lung anderer Völker gilt 1), und wie weit die Frage im4. Abschnitt. Ganzen von Werthe ist, kümmert uns hier wenig. Für die italienische Cultur hat sie ein entscheidendes Gewicht.
Was Petrarca in dieser Beziehung gelten soll, mögenPetrarca. die Leser des vielverbreiteten Dichters entscheiden. Wer ihm mit der Absicht eines Verhörrichters naht und die Wider- sprüche zwischen dem Menschen und dem Dichter, die er- wiesenen Nebenliebschaften und andere schwache Seiten recht emsig aufspürt, der kann in der That bei einiger Anstren- gung die Lust an seinen Sonetten gänzlich verlieren. Man hat dann statt eines poetischen Genusses die Kenntniß des Mannes in seiner "Totalität". Nur Schade, daß Petrar- ca's Briefe so wenigen avignonesischen Klatsch enthalten, woran man ihn fassen könnte, und daß die Correspondenzen seiner Bekannten und der Freunde dieser Bekannten ent- weder verloren gegangen sind oder gar nie existirt haben. Anstatt dem Himmel zu danken wenn man nicht zu erfor- schen braucht, wie und mit welchen Kämpfen ein Dichter das Unvergängliche aus seiner Umgebung und seinem armen Leben heraus ins Sichere brachte, hat man gleichwohl auch für Petrarca aus den wenigen "Reliquien" solcher Art eine Lebensgeschichte zusammengestellt, welche einer Anklageacte ähnlich sieht. Uebrigens mag sich der Dichter trösten; wenn das Drucken und Verarbeiten von Briefwechseln berühmter Leute in Deutschland und England noch fünfzig Jahre so fort geht, so wird die Armesünderbank, auf welcher er sitzt, allgemach die erlauchteste Gesellschaft enthalten.
Ohne das viele Künstliche und Gesuchte zu verkennen, wo Petrarca sich selber nachahmt und in seiner eigenen Manier weiterdichtet, bewundern wir in ihm eine Fülle herrlicher Seelenbilder, Schilderungen seliger und unseliger
1) Die Porträts der Eyck'schen Schule würden für den Norden eher das Gegentheil beweisen. Sie bleiben allen Schilderungen in Worten noch auf lange Zeit überlegen.
lung anderer Völker gilt 1), und wie weit die Frage im4. Abſchnitt. Ganzen von Werthe iſt, kümmert uns hier wenig. Für die italieniſche Cultur hat ſie ein entſcheidendes Gewicht.
Was Petrarca in dieſer Beziehung gelten ſoll, mögenPetrarca. die Leſer des vielverbreiteten Dichters entſcheiden. Wer ihm mit der Abſicht eines Verhörrichters naht und die Wider- ſprüche zwiſchen dem Menſchen und dem Dichter, die er- wieſenen Nebenliebſchaften und andere ſchwache Seiten recht emſig aufſpürt, der kann in der That bei einiger Anſtren- gung die Luſt an ſeinen Sonetten gänzlich verlieren. Man hat dann ſtatt eines poetiſchen Genuſſes die Kenntniß des Mannes in ſeiner „Totalität“. Nur Schade, daß Petrar- ca's Briefe ſo wenigen avignoneſiſchen Klatſch enthalten, woran man ihn faſſen könnte, und daß die Correſpondenzen ſeiner Bekannten und der Freunde dieſer Bekannten ent- weder verloren gegangen ſind oder gar nie exiſtirt haben. Anſtatt dem Himmel zu danken wenn man nicht zu erfor- ſchen braucht, wie und mit welchen Kämpfen ein Dichter das Unvergängliche aus ſeiner Umgebung und ſeinem armen Leben heraus ins Sichere brachte, hat man gleichwohl auch für Petrarca aus den wenigen „Reliquien“ ſolcher Art eine Lebensgeſchichte zuſammengeſtellt, welche einer Anklageacte ähnlich ſieht. Uebrigens mag ſich der Dichter tröſten; wenn das Drucken und Verarbeiten von Briefwechſeln berühmter Leute in Deutſchland und England noch fünfzig Jahre ſo fort geht, ſo wird die Armeſünderbank, auf welcher er ſitzt, allgemach die erlauchteſte Geſellſchaft enthalten.
Ohne das viele Künſtliche und Geſuchte zu verkennen, wo Petrarca ſich ſelber nachahmt und in ſeiner eigenen Manier weiterdichtet, bewundern wir in ihm eine Fülle herrlicher Seelenbilder, Schilderungen ſeliger und unſeliger
1) Die Porträts der Eyck'ſchen Schule würden für den Norden eher das Gegentheil beweiſen. Sie bleiben allen Schilderungen in Worten noch auf lange Zeit überlegen.
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lung anderer Völker gilt 1), und wie weit die Frage im
Ganzen von Werthe iſt, kümmert uns hier wenig. Für die
italieniſche Cultur hat ſie ein entſcheidendes Gewicht.
4. Abſchnitt.
Was Petrarca in dieſer Beziehung gelten ſoll, mögen
die Leſer des vielverbreiteten Dichters entſcheiden. Wer ihm
mit der Abſicht eines Verhörrichters naht und die Wider-
ſprüche zwiſchen dem Menſchen und dem Dichter, die er-
wieſenen Nebenliebſchaften und andere ſchwache Seiten recht
emſig aufſpürt, der kann in der That bei einiger Anſtren-
gung die Luſt an ſeinen Sonetten gänzlich verlieren. Man
hat dann ſtatt eines poetiſchen Genuſſes die Kenntniß des
Mannes in ſeiner „Totalität“. Nur Schade, daß Petrar-
ca's Briefe ſo wenigen avignoneſiſchen Klatſch enthalten,
woran man ihn faſſen könnte, und daß die Correſpondenzen
ſeiner Bekannten und der Freunde dieſer Bekannten ent-
weder verloren gegangen ſind oder gar nie exiſtirt haben.
Anſtatt dem Himmel zu danken wenn man nicht zu erfor-
ſchen braucht, wie und mit welchen Kämpfen ein Dichter
das Unvergängliche aus ſeiner Umgebung und ſeinem armen
Leben heraus ins Sichere brachte, hat man gleichwohl auch
für Petrarca aus den wenigen „Reliquien“ ſolcher Art eine
Lebensgeſchichte zuſammengeſtellt, welche einer Anklageacte
ähnlich ſieht. Uebrigens mag ſich der Dichter tröſten; wenn
das Drucken und Verarbeiten von Briefwechſeln berühmter
Leute in Deutſchland und England noch fünfzig Jahre ſo
fort geht, ſo wird die Armeſünderbank, auf welcher er ſitzt,
allgemach die erlauchteſte Geſellſchaft enthalten.
Petrarca.
Ohne das viele Künſtliche und Geſuchte zu verkennen,
wo Petrarca ſich ſelber nachahmt und in ſeiner eigenen
Manier weiterdichtet, bewundern wir in ihm eine Fülle
herrlicher Seelenbilder, Schilderungen ſeliger und unſeliger
1) Die Porträts der Eyck'ſchen Schule würden für den Norden eher das
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/321>, abgerufen am 24.11.2024.
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