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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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baut, dem eröffnet sich von selbst der Adelsrang 1); "es ist5. Abschnitt.
eine ehrbare, wenn auch bäurische Nobilität". Auch in der
Lombardie leben die Adlichen vom Ertrag der ererbten
Landgüter; Abstammung und Enthaltung von gewöhnlichen
Geschäften machen hier schon den Adel aus 2). In Venedig
treiben die Nobili, die regierende Kaste, sämmtlich Handel;
ebenso sind in Genua Adliche und Nichtadliche sämmtlich
Kaufleute und Seefahrer und nur durch die Geburt unter-
schieden; einige freilich lauern auch als Wegelagerer in
Bergschlössern. In Florenz hat sich ein Theil des alten
Adels dem Handel ergeben; ein anderer Theil (gewiß der
weit kleinere) erfreut sich seines Ranges und giebt sich mit
gar nichts ab als mit Jagd und Vogelbeize 3).

Das Entscheidende war, daß fast in ganz Italien auch
die, welche auf ihre Geburt stolz sein mochten, doch gegen-Stellung zur
Bildung.

über der Bildung und dem Reichthum keinen Dünkel geltend
machen konnten, und daß sie durch ihre politischen oder
höfischen Vorrechte zu keinem erhöhten Standesgefühl pro-
vocirt wurden. Venedig macht hier nur eine scheinbare
Ausnahme, weil das Leben der Nobili durchaus nur ein
bürgerliches, durch wenige Ehrenrechte bevorzugtes war.

1) In ganz Italien galt wenigstens soviel, daß wer bedeutende Land-
renten hatte, vom Adel nicht mehr zu unterscheiden war.
2) Für die Tarirung des Adels in Oberitalien ist Bandello mit seiner
mehrmaligen Polemik gegen die Mißheirathen nicht ohne Bedeutung.
Parte I, Nov. 4. 26. Parte III, 60. IV. 8. Der mailändische
Nobile als Kaufmann ist eine Ausnahme. Parte III, Nov. 37.
-- Wie die lombardischen Adlichen an den Spielen der Bauern
Theil nahmen, vgl. S. 351 Anm.
3) Das strenge Urtheil Macchiavell's, Discorsi I, 55 bezieht sich bloß
auf den noch mit Lehnsrechten versehenen, völlig unthätigen und po-
litisch zerstörenden Adel. -- Agrippa von Nettesheim, der seine merk-
würdigsten Ideen wesentlich seinem Leben in Italien verdankt, hat
doch einen Abschnitt über Adel und Fürstenthum (de incert. et va-
nitate scient. cap.
80), der an radicaler Bitterkeit stärker als
Alles ist und wesentlich der nordischen Geistergährung angehört.

baut, dem eröffnet ſich von ſelbſt der Adelsrang 1); „es iſt5. Abſchnitt.
eine ehrbare, wenn auch bäuriſche Nobilität“. Auch in der
Lombardie leben die Adlichen vom Ertrag der ererbten
Landgüter; Abſtammung und Enthaltung von gewöhnlichen
Geſchäften machen hier ſchon den Adel aus 2). In Venedig
treiben die Nobili, die regierende Kaſte, ſämmtlich Handel;
ebenſo ſind in Genua Adliche und Nichtadliche ſämmtlich
Kaufleute und Seefahrer und nur durch die Geburt unter-
ſchieden; einige freilich lauern auch als Wegelagerer in
Bergſchlöſſern. In Florenz hat ſich ein Theil des alten
Adels dem Handel ergeben; ein anderer Theil (gewiß der
weit kleinere) erfreut ſich ſeines Ranges und giebt ſich mit
gar nichts ab als mit Jagd und Vogelbeize 3).

Das Entſcheidende war, daß faſt in ganz Italien auch
die, welche auf ihre Geburt ſtolz ſein mochten, doch gegen-Stellung zur
Bildung.

über der Bildung und dem Reichthum keinen Dünkel geltend
machen konnten, und daß ſie durch ihre politiſchen oder
höfiſchen Vorrechte zu keinem erhöhten Standesgefühl pro-
vocirt wurden. Venedig macht hier nur eine ſcheinbare
Ausnahme, weil das Leben der Nobili durchaus nur ein
bürgerliches, durch wenige Ehrenrechte bevorzugtes war.

