4. Abschnitt.viel mächtigeres Bild von der betreffenden Gestalt zu er- wecken vermag. Dante hat seine Beatrice nirgends herrlicher gepriesen als wo er nur den Reflex schildert, der von ihrem Wesen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han- delt sich hier nicht um die Poesie, welche als solche ihren eigenen Zielen nachgeht, sondern um das Vermögen, spe- cielle sowohl als ideale Formen in Worten zu malen.
Die Schönheit bei Boccaccio.Hier ist Boccaccio Meister, nicht im Decamerone, da die Novelle alles lange Beschreiben verbietet, sondern in seinen Romanen, wo er sich die Muße und den nöthigen Schwung dazu nehmen darf. In seinem Ameto schildert er 1) eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler sie hundert Jahre später würde gemalt haben -- denn auch hier geht die Bildung der Kunst lange voran. Bei der Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erscheinen schon einige Züge, die wir classisch nennen würden: in seinen Worten "la spaziosa testa e distesa" liegt die Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen; die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der Byzantiner zwei Bogen, sondern zusammen eine geschwungene Linie; die Nase scheint er sich der sogenannten Adlernase gen[ä]hert zu denken 2); auch die breite Brust, die mäßig langen Arme, die Wirkung der schönen Hand wie sie auf dem Purpurgewande liegt -- all diese Züge deuten wesent- lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches zugleich dem des hohen classischen Alterthumes unbewußt sich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein ernstes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht ausgehöhlten Hals, freilich auch das sehr moderne "kleine Füßchen", und, bei einer schwarzhaarigen Nymphe bereits "zwei spitzbübisch rollende Augen" 3). U. a. m.
1)Parnasso teatrale, Lipsia 1829. Introd., p. VII.
2) Die Lesart ist hier offenbar verdorben.
3)Due occhi ladri nel loro movimento. Die ganze Schrift ist reich an solchen Beschreibungen.
4. Abſchnitt.viel mächtigeres Bild von der betreffenden Geſtalt zu er- wecken vermag. Dante hat ſeine Beatrice nirgends herrlicher geprieſen als wo er nur den Reflex ſchildert, der von ihrem Weſen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han- delt ſich hier nicht um die Poeſie, welche als ſolche ihren eigenen Zielen nachgeht, ſondern um das Vermögen, ſpe- cielle ſowohl als ideale Formen in Worten zu malen.
Die Schönheit bei Boccaccio.Hier iſt Boccaccio Meiſter, nicht im Decamerone, da die Novelle alles lange Beſchreiben verbietet, ſondern in ſeinen Romanen, wo er ſich die Muße und den nöthigen Schwung dazu nehmen darf. In ſeinem Ameto ſchildert er 1) eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler ſie hundert Jahre ſpäter würde gemalt haben — denn auch hier geht die Bildung der Kunſt lange voran. Bei der Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erſcheinen ſchon einige Züge, die wir claſſiſch nennen würden: in ſeinen Worten „la spaziosa testa e distesa“ liegt die Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen; die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der Byzantiner zwei Bogen, ſondern zuſammen eine geſchwungene Linie; die Naſe ſcheint er ſich der ſogenannten Adlernaſe gen[ä]hert zu denken 2); auch die breite Bruſt, die mäßig langen Arme, die Wirkung der ſchönen Hand wie ſie auf dem Purpurgewande liegt — all dieſe Züge deuten weſent- lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches zugleich dem des hohen claſſiſchen Alterthumes unbewußt ſich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein ernſtes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht ausgehöhlten Hals, freilich auch das ſehr moderne „kleine Füßchen“, und, bei einer ſchwarzhaarigen Nymphe bereits „zwei ſpitzbübiſch rollende Augen“ 3). U. a. m.
1)Parnasso teatrale, Lipsia 1829. Introd., p. VII.
2) Die Lesart iſt hier offenbar verdorben.
