Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

Crusca frei, das Italienische wie eine todte Sprache zu5. Abschnitt.
behandeln. Sie war aber so machtlos, daß sie nicht ein-
mal die geistige Französirung desselben im vorigen Jahr-
hundert verhindern konnte. (Vgl. S. 377, Anm.)

Diese geliebte, gepflegte, auf alle Weise geschmeidigDie
Conversation.

gemachte Sprache war es nun, welche als Conversation die
Basis der ganzen Geselligkeit ausmachte. Während im
Norden der Adel und die Fürsten ihre Muße entweder
einsam oder mit Kampf, Jagd, Gelagen und Ceremonien,
die Bürger die ihrige mit Spielen und Leibesübungen,
allenfalls auch mit Verskünsten und Festlichkeiten hinbrachten,
gab es in Italien zu all diesem noch eine neutrale Sphäre,
wo Leute jeder Herkunft, sobald sie das Talent und die
Bildung dazu hatten, der Unterredung und dem Austausch
von Ernst und Scherz in veredelter Form oblagen. Da
die Bewirthung dabei Nebensache war 1), so konnte man
stumpfe und gefräßige Individuen ohne Schwierigkeit fern
halten. Wenn wir die Verfasser von Dialogen beim Wort
nehmen dürften, so hätten auch die höchsten Probleme des
Daseins das Gespräch zwischen auserwählten Geistern aus-
gefüllt; die Hervorbringung der erhabensten Gedanken wäre
nicht, wie bei den Nordländern in der Regel, eine einsame,
sondern eine Mehrern gemeinsame gewesen. Doch wir be-
schränken uns hier gerne auf die spielende, um ihrer selbst
willen vorhandene Geselligkeit.

Sie war wenigstens zu Anfang des XVI. JahrhundertsDie gesetzliche
Geselligkeit.

eine gesetzlich schöne und beruhte auf einem stillschweigenden,
oft aber auch auf einem laut zugestandenen und vorge-
schriebenen Uebereinkommen, welches sich frei nach der Zweck-

1) Luigi Cornaro klagt gegen 1550 (zu Anfang seines Trattato della
vita sobria
): erst seit nicht langer Zeit nähmen in Italien über-
hand: Die (spanischen) Ceremonien und Complimente, das Luther-
thum und die Schlemmerei. (Die Mäßigkeit und die freie, leichte
Geselligkeit schwanden zu gleicher Zeit.) Vgl. S. 355.

Crusca frei, das Italieniſche wie eine todte Sprache zu5. Abſchnitt.
behandeln. Sie war aber ſo machtlos, daß ſie nicht ein-
mal die geiſtige Franzöſirung deſſelben im vorigen Jahr-
hundert verhindern konnte. (Vgl. S. 377, Anm.)

Dieſe geliebte, gepflegte, auf alle Weiſe geſchmeidigDie
Converſation.

gemachte Sprache war es nun, welche als Converſation die
Baſis der ganzen Geſelligkeit ausmachte. Während im
Norden der Adel und die Fürſten ihre Muße entweder
einſam oder mit Kampf, Jagd, Gelagen und Ceremonien,
die Bürger die ihrige mit Spielen und Leibesübungen,
allenfalls auch mit Verskünſten und Feſtlichkeiten hinbrachten,
gab es in Italien zu all dieſem noch eine neutrale Sphäre,
wo Leute jeder Herkunft, ſobald ſie das Talent und die
Bildung dazu hatten, der Unterredung und dem Austauſch
von Ernſt und Scherz in veredelter Form oblagen. Da
die Bewirthung dabei Nebenſache war 1), ſo konnte man
ſtumpfe und gefräßige Individuen ohne Schwierigkeit fern
halten. Wenn wir die Verfaſſer von Dialogen beim Wort
nehmen dürften, ſo hätten auch die höchſten Probleme des
Daſeins das Geſpräch zwiſchen auserwählten Geiſtern aus-
gefüllt; die Hervorbringung der erhabenſten Gedanken wäre
nicht, wie bei den Nordländern in der Regel, eine einſame,
ſondern eine Mehrern gemeinſame geweſen. Doch wir be-
ſchränken uns hier gerne auf die ſpielende, um ihrer ſelbſt
willen vorhandene Geſelligkeit.

Sie war wenigſtens zu Anfang des XVI. JahrhundertsDie geſetzliche
Geſelligkeit.

eine geſetzlich ſchöne und beruhte auf einem ſtillſchweigenden,
oft aber auch auf einem laut zugeſtandenen und vorge-
ſchriebenen Uebereinkommen, welches ſich frei nach der Zweck-

