Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

5. Abschnitt.es bedeutende Leute, die diesen Muth hatten 1); die Uebri-
gen wußten wenigstens in die herrschende Mode etwas In-
dividuelles zu legen. Es ist ein Zeichen des sinkenden
Italiens, wenn Giovanni della Casa vor dem Auffallenden,
vor der Abweichung von der herrschenden Mode warnt 2).
Unsere Zeit, welche wenigstens in der Männerkleidung das
Nichtauffallen als höchstes Gesetz respectirt, verzichtet damit
auf Größeres als sie selber weiß. Sie erspart sich aber
damit viele Zeit, wodurch allein schon (nach unserm Maß-
stab der Geschäftigkeit) jeder Nachtheil aufgewogen würde.

In Venedig 3) und Florenz gab es zur Zeit der Re-
naissance für die Männer vorgeschriebene Trachten und für
Neapel.die Frauen Luxusgesetze. Wo die Trachten frei waren,
wie z. B. in Neapel, da constatiren die Moralisten, sogar
nicht ohne Schmerz, daß kein Unterschied mehr zwischen
Adel und Bürger zu bemerken sei 4). Außerdem beklagen
sie den bereits äußerst raschen Wechsel der Moden und
(wenn wir die Worte richtig deuten) die thörichte Verehrung

1) Paul. Jovii Elogia, sub. tit. Petrus Gravina, Alex. Achillinus,
Balth. Castellio etc.
2) Casa, il Galateo, p. 78.
3) Hierüber die venezian. Trachtenbücher, und Sansovino: Venezia,
fol. 150, s.
Die Brauttracht bei der Verlobung -- weiß, mit
aufgelöst über die Schultern wallendem Haare -- ist die von Ti-
zian's Flora.
4) Jovian. Pontan. de principe: Utinam autem non eo impu-
dentiae perventum esset, ut inter mercatorem et patricium
nullum sit in vestitu ceteroque ornatu discrimen. Sed haec
tanta licentia reprehendi potest, coerceri non potest, quan-
quam mutari vestes sic quotidie videamus, ut quas quarto
ante mense
in deliciis habebamus, nunc repudiemus et
tanquam veteramenta abiiciamus. Quodque tolerari vix potest,
nullum fere vestimenti genus probatur, quod e Galliis non
fuerit adductum, in quibus levia pleraque in pretio sunt,
tametsi nostri persaepe homines modum illis et quasi formu-
lam quandam praescribant.

5. Abſchnitt.es bedeutende Leute, die dieſen Muth hatten 1); die Uebri-
gen wußten wenigſtens in die herrſchende Mode etwas In-
dividuelles zu legen. Es iſt ein Zeichen des ſinkenden
Italiens, wenn Giovanni della Caſa vor dem Auffallenden,
vor der Abweichung von der herrſchenden Mode warnt 2).
Unſere Zeit, welche wenigſtens in der Männerkleidung das
Nichtauffallen als höchſtes Geſetz reſpectirt, verzichtet damit
auf Größeres als ſie ſelber weiß. Sie erſpart ſich aber
damit viele Zeit, wodurch allein ſchon (nach unſerm Maß-
ſtab der Geſchäftigkeit) jeder Nachtheil aufgewogen würde.

In Venedig 3) und Florenz gab es zur Zeit der Re-
naiſſance für die Männer vorgeſchriebene Trachten und für
Neapel.die Frauen Luxusgeſetze. Wo die Trachten frei waren,
wie z. B. in Neapel, da conſtatiren die Moraliſten, ſogar
nicht ohne Schmerz, daß kein Unterſchied mehr zwiſchen
Adel und Bürger zu bemerken ſei 4). Außerdem beklagen
ſie den bereits äußerſt raſchen Wechſel der Moden und
(wenn wir die Worte richtig deuten) die thörichte Verehrung