3)Due occhi ladri nel loro movimento. Die ganze Schrift iſt reich an ſolchen Beſchreibungen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0352"n="342"/><noteplace="left"><hirendition="#b"><hirendition="#u">4. Abſchnitt.</hi></hi></note>viel mächtigeres Bild von der betreffenden Geſtalt zu er-<lb/>
wecken vermag. Dante hat ſeine Beatrice nirgends herrlicher<lb/>
geprieſen als wo er nur den Reflex ſchildert, der von ihrem<lb/>
Weſen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han-<lb/>
delt ſich hier nicht um die Poeſie, welche als ſolche ihren<lb/>
eigenen Zielen nachgeht, ſondern um das Vermögen, ſpe-<lb/>
cielle ſowohl als ideale Formen in Worten zu malen.</p><lb/><p><noteplace="left">Die Schönheit<lb/>
bei Boccaccio.</note>Hier iſt Boccaccio Meiſter, nicht im Decamerone, da<lb/>
die Novelle alles lange Beſchreiben verbietet, ſondern in<lb/>ſeinen Romanen, wo er ſich die Muße und den nöthigen<lb/>
Schwung dazu nehmen darf. In ſeinem Ameto ſchildert<lb/>
er <noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#aq">Parnasso teatrale, Lipsia 1829. Introd., p. VII.</hi></note> eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler<lb/>ſie hundert Jahre ſpäter würde gemalt haben — denn auch<lb/>
hier geht die Bildung der Kunſt lange voran. Bei der<lb/>
Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erſcheinen<lb/>ſchon einige Züge, die wir claſſiſch nennen würden: in<lb/>ſeinen Worten „<hirendition="#aq">la spaziosa testa e distesa</hi>“ liegt die<lb/>
Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen;<lb/>
die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der<lb/>
Byzantiner zwei Bogen, ſondern zuſammen eine geſchwungene<lb/>
Linie; die Naſe ſcheint er ſich der ſogenannten Adlernaſe<lb/>
gen<supplied>ä</supplied>hert zu denken <noteplace="foot"n="2)">Die Lesart iſt hier offenbar verdorben.</note>; auch die breite Bruſt, die mäßig<lb/>
langen Arme, die Wirkung der ſchönen Hand wie ſie auf<lb/>
dem Purpurgewande liegt — all dieſe Züge deuten weſent-<lb/>
lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches<lb/>
zugleich dem des hohen claſſiſchen Alterthumes unbewußt<lb/>ſich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio<lb/>
auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein<lb/>
ernſtes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht<lb/>
ausgehöhlten Hals, freilich auch das ſehr moderne „kleine<lb/>
Füßchen“, und, bei einer ſchwarzhaarigen Nymphe bereits<lb/>„zwei ſpitzbübiſch rollende Augen“<noteplace="foot"n="3)"><hirendition="#aq">Due occhi ladri nel loro movimento</hi>. Die ganze Schrift iſt reich<lb/>
an ſolchen Beſchreibungen.</note>. U. a. m.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[342/0352]
viel mächtigeres Bild von der betreffenden Geſtalt zu er-
wecken vermag. Dante hat ſeine Beatrice nirgends herrlicher
geprieſen als wo er nur den Reflex ſchildert, der von ihrem
Weſen ausgeht auf ihre ganze Umgebung. Allein es han-
delt ſich hier nicht um die Poeſie, welche als ſolche ihren
eigenen Zielen nachgeht, ſondern um das Vermögen, ſpe-
cielle ſowohl als ideale Formen in Worten zu malen.
4. Abſchnitt.
Hier iſt Boccaccio Meiſter, nicht im Decamerone, da
die Novelle alles lange Beſchreiben verbietet, ſondern in
ſeinen Romanen, wo er ſich die Muße und den nöthigen
Schwung dazu nehmen darf. In ſeinem Ameto ſchildert
er 1) eine Blonde und eine Braune ungefähr wie ein Maler
ſie hundert Jahre ſpäter würde gemalt haben — denn auch
hier geht die Bildung der Kunſt lange voran. Bei der
Braunen (oder eigentlich nur weniger Blonden) erſcheinen
ſchon einige Züge, die wir claſſiſch nennen würden: in
ſeinen Worten „la spaziosa testa e distesa“ liegt die
Ahnung großer Formen, die über das Niedliche hinausgehen;
die Augbraunen bilden nicht mehr wie beim Ideal der
Byzantiner zwei Bogen, ſondern zuſammen eine geſchwungene
Linie; die Naſe ſcheint er ſich der ſogenannten Adlernaſe
genähert zu denken 2); auch die breite Bruſt, die mäßig
langen Arme, die Wirkung der ſchönen Hand wie ſie auf
dem Purpurgewande liegt — all dieſe Züge deuten weſent-
lich auf das Schönheitsgefühl einer kommenden Zeit, welches
zugleich dem des hohen claſſiſchen Alterthumes unbewußt
ſich nähert. In andern Schilderungen erwähnt Boccaccio
auch eine ebene (nicht mittelalterlich gerundete) Stirn, ein
ernſtes langgezogenes braunes Auge, einen runden, nicht
ausgehöhlten Hals, freilich auch das ſehr moderne „kleine
Füßchen“, und, bei einer ſchwarzhaarigen Nymphe bereits
„zwei ſpitzbübiſch rollende Augen“ 3). U. a. m.
Die Schönheit
bei Boccaccio.
1) Parnasso teatrale, Lipsia 1829. Introd., p. VII.
2) Die Lesart iſt hier offenbar verdorben.
3) Due occhi ladri nel loro movimento. Die ganze Schrift iſt reich
an ſolchen Beſchreibungen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/352>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.