Und was das Anstößigste ist, der 76jährige Mann findet4. Abschnitt. sich nach den schauerlichsten Erlebnissen 1), bei einem sehr erschütterten Zutrauen zu den Menschen, gleichwohl leidlich glücklich: noch lebt ihm ja ein Enkel, noch besitzt er sein ungeheures Wissen, den Ruhm wegen seiner Werke, ein hübsches Vermögen, Rang und Ansehen, mächtige Freunde, Kunde von Geheimnissen, und was das Beste ist: den Glauben an Gott. Nachträglich zählt er die Zähne in seinem Munde; es sind ihrer noch fünfzehn.
Doch als Cardano schrieb, sorgten auch in Italien Inquisitoren und Spanier bereits dafür, daß solche Men- schen entweder sich nicht mehr ausbilden konnten oder auf irgend eine Weise umkamen. Es ist ein großer Sprung von da bis auf die Memoiren des Alfieri.
Es wäre indeß ungerecht, diese Zusammenstellung vonLuigi Cornaro. Selbstbiographen zu schließen ohne einen sowohl achtbaren als glücklichen Menschen zum Worte kommen zu lassen. Es ist dieß der bekannte Lebensphilosoph Luigi Cornaro, dessen Wohnung in Padua schon als Bauwerk classisch und zugleich eine Heimath aller Musen war. In seinem be- rühmten Tractat "vom mäßigen Leben" 2) schildert er zunächst die strenge Diät, durch welche es ihm gelungen, nach frü- herer Kränklichkeit ein gesundes und hohes Alter, damals von 83 Jahren, zu erreichen; dann antwortet er denjenigen, welche das Alter über 65 Jahre hinaus überhaupt als einen lebendigen Tod verschmähen; er beweist ihnen, daß sein Leben ein höchst lebendiges und kein todtes sei. "Sie mögen kommen, sehen und sich wundern über mein Wohl- befinden, wie ich ohne Hülfe zu Pferde steige, Treppen und Hügel hinauf laufe, wie ich lustig, amusant und zufrieden
1) Z. B. die Hinrichtung seines ältesten Sohnes, der seine verbuhlte Gemahlin vergiftet hatte, Cap. 27. 50.
2)Discorsi della Vita sobria, bestehend aus dem eigentlichen trattato, einem compendio, einer esortazione und einer lettera an Daniel Barbaro. -- Oefter gedruckt.
Und was das Anſtößigſte iſt, der 76jährige Mann findet4. Abſchnitt. ſich nach den ſchauerlichſten Erlebniſſen 1), bei einem ſehr erſchütterten Zutrauen zu den Menſchen, gleichwohl leidlich glücklich: noch lebt ihm ja ein Enkel, noch beſitzt er ſein ungeheures Wiſſen, den Ruhm wegen ſeiner Werke, ein hübſches Vermögen, Rang und Anſehen, mächtige Freunde, Kunde von Geheimniſſen, und was das Beſte iſt: den Glauben an Gott. Nachträglich zählt er die Zähne in ſeinem Munde; es ſind ihrer noch fünfzehn.
Doch als Cardano ſchrieb, ſorgten auch in Italien Inquiſitoren und Spanier bereits dafür, daß ſolche Men- ſchen entweder ſich nicht mehr ausbilden konnten oder auf irgend eine Weiſe umkamen. Es iſt ein großer Sprung von da bis auf die Memoiren des Alfieri.
Es wäre indeß ungerecht, dieſe Zuſammenſtellung vonLuigi Cornaro. Selbſtbiographen zu ſchließen ohne einen ſowohl achtbaren als glücklichen Menſchen zum Worte kommen zu laſſen. Es iſt dieß der bekannte Lebensphiloſoph Luigi Cornaro, deſſen Wohnung in Padua ſchon als Bauwerk claſſiſch und zugleich eine Heimath aller Muſen war. In ſeinem be- rühmten Tractat „vom mäßigen Leben“ 2) ſchildert er zunächſt die ſtrenge Diät, durch welche es ihm gelungen, nach frü- herer Kränklichkeit ein geſundes und hohes Alter, damals von 83 Jahren, zu erreichen; dann antwortet er denjenigen, welche das Alter über 65 Jahre hinaus überhaupt als einen lebendigen Tod verſchmähen; er beweist ihnen, daß ſein Leben ein höchſt lebendiges und kein todtes ſei. „Sie mögen kommen, ſehen und ſich wundern über mein Wohl- befinden, wie ich ohne Hülfe zu Pferde ſteige, Treppen und Hügel hinauf laufe, wie ich luſtig, amuſant und zufrieden
1) Z. B. die Hinrichtung ſeines älteſten Sohnes, der ſeine verbuhlte Gemahlin vergiftet hatte, Cap. 27. 50.
2)Discorsi della Vita sobria, beſtehend aus dem eigentlichen trattato, einem compendio, einer esortazione und einer lettera an Daniel Barbaro. — Oefter gedruckt.
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glücklich: noch lebt ihm ja ein Enkel, noch beſitzt er ſein
ungeheures Wiſſen, den Ruhm wegen ſeiner Werke, ein
hübſches Vermögen, Rang und Anſehen, mächtige Freunde,
Kunde von Geheimniſſen, und was das Beſte iſt: den
Glauben an Gott. Nachträglich zählt er die Zähne in
ſeinem Munde; es ſind ihrer noch fünfzehn.
4. Abſchnitt.
Doch als Cardano ſchrieb, ſorgten auch in Italien
Inquiſitoren und Spanier bereits dafür, daß ſolche Men-
ſchen entweder ſich nicht mehr ausbilden konnten oder auf
irgend eine Weiſe umkamen. Es iſt ein großer Sprung
von da bis auf die Memoiren des Alfieri.
Es wäre indeß ungerecht, dieſe Zuſammenſtellung von
Selbſtbiographen zu ſchließen ohne einen ſowohl achtbaren
als glücklichen Menſchen zum Worte kommen zu laſſen.
Es iſt dieß der bekannte Lebensphiloſoph Luigi Cornaro,
deſſen Wohnung in Padua ſchon als Bauwerk claſſiſch und
zugleich eine Heimath aller Muſen war. In ſeinem be-
rühmten Tractat „vom mäßigen Leben“ 2) ſchildert er zunächſt
die ſtrenge Diät, durch welche es ihm gelungen, nach frü-
herer Kränklichkeit ein geſundes und hohes Alter, damals
von 83 Jahren, zu erreichen; dann antwortet er denjenigen,
welche das Alter über 65 Jahre hinaus überhaupt als
einen lebendigen Tod verſchmähen; er beweist ihnen, daß
ſein Leben ein höchſt lebendiges und kein todtes ſei. „Sie
mögen kommen, ſehen und ſich wundern über mein Wohl-
befinden, wie ich ohne Hülfe zu Pferde ſteige, Treppen und
Hügel hinauf laufe, wie ich luſtig, amuſant und zufrieden
Luigi Cornaro.
1) Z. B. die Hinrichtung ſeines älteſten Sohnes, der ſeine verbuhlte
Gemahlin vergiftet hatte, Cap. 27. 50.
2) Discorsi della Vita sobria, beſtehend aus dem eigentlichen trattato,
einem compendio, einer esortazione und einer lettera an Daniel
Barbaro. — Oefter gedruckt.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/345>, abgerufen am 22.11.2024.
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