1) In ganz Italien galt wenigſtens ſoviel, daß wer bedeutende Land-
renten hatte, vom Adel nicht mehr zu unterſcheiden war.
2) Für die Tarirung des Adels in Oberitalien iſt Bandello mit ſeiner
mehrmaligen Polemik gegen die Mißheirathen nicht ohne Bedeutung.
Parte I, Nov. 4. 26. Parte III, 60. IV. 8. Der mailändiſche
Nobile als Kaufmann iſt eine Ausnahme. Parte III, Nov. 37.
— Wie die lombardiſchen Adlichen an den Spielen der Bauern
Theil nahmen, vgl. S. 351 Anm.
3) Das ſtrenge Urtheil Macchiavell's, Discorsi I, 55 bezieht ſich bloß
auf den noch mit Lehnsrechten verſehenen, völlig unthätigen und po-
litiſch zerſtörenden Adel. — Agrippa von Nettesheim, der ſeine merk-
würdigſten Ideen weſentlich ſeinem Leben in Italien verdankt, hat
doch einen Abſchnitt über Adel und Fürſtenthum (de incert. et va-
nitate scient. cap.
80), der an radicaler Bitterkeit ſtärker als
Alles iſt und weſentlich der nordiſchen Geiſtergährung angehört.
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[359/0369] baut, dem eröffnet ſich von ſelbſt der Adelsrang 1); „es iſt eine ehrbare, wenn auch bäuriſche Nobilität“. Auch in der Lombardie leben die Adlichen vom Ertrag der ererbten Landgüter; Abſtammung und Enthaltung von gewöhnlichen Geſchäften machen hier ſchon den Adel aus 2). In Venedig treiben die Nobili, die regierende Kaſte, ſämmtlich Handel; ebenſo ſind in Genua Adliche und Nichtadliche ſämmtlich Kaufleute und Seefahrer und nur durch die Geburt unter- ſchieden; einige freilich lauern auch als Wegelagerer in Bergſchlöſſern. In Florenz hat ſich ein Theil des alten Adels dem Handel ergeben; ein anderer Theil (gewiß der weit kleinere) erfreut ſich ſeines Ranges und giebt ſich mit gar nichts ab als mit Jagd und Vogelbeize 3). 5. Abſchnitt. Das Entſcheidende war, daß faſt in ganz Italien auch die, welche auf ihre Geburt ſtolz ſein mochten, doch gegen- über der Bildung und dem Reichthum keinen Dünkel geltend machen konnten, und daß ſie durch ihre politiſchen oder höfiſchen Vorrechte zu keinem erhöhten Standesgefühl pro- vocirt wurden. Venedig macht hier nur eine ſcheinbare Ausnahme, weil das Leben der Nobili durchaus nur ein bürgerliches, durch wenige Ehrenrechte bevorzugtes war. Stellung zur Bildung. 1) In ganz Italien galt wenigſtens ſoviel, daß wer bedeutende Land- renten hatte, vom Adel nicht mehr zu unterſcheiden war. 2) Für die Tarirung des Adels in Oberitalien iſt Bandello mit ſeiner mehrmaligen Polemik gegen die Mißheirathen nicht ohne Bedeutung. Parte I, Nov. 4. 26. Parte III, 60. IV. 8. Der mailändiſche Nobile als Kaufmann iſt eine Ausnahme. Parte III, Nov. 37. — Wie die lombardiſchen Adlichen an den Spielen der Bauern Theil nahmen, vgl. S. 351 Anm. 3) Das ſtrenge Urtheil Macchiavell's, Discorsi I, 55 bezieht ſich bloß auf den noch mit Lehnsrechten verſehenen, völlig unthätigen und po- litiſch zerſtörenden Adel. — Agrippa von Nettesheim, der ſeine merk- würdigſten Ideen weſentlich ſeinem Leben in Italien verdankt, hat doch einen Abſchnitt über Adel und Fürſtenthum (de incert. et va- nitate scient. cap. 80), der an radicaler Bitterkeit ſtärker als Alles iſt und weſentlich der nordiſchen Geiſtergährung angehört.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/369>, abgerufen am 24.11.2024.