde eine bereit gehaltene Figur unterge- ſchoben.
1) Für letzteres z. B. Pii II. comment., L. VIII., p. 383. 386. — Auch die Poeſie des XV. Jahrh. ſtimmt bisweilen denſelben rohen Ton an. Eine Canzone des Andrea da Baſſo conſtatirt bis ins Einzelne die Verweſung der Leiche einer hartherzigen Geliebten. Freilich in einem Kloſterdrama des XII. Jahrh. hatte man ſogar auf der Scene geſehen wie König Herodes von den Würmern ge- freſſen wird. Carmina Burana, p. 80, s.
2)Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 767.
3)Matarazzo, arch. stor. XVI, II, p. 36.
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einer jener großen Bußprediger, von welchen im letzten Ab-
ſchnitt die Rede ſein wird, Roberto da Lecce, den Kreis
ſeiner Faſtenpredigten während der Peſtzeit 1448 in Perugia
mit einer Charfreitagsaufführung der Paſſion beſchließt;
nur wenige Perſonen traten auf, aber das ganze Volk
weinte laut. Freilich kamen bei ſolchen Anläſſen Rührungs-
mittel zur Anwendung, welche dem Gebiet des herbſten
Naturalismus entnommen waren. Es bildet eine Parallele
zu den Gemälden eines Matteo da Siena, zu den Thon-
gruppen eines Guido Mazzoni, wenn der den Chriſtus
vorſtellende Autor mit Striemen bedeckt und ſcheinbar Blut
ſchwitzend, ja aus der Seitenwunde blutend auftreten mußte 1).
5. Abſchnitt.
Die beſondern Anläſſe zur Aufführung von Myſterien,
abgeſehen von gewiſſen großen Kirchenfeſten, fürſtlichen Ver-
mählungen ꝛc. ſind ſehr verſchieden. Als z. B. S. Ber-
nardino von Siena durch den Papſt heilig geſprochen wurde
(1450), gab es, wahrſcheinlich auf dem großen Platz ſeiner
Vaterſtadt, eine Art von dramatiſcher Nachahmung (rap-
presentazione) ſeiner Canoniſation 2), nebſt Speiſe und
Trank für Jedermann. Oder ein gelehrter Mönch feiert
ſeine Promotion zum Doctor der Theologie durch Aufführung
der Legende des Stadtpatrons 3). König Carl VIII. war
kaum nach Italien hinabgeſtiegen, als ihn die Herzogin
Wittwe Blanca von Savoyen zu Turin mit einer Art von
2)
Anläſſe zu My-
ſterien.
1) Für letzteres z. B. Pii II. comment., L. VIII., p. 383. 386. —
Auch die Poeſie des XV. Jahrh. ſtimmt bisweilen denſelben rohen
Ton an. Eine Canzone des Andrea da Baſſo conſtatirt bis ins
Einzelne die Verweſung der Leiche einer hartherzigen Geliebten.
Freilich in einem Kloſterdrama des XII. Jahrh. hatte man ſogar
auf der Scene geſehen wie König Herodes von den Würmern ge-
freſſen wird. Carmina Burana, p. 80, s.
2) Allegretto, Diarî sanesi, bei Murat. XXIII, Col. 767.
3) Matarazzo, arch. stor. XVI, II, p. 36.
2) Bei der Kreuzigung wurde eine bereit gehaltene Figur unterge-
ſchoben.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/419>, abgerufen am 16.02.2025.
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