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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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5. Abschnitt.Neapel noch zur Zeit der Blüthe der Literatur und zum
Theil wegen derselben. Piemont ist erst in unserm Jahr-
hundert durch freien Willensact ein recht italienisches Land
geworden, indem es sich diesem wichtigsten Capital der
Nation, der reinen Sprache, anschloß 1). Der Dialectlite-
ratur wurden schon seit Anfang des XVI. Jahrhunderts
gewisse Gegenstände freiwillig und mit Absicht überlassen,
und zwar nicht etwa lauter komische, sondern auch ernste 2).
Der Styl, welcher sich darin entwickelte, war allen Auf-
gaben gewachsen. Bei andern Völkern findet eine bewußte
Trennung dieser Art erst sehr viel später Statt.

Die Puristen.Die Denkweise der Gebildeten über den Werth der
Sprache als Medium der höhern Geselligkeit stellt der Cor-
tigiano 3) sehr vollständig dar. Es gab schon damals, zu
Anfang des XVI. Jahrhunderts, Leute, welche geflissent-
lich die veralteten Ausdrücke aus Dante und den übrigen
Toscanern seiner Zeit festhielten, bloß weil sie alt waren.
Für das Sprechen verbittet sich der Autor dieselben unbe-
dingt und will sie auch für das Schreiben nicht gelten
lassen, indem dasselbe doch nur eine Form des Sprechens
sei. Hierauf folgt dann consequent das Zugeständniß:
dasjenige Reden sei das Schönste, welches sich am meisten
den schön verfaßten Schriften nähere. Sehr klar tritt der
Gedanke hervor, daß Leute, die etwas Bedeutendes zu sagen

1) Man schrieb und las in Piemont schon lange vorher toscanisch, aber
man schrieb und las eben wenig.
2) Man wußte auch recht wohl, wohin im täglichen Leben der Dialect
gehörte und wohin nicht. Gioviano Pontano darf den Kronprinzen
von Neapel ausdrücklich vor dessen Gebrauch warnen (Jov. Pontan.
de principe).
Bei den Lazzaroni wurde man freilich nicht so po-
pulär wie die jetzige Dynastie. -- Den Hohn über einen mailänd.
Cardinal der in Rom seinen Dialect behaupten wollte s. bei Ban-
dello, Parte II, Nov. 31.
3) Bald. Castiglione, il cortigiano, L. I, fol. 27, s. Aus der dia-
logischen Form leuchtet doch überall die eigene Meinung hervor.

5. Abſchnitt.Neapel noch zur Zeit der Blüthe der Literatur und zum
Theil wegen derſelben. Piemont iſt erſt in unſerm Jahr-
hundert durch freien Willensact ein recht italieniſches Land
geworden, indem es ſich dieſem wichtigſten Capital der
Nation, der reinen Sprache, anſchloß 1). Der Dialectlite-
ratur wurden ſchon ſeit Anfang des XVI. Jahrhunderts
gewiſſe Gegenſtände freiwillig und mit Abſicht überlaſſen,
und zwar nicht etwa lauter komiſche, ſondern auch ernſte 2).
Der Styl, welcher ſich darin entwickelte, war allen Auf-
gaben gewachſen. Bei andern Völkern findet eine bewußte
Trennung dieſer Art erſt ſehr viel ſpäter Statt.

Die Puriſten.Die Denkweiſe der Gebildeten über den Werth der
Sprache als Medium der höhern Geſelligkeit ſtellt der Cor-
tigiano 3) ſehr vollſtändig dar. Es gab ſchon damals, zu
Anfang des XVI. Jahrhunderts, Leute, welche gefliſſent-
lich die veralteten Ausdrücke aus Dante und den übrigen
Toscanern ſeiner Zeit feſthielten, bloß weil ſie alt waren.
Für das Sprechen verbittet ſich der Autor dieſelben unbe-
dingt und will ſie auch für das Schreiben nicht gelten
laſſen, indem daſſelbe doch nur eine Form des Sprechens
ſei. Hierauf folgt dann conſequent das Zugeſtändniß:
dasjenige Reden ſei das Schönſte, welches ſich am meiſten
den ſchön verfaßten Schriften nähere. Sehr klar tritt der
Gedanke hervor, daß Leute, die etwas Bedeutendes zu ſagen