1) Luigi Cornaro klagt gegen 1550 (zu Anfang ſeines Trattato della
vita sobria
): erſt ſeit nicht langer Zeit nähmen in Italien über-
hand: Die (ſpaniſchen) Ceremonien und Complimente, das Luther-
thum und die Schlemmerei. (Die Mäßigkeit und die freie, leichte
Geſelligkeit ſchwanden zu gleicher Zeit.) Vgl. S. 355.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0389" n="379"/>
Crusca frei, das Italieni&#x017F;che wie eine todte Sprache zu<note place="right"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">5. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note><lb/>
behandeln. Sie war aber &#x017F;o machtlos, daß &#x017F;ie nicht ein-<lb/>
mal die gei&#x017F;tige Franzö&#x017F;irung de&#x017F;&#x017F;elben im vorigen Jahr-<lb/>
hundert verhindern konnte. (Vgl. S. 377, Anm.)</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e geliebte, gepflegte, auf alle Wei&#x017F;e ge&#x017F;chmeidig<note place="right">Die<lb/>
Conver&#x017F;ation.</note><lb/>
gemachte Sprache war es nun, welche als Conver&#x017F;ation die<lb/>
Ba&#x017F;is der ganzen Ge&#x017F;elligkeit ausmachte. Während im<lb/>
Norden der Adel und die Für&#x017F;ten ihre Muße entweder<lb/>
ein&#x017F;am oder mit Kampf, Jagd, Gelagen und Ceremonien,<lb/>
die Bürger die ihrige mit Spielen und Leibesübungen,<lb/>
allenfalls auch mit Verskün&#x017F;ten und Fe&#x017F;tlichkeiten hinbrachten,<lb/>
gab es in Italien zu all die&#x017F;em noch eine neutrale Sphäre,<lb/>
wo Leute jeder Herkunft, &#x017F;obald &#x017F;ie das Talent und die<lb/>
Bildung dazu hatten, der Unterredung und dem Austau&#x017F;ch<lb/>
von Ern&#x017F;t und Scherz in veredelter Form oblagen. Da<lb/>
die Bewirthung dabei Neben&#x017F;ache war <note place="foot" n="1)">Luigi Cornaro klagt gegen 1550 (zu Anfang &#x017F;eines <hi rendition="#aq">Trattato della<lb/>
vita sobria</hi>): er&#x017F;t &#x017F;eit nicht langer Zeit nähmen in Italien über-<lb/>
hand: Die (&#x017F;pani&#x017F;chen) Ceremonien und Complimente, das Luther-<lb/>
thum und die Schlemmerei. (Die Mäßigkeit und die freie, leichte<lb/>
Ge&#x017F;elligkeit &#x017F;chwanden zu gleicher Zeit.) Vgl. S. 355.</note>, &#x017F;o konnte man<lb/>
&#x017F;tumpfe und gefräßige Individuen ohne Schwierigkeit fern<lb/>
halten. Wenn wir die Verfa&#x017F;&#x017F;er von Dialogen beim Wort<lb/>
nehmen dürften, &#x017F;o hätten auch die höch&#x017F;ten Probleme des<lb/>
Da&#x017F;eins das Ge&#x017F;präch zwi&#x017F;chen auserwählten Gei&#x017F;tern aus-<lb/>
gefüllt; die Hervorbringung der erhaben&#x017F;ten Gedanken wäre<lb/>
nicht, wie bei den Nordländern in der Regel, eine ein&#x017F;ame,<lb/>
&#x017F;ondern eine Mehrern gemein&#x017F;ame gewe&#x017F;en. Doch wir be-<lb/>
&#x017F;chränken uns hier gerne auf die &#x017F;pielende, um ihrer &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
willen vorhandene Ge&#x017F;elligkeit.</p><lb/>
        <p>Sie war wenig&#x017F;tens zu Anfang des <hi rendition="#aq">XVI.</hi> Jahrhunderts<note place="right">Die ge&#x017F;etzliche<lb/>
Ge&#x017F;elligkeit.</note><lb/>
eine ge&#x017F;etzlich &#x017F;chöne und beruhte auf einem &#x017F;till&#x017F;chweigenden,<lb/>
oft aber auch auf einem laut zuge&#x017F;tandenen und vorge-<lb/>
&#x017F;chriebenen Uebereinkommen, welches &#x017F;ich frei nach der Zweck-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0389] Crusca frei, das Italieniſche wie eine todte Sprache zu behandeln. Sie war aber ſo machtlos, daß ſie nicht ein- mal die geiſtige Franzöſirung deſſelben im vorigen Jahr- hundert verhindern konnte. (Vgl. S. 377, Anm.) 5. Abſchnitt. Dieſe geliebte, gepflegte, auf alle Weiſe geſchmeidig gemachte Sprache war es nun, welche als Converſation die Baſis der ganzen Geſelligkeit ausmachte. Während im Norden der Adel und die Fürſten ihre Muße entweder einſam oder mit Kampf, Jagd, Gelagen und Ceremonien, die Bürger die ihrige mit Spielen und Leibesübungen, allenfalls auch mit Verskünſten und Feſtlichkeiten hinbrachten, gab es in Italien zu all dieſem noch eine neutrale Sphäre, wo Leute jeder Herkunft, ſobald ſie das Talent und die Bildung dazu hatten, der Unterredung und dem Austauſch von Ernſt und Scherz in veredelter Form oblagen. Da die Bewirthung dabei Nebenſache war 1), ſo konnte man ſtumpfe und gefräßige Individuen ohne Schwierigkeit fern halten. Wenn wir die Verfaſſer von Dialogen beim Wort nehmen dürften, ſo hätten auch die höchſten Probleme des Daſeins das Geſpräch zwiſchen auserwählten Geiſtern aus- gefüllt; die Hervorbringung der erhabenſten Gedanken wäre nicht, wie bei den Nordländern in der Regel, eine einſame, ſondern eine Mehrern gemeinſame geweſen. Doch wir be- ſchränken uns hier gerne auf die ſpielende, um ihrer ſelbſt willen vorhandene Geſelligkeit. Die Converſation. Sie war wenigſtens zu Anfang des XVI. Jahrhunderts eine geſetzlich ſchöne und beruhte auf einem ſtillſchweigenden, oft aber auch auf einem laut zugeſtandenen und vorge- ſchriebenen Uebereinkommen, welches ſich frei nach der Zweck- Die geſetzliche Geſelligkeit. 1) Luigi Cornaro klagt gegen 1550 (zu Anfang ſeines Trattato della vita sobria): erſt ſeit nicht langer Zeit nähmen in Italien über- hand: Die (ſpaniſchen) Ceremonien und Complimente, das Luther- thum und die Schlemmerei. (Die Mäßigkeit und die freie, leichte Geſelligkeit ſchwanden zu gleicher Zeit.) Vgl. S. 355.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/389
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/389>, abgerufen am 05.10.2024.