4. Abschnitt.frühern Werke, etwa um 1480). Sie schwanken noch zwischen echter und conventioneller Ländlichkeit, doch über- wiegt die erstere. Im Wesentlichen spricht daraus der Sinn eines wohldenkenden Dorfgeistlichen, nicht ohne einen ge- wissen aufklärerischen Eifer. Als Carmelitermönch mag er viel mit Landleuten verkehrt haben.
Lorenzo magni- fico.Allein mit einer ganz andern Kraft versetzt sich Lo- renzo magnifico in den bäurischen Gesichtskreis hinein. Seine Nencia di Barberino 1) liest sich wie ein Inbegriff echter Volkslieder aus der Umgegend von Florenz, zusam- mengegossen in einen großen Strom von Ottaven. Die Objectivität des Dichters ist der Art, daß man im Zweifel bleibt, ob er für den Redenden (den Bauerburschen Vallera, welcher der Nencia seine Liebe erklärt) Sympathie oder Hohn empfindet. Ein bewußter Gegensatz zur conventio- nellen Bucolik mit Pan und Nymphen ist unverkennbar; Lorenzo ergeht sich absichtlich im derben Realismus des bäurischen Kleinlebens und doch macht das ganze einen wahrhaft poetischen Eindruck.
Luigi Pulci.Ein zugestandenes Seitenstück zur Nencia ist die Beca da Dicomano des Luigi Pulci 2). Allein es fehlt der tiefere objective Ernst; die Beca ist nicht sowohl gedichtet aus innerem Drang, ein Stück Volksleben darzustellen, als viel- mehr aus dem Verlangen, durch etwas der Art den Beifall gebildeter Florentiner zu gewinnen. Daher die viel größere, absichtlichere Derbheit des Genrehaften und die beigemisch- ten Zoten. Doch wird der Gesichtskreis des ländlichen Liebhabers noch sehr geschickt festgehalten.
1)Poesie di Lorenzo magnif., I, p. 37, s. -- Die sehr merkwür- digen Gedichte aus der Zeit des deutschen Minnegesanges, welche den Namen des Neithard von Reuenthal tragen, stellen das Bauernleben doch nur dar, insoweit sich der Ritter zu seinem Vergnügen darauf einläßt.
2) Ebenda, II, p. 149.
4. Abſchnitt.frühern Werke, etwa um 1480). Sie ſchwanken noch zwiſchen echter und conventioneller Ländlichkeit, doch über- wiegt die erſtere. Im Weſentlichen ſpricht daraus der Sinn eines wohldenkenden Dorfgeiſtlichen, nicht ohne einen ge- wiſſen aufkläreriſchen Eifer. Als Carmelitermönch mag er viel mit Landleuten verkehrt haben.
Lorenzo magni- fico.Allein mit einer ganz andern Kraft verſetzt ſich Lo- renzo magnifico in den bäuriſchen Geſichtskreis hinein. Seine Nencia di Barberino 1) liest ſich wie ein Inbegriff echter Volkslieder aus der Umgegend von Florenz, zuſam- mengegoſſen in einen großen Strom von Ottaven. Die Objectivität des Dichters iſt der Art, daß man im Zweifel bleibt, ob er für den Redenden (den Bauerburſchen Vallera, welcher der Nencia ſeine Liebe erklärt) Sympathie oder Hohn empfindet. Ein bewußter Gegenſatz zur conventio- nellen Bucolik mit Pan und Nymphen iſt unverkennbar; Lorenzo ergeht ſich abſichtlich im derben Realismus des bäuriſchen Kleinlebens und doch macht das ganze einen wahrhaft poetiſchen Eindruck.
Luigi Pulci.Ein zugeſtandenes Seitenſtück zur Nencia iſt die Beca da Dicomano des Luigi Pulci 2). Allein es fehlt der tiefere objective Ernſt; die Beca iſt nicht ſowohl gedichtet aus innerem Drang, ein Stück Volksleben darzuſtellen, als viel- mehr aus dem Verlangen, durch etwas der Art den Beifall gebildeter Florentiner zu gewinnen. Daher die viel größere, abſichtlichere Derbheit des Genrehaften und die beigemiſch- ten Zoten. Doch wird der Geſichtskreis des ländlichen Liebhabers noch ſehr geſchickt feſtgehalten.
1)Poesie di Lorenzo magnif., I, p. 37, s. — Die ſehr merkwür- digen Gedichte aus der Zeit des deutſchen Minnegeſanges, welche den Namen des Neithard von Reuenthal tragen, ſtellen das Bauernleben doch nur dar, inſoweit ſich der Ritter zu ſeinem Vergnügen darauf einläßt.
2) Ebenda, II, p. 149.
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eines wohldenkenden Dorfgeiſtlichen, nicht ohne einen ge-
wiſſen aufkläreriſchen Eifer. Als Carmelitermönch mag er
viel mit Landleuten verkehrt haben.
4. Abſchnitt.
Allein mit einer ganz andern Kraft verſetzt ſich Lo-
renzo magnifico in den bäuriſchen Geſichtskreis hinein.
Seine Nencia di Barberino 1) liest ſich wie ein Inbegriff
echter Volkslieder aus der Umgegend von Florenz, zuſam-
mengegoſſen in einen großen Strom von Ottaven. Die
Objectivität des Dichters iſt der Art, daß man im Zweifel
bleibt, ob er für den Redenden (den Bauerburſchen Vallera,
welcher der Nencia ſeine Liebe erklärt) Sympathie oder
Hohn empfindet. Ein bewußter Gegenſatz zur conventio-
nellen Bucolik mit Pan und Nymphen iſt unverkennbar;
Lorenzo ergeht ſich abſichtlich im derben Realismus des
bäuriſchen Kleinlebens und doch macht das ganze einen
wahrhaft poetiſchen Eindruck.
Lorenzo magni-
fico.
Ein zugeſtandenes Seitenſtück zur Nencia iſt die Beca
da Dicomano des Luigi Pulci 2). Allein es fehlt der tiefere
objective Ernſt; die Beca iſt nicht ſowohl gedichtet aus
innerem Drang, ein Stück Volksleben darzuſtellen, als viel-
mehr aus dem Verlangen, durch etwas der Art den Beifall
gebildeter Florentiner zu gewinnen. Daher die viel größere,
abſichtlichere Derbheit des Genrehaften und die beigemiſch-
ten Zoten. Doch wird der Geſichtskreis des ländlichen
Liebhabers noch ſehr geſchickt feſtgehalten.
Luigi Pulci.
1) Poesie di Lorenzo magnif., I, p. 37, s. — Die ſehr merkwür-
digen Gedichte aus der Zeit des deutſchen Minnegeſanges, welche den
Namen des Neithard von Reuenthal tragen, ſtellen das Bauernleben
doch nur dar, inſoweit ſich der Ritter zu ſeinem Vergnügen darauf
einläßt.
2) Ebenda, II, p. 149.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/362>, abgerufen am 24.11.2024.
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