1) Man ſchrieb und las in Piemont ſchon lange vorher toscaniſch, aber
man ſchrieb und las eben wenig.
2) Man wußte auch recht wohl, wohin im täglichen Leben der Dialect
gehörte und wohin nicht. Gioviano Pontano darf den Kronprinzen
von Neapel ausdrücklich vor deſſen Gebrauch warnen (Jov. Pontan.
de principe).
Bei den Lazzaroni wurde man freilich nicht ſo po-
pulär wie die jetzige Dynaſtie. — Den Hohn über einen mailänd.
Cardinal der in Rom ſeinen Dialect behaupten wollte ſ. bei Ban-
dello, Parte II, Nov. 31.
3) Bald. Castiglione, il cortigiano, L. I, fol. 27, s. Aus der dia-
logiſchen Form leuchtet doch überall die eigene Meinung hervor.
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[376/0386] Neapel noch zur Zeit der Blüthe der Literatur und zum Theil wegen derſelben. Piemont iſt erſt in unſerm Jahr- hundert durch freien Willensact ein recht italieniſches Land geworden, indem es ſich dieſem wichtigſten Capital der Nation, der reinen Sprache, anſchloß 1). Der Dialectlite- ratur wurden ſchon ſeit Anfang des XVI. Jahrhunderts gewiſſe Gegenſtände freiwillig und mit Abſicht überlaſſen, und zwar nicht etwa lauter komiſche, ſondern auch ernſte 2). Der Styl, welcher ſich darin entwickelte, war allen Auf- gaben gewachſen. Bei andern Völkern findet eine bewußte Trennung dieſer Art erſt ſehr viel ſpäter Statt. 5. Abſchnitt. Die Denkweiſe der Gebildeten über den Werth der Sprache als Medium der höhern Geſelligkeit ſtellt der Cor- tigiano 3) ſehr vollſtändig dar. Es gab ſchon damals, zu Anfang des XVI. Jahrhunderts, Leute, welche gefliſſent- lich die veralteten Ausdrücke aus Dante und den übrigen Toscanern ſeiner Zeit feſthielten, bloß weil ſie alt waren. Für das Sprechen verbittet ſich der Autor dieſelben unbe- dingt und will ſie auch für das Schreiben nicht gelten laſſen, indem daſſelbe doch nur eine Form des Sprechens ſei. Hierauf folgt dann conſequent das Zugeſtändniß: dasjenige Reden ſei das Schönſte, welches ſich am meiſten den ſchön verfaßten Schriften nähere. Sehr klar tritt der Gedanke hervor, daß Leute, die etwas Bedeutendes zu ſagen Die Puriſten. 1) Man ſchrieb und las in Piemont ſchon lange vorher toscaniſch, aber man ſchrieb und las eben wenig. 2) Man wußte auch recht wohl, wohin im täglichen Leben der Dialect gehörte und wohin nicht. Gioviano Pontano darf den Kronprinzen von Neapel ausdrücklich vor deſſen Gebrauch warnen (Jov. Pontan. de principe). Bei den Lazzaroni wurde man freilich nicht ſo po- pulär wie die jetzige Dynaſtie. — Den Hohn über einen mailänd. Cardinal der in Rom ſeinen Dialect behaupten wollte ſ. bei Ban- dello, Parte II, Nov. 31. 3) Bald. Castiglione, il cortigiano, L. I, fol. 27, s. Aus der dia- logiſchen Form leuchtet doch überall die eigene Meinung hervor.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/386>, abgerufen am 28.11.2024.