1) Paul. Jovii Elogia, sub. tit. Petrus Gravina, Alex. Achillinus,
Balth. Castellio etc.
2) Casa, il Galateo, p. 78.
3) Hierüber die venezian. Trachtenbücher, und Sansovino: Venezia,
fol. 150, s.
Die Brauttracht bei der Verlobung — weiß, mit
aufgelöst über die Schultern wallendem Haare — iſt die von Ti-
zian's Flora.
4) Jovian. Pontan. de principe: Utinam autem non eo impu-
dentiæ perventum esset, ut inter mercatorem et patricium
nullum sit in vestitu ceteroque ornatu discrimen. Sed hæc
tanta licentia reprehendi potest, coerceri non potest, quan-
quam mutari vestes sic quotidie videamus, ut quas quarto
ante mense
in deliciis habebamus, nunc repudiemus et
tanquam veteramenta abiiciamus. Quodque tolerari vix potest,
nullum fere vestimenti genus probatur, quod e Galliis non
fuerit adductum, in quibus levia pleraque in pretio sunt,
tametsi nostri persæpe homines modum illis et quasi formu-
lam quandam præscribant.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0376" n="366"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">5. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>es bedeutende Leute, die die&#x017F;en Muth hatten <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Paul. Jovii Elogia, sub. tit. Petrus Gravina, Alex. Achillinus,<lb/>
Balth. Castellio etc.</hi></note>; die Uebri-<lb/>
gen wußten wenig&#x017F;tens in die herr&#x017F;chende Mode etwas In-<lb/>
dividuelles zu legen. Es i&#x017F;t ein Zeichen des &#x017F;inkenden<lb/>
Italiens, wenn Giovanni della Ca&#x017F;a vor dem Auffallenden,<lb/>
vor der Abweichung von der herr&#x017F;chenden Mode warnt <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Casa, il Galateo, p. 78.</hi></note>.<lb/>
Un&#x017F;ere Zeit, welche wenig&#x017F;tens in der Männerkleidung das<lb/>
Nichtauffallen als höch&#x017F;tes Ge&#x017F;etz re&#x017F;pectirt, verzichtet damit<lb/>
auf Größeres als &#x017F;ie &#x017F;elber weiß. Sie er&#x017F;part &#x017F;ich aber<lb/>
damit viele Zeit, wodurch allein &#x017F;chon (nach un&#x017F;erm Maß-<lb/>
&#x017F;tab der Ge&#x017F;chäftigkeit) jeder Nachtheil aufgewogen würde.</p><lb/>
        <p>In Venedig <note place="foot" n="3)">Hierüber die venezian. Trachtenbücher, und <hi rendition="#aq">Sansovino: Venezia,<lb/>
fol. 150, s.</hi> Die Brauttracht bei der Verlobung &#x2014; weiß, mit<lb/>
aufgelöst über die Schultern wallendem Haare &#x2014; i&#x017F;t die von Ti-<lb/>
zian's Flora.</note> und Florenz gab es zur Zeit der Re-<lb/>
nai&#x017F;&#x017F;ance für die Männer vorge&#x017F;chriebene Trachten und für<lb/><note place="left">Neapel.</note>die Frauen Luxusge&#x017F;etze. Wo die Trachten frei waren,<lb/>
wie z. B. in Neapel, da con&#x017F;tatiren die Morali&#x017F;ten, &#x017F;ogar<lb/>
nicht ohne Schmerz, daß kein Unter&#x017F;chied mehr zwi&#x017F;chen<lb/>
Adel und Bürger zu bemerken &#x017F;ei <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">Jovian. Pontan. de principe: Utinam autem non eo impu-<lb/>
dentiæ perventum esset, ut inter mercatorem et patricium<lb/>
nullum sit in vestitu ceteroque ornatu discrimen. Sed hæc<lb/>
tanta licentia reprehendi potest, coerceri non potest, quan-<lb/>
quam mutari vestes sic quotidie videamus, ut quas <hi rendition="#g">quarto<lb/>
ante mense</hi> in deliciis habebamus, nunc repudiemus et<lb/>
tanquam veteramenta abiiciamus. Quodque tolerari vix potest,<lb/>
nullum fere vestimenti genus probatur, quod e Galliis non<lb/>
fuerit adductum, in quibus levia pleraque in pretio sunt,<lb/>
tametsi nostri persæpe homines modum illis et quasi formu-<lb/>
lam quandam præscribant.</hi></note>. Außerdem beklagen<lb/>
&#x017F;ie den bereits äußer&#x017F;t ra&#x017F;chen Wech&#x017F;el der Moden und<lb/>
(wenn wir die Worte richtig deuten) die thörichte Verehrung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[366/0376] es bedeutende Leute, die dieſen Muth hatten 1); die Uebri- gen wußten wenigſtens in die herrſchende Mode etwas In- dividuelles zu legen. Es iſt ein Zeichen des ſinkenden Italiens, wenn Giovanni della Caſa vor dem Auffallenden, vor der Abweichung von der herrſchenden Mode warnt 2). Unſere Zeit, welche wenigſtens in der Männerkleidung das Nichtauffallen als höchſtes Geſetz reſpectirt, verzichtet damit auf Größeres als ſie ſelber weiß. Sie erſpart ſich aber damit viele Zeit, wodurch allein ſchon (nach unſerm Maß- ſtab der Geſchäftigkeit) jeder Nachtheil aufgewogen würde. 5. Abſchnitt. In Venedig 3) und Florenz gab es zur Zeit der Re- naiſſance für die Männer vorgeſchriebene Trachten und für die Frauen Luxusgeſetze. Wo die Trachten frei waren, wie z. B. in Neapel, da conſtatiren die Moraliſten, ſogar nicht ohne Schmerz, daß kein Unterſchied mehr zwiſchen Adel und Bürger zu bemerken ſei 4). Außerdem beklagen ſie den bereits äußerſt raſchen Wechſel der Moden und (wenn wir die Worte richtig deuten) die thörichte Verehrung Neapel. 1) Paul. Jovii Elogia, sub. tit. Petrus Gravina, Alex. Achillinus, Balth. Castellio etc. 2) Casa, il Galateo, p. 78. 3) Hierüber die venezian. Trachtenbücher, und Sansovino: Venezia, fol. 150, s. Die Brauttracht bei der Verlobung — weiß, mit aufgelöst über die Schultern wallendem Haare — iſt die von Ti- zian's Flora. 4) Jovian. Pontan. de principe: Utinam autem non eo impu- dentiæ perventum esset, ut inter mercatorem et patricium nullum sit in vestitu ceteroque ornatu discrimen. Sed hæc tanta licentia reprehendi potest, coerceri non potest, quan- quam mutari vestes sic quotidie videamus, ut quas quarto ante mense in deliciis habebamus, nunc repudiemus et tanquam veteramenta abiiciamus. Quodque tolerari vix potest, nullum fere vestimenti genus probatur, quod e Galliis non fuerit adductum, in quibus levia pleraque in pretio sunt, tametsi nostri persæpe homines modum illis et quasi formu- lam quandam præscribant.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/376
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/376>, abgerufen am 28.11.2024.