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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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so entschiedene, präcise Fassung, sind von dem zarten Halb-5. Abschnitt.
dunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantischen,
was sonst der weiblichen Dichtung anhängt, so weit ent-
fernt, daß man sie durchaus für die Arbeiten eines Mannes
halten würde, wenn nicht Namen, Nachrichten und bestimmte
äußere Andeutungen das Gegentheil besagten.

Denn mit der Bildung entwickelt sich auch der Indi-und Individua-
lismus.

vidualismus in den Frauen höherer Stände auf ganz ähn-
liche Weise wie in den Männern, während außerhalb
Italiens bis auf die Reformation die Frauen, und selbst
die Fürstinnen noch sehr wenig persönlich hervortreten.
Ausnahmen wie Isabeau von Baiern, Margaretha von
Anjou, Isabella von Castilien u. s. w. kommen auch nur
unter ganz ausnahmsweisen Verhältnissen, ja gleichsam nur
gezwungen zum Vorschein. In Italien haben schon während
des ganzen XV. Jahrhunderts die Gemahlinnen der Herr-
scher und vorzüglich die der Condottieren fast alle eine be-
sondere, kenntliche Physiognomie, und nehmen an der No-
torietät, ja am Ruhme ihren Antheil (S. 133). Dazu
kömmt allmälig eine Schaar von berühmten Frauen ver-
schiedener Art (S. 150) wäre auch ihre Auszeichnung nur
darin zu finden gewesen, daß in ihnen Anlage, Schönheit,
Erziehung, gute Sitte und Frömmigkeit ein völlig harmo-
nisches Ganzes bildeten 1). Von einer aparten, bewußten
"Emancipation" ist gar nicht die Rede, weil sich die Sache
von selber verstand. Die Frau von Stande mußte damalsVolle Persön-
lichkeit.

ganz wie der Mann nach einer abgeschlossenen, in jeder
Hinsicht vollendeten Persönlichkeit streben. Derselbe Her-
gang in Geist und Herz, welcher den Mann vollkommen

1) So muß man z. B. bei Vespasiano Fiorentino (Mai, Spicileg.
rom. IX, p. 593, s.
) die Biographie der Alessandra de' Bardi
auffassen. Der Autor ist, beiläufig gesagt, ein großer laudator
temporis acti
und man darf nicht vergessen, daß fast hundert Jahre
vor dem, was er die gute alte Zeit nennt, schon Boccaccio den De-
camerone schrieb.

ſo entſchiedene, präciſe Faſſung, ſind von dem zarten Halb-5. Abſchnitt.
dunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantiſchen,
was ſonſt der weiblichen Dichtung anhängt, ſo weit ent-
fernt, daß man ſie durchaus für die Arbeiten eines Mannes
halten würde, wenn nicht Namen, Nachrichten und beſtimmte
äußere Andeutungen das Gegentheil beſagten.

Denn mit der Bildung entwickelt ſich auch der Indi-und Individua-
lismus.

vidualismus in den Frauen höherer Stände auf ganz ähn-
liche Weiſe wie in den Männern, während außerhalb
Italiens bis auf die Reformation die Frauen, und ſelbſt
die Fürſtinnen noch ſehr wenig perſönlich hervortreten.
Ausnahmen wie Iſabeau von Baiern, Margaretha von
Anjou, Iſabella von Caſtilien u. ſ. w. kommen auch nur
unter ganz ausnahmsweiſen Verhältniſſen, ja gleichſam nur
gezwungen zum Vorſchein. In Italien haben ſchon während
des ganzen XV. Jahrhunderts die Gemahlinnen der Herr-
ſcher und vorzüglich die der Condottieren faſt alle eine be-
ſondere, kenntliche Phyſiognomie, und nehmen an der No-
torietät, ja am Ruhme ihren Antheil (S. 133). Dazu
kömmt allmälig eine Schaar von berühmten Frauen ver-
ſchiedener Art (S. 150) wäre auch ihre Auszeichnung nur
darin zu finden geweſen, daß in ihnen Anlage, Schönheit,
Erziehung, gute Sitte und Frömmigkeit ein völlig harmo-
niſches Ganzes bildeten 1). Von einer aparten, bewußten
„Emancipation“ iſt gar nicht die Rede, weil ſich die Sache
von ſelber verſtand. Die Frau von Stande mußte damalsVolle Perſön-
lichkeit.

ganz wie der Mann nach einer abgeſchloſſenen, in jeder
Hinſicht vollendeten Perſönlichkeit ſtreben. Derſelbe Her-
gang in Geiſt und Herz, welcher den Mann vollkommen

1) So muß man z. B. bei Veſpaſiano Fiorentino (Mai, Spicileg.
rom. IX, p. 593, s.
) die Biographie der Aleſſandra de' Bardi
auffaſſen. Der Autor iſt, beiläufig geſagt, ein großer laudator
temporis acti
und man darf nicht vergeſſen, daß faſt hundert Jahre
vor dem, was er die gute alte Zeit nennt, ſchon Boccaccio den De-
camerone ſchrieb.
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[393/0403] ſo entſchiedene, präciſe Faſſung, ſind von dem zarten Halb- dunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantiſchen, was ſonſt der weiblichen Dichtung anhängt, ſo weit ent- fernt, daß man ſie durchaus für die Arbeiten eines Mannes halten würde, wenn nicht Namen, Nachrichten und beſtimmte äußere Andeutungen das Gegentheil beſagten. 5. Abſchnitt. Denn mit der Bildung entwickelt ſich auch der Indi- vidualismus in den Frauen höherer Stände auf ganz ähn- liche Weiſe wie in den Männern, während außerhalb Italiens bis auf die Reformation die Frauen, und ſelbſt die Fürſtinnen noch ſehr wenig perſönlich hervortreten. Ausnahmen wie Iſabeau von Baiern, Margaretha von Anjou, Iſabella von Caſtilien u. ſ. w. kommen auch nur unter ganz ausnahmsweiſen Verhältniſſen, ja gleichſam nur gezwungen zum Vorſchein. In Italien haben ſchon während des ganzen XV. Jahrhunderts die Gemahlinnen der Herr- ſcher und vorzüglich die der Condottieren faſt alle eine be- ſondere, kenntliche Phyſiognomie, und nehmen an der No- torietät, ja am Ruhme ihren Antheil (S. 133). Dazu kömmt allmälig eine Schaar von berühmten Frauen ver- ſchiedener Art (S. 150) wäre auch ihre Auszeichnung nur darin zu finden geweſen, daß in ihnen Anlage, Schönheit, Erziehung, gute Sitte und Frömmigkeit ein völlig harmo- niſches Ganzes bildeten 1). Von einer aparten, bewußten „Emancipation“ iſt gar nicht die Rede, weil ſich die Sache von ſelber verſtand. Die Frau von Stande mußte damals ganz wie der Mann nach einer abgeſchloſſenen, in jeder Hinſicht vollendeten Perſönlichkeit ſtreben. Derſelbe Her- gang in Geiſt und Herz, welcher den Mann vollkommen und Individua- lismus. Volle Perſön- lichkeit. 1) So muß man z. B. bei Veſpaſiano Fiorentino (Mai, Spicileg. rom. IX, p. 593, s.) die Biographie der Aleſſandra de' Bardi auffaſſen. Der Autor iſt, beiläufig geſagt, ein großer laudator temporis acti und man darf nicht vergeſſen, daß faſt hundert Jahre vor dem, was er die gute alte Zeit nennt, ſchon Boccaccio den De- camerone ſchrieb.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/403>, abgerufen am 25.11.2024.