Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

3. Abschnitt.sein? Sie sind schon frühe genug vernehmlich, allein ohne
sonderliche Wirkung, offenbar weil man von den Literaten
noch gar zu abhängig war in Betreff des Sachinhaltes des
Alterthums, weil sie im persönlichsten Sinne die Besitzer,
Träger und Verbreiter desselben waren. Allein das Ueber-
handnehmen gedruckter Ausgaben der Classiker 1), großer
wohlangelegter Handbücher und Nachschlagewerke emanci-
pirte das Volk schon in bedeutendem Grade von dem dauern-
den persönlichen Verkehr mit den Humanisten, und sobald
man sich ihrer auch nur zur Hälfte entschlagen konnte, trat
dann jener Umschlag der Stimmung ein. Gute und Böse
litten darunter ohne Unterschied.

Ihre Schuld
daran.
Urheber jener Anklagen sind durchaus die Humanisten
selbst. Von Allen, die jemals einen Stand gebildet, haben
sie am allerwenigsten ein Gefühl des Zusammenhaltes ge-
habt oder, wo es sich aufraffen wollte, respectirt. Sobald
sie dann anfingen sich Einer über den Andern zu erheben,
war ihnen jedes Mittel gleichgültig. Bitzschnell gehen sie
von wissenschaftlichen Gründen zur Invective und zur bo-
denlosesten Lästerung über; sie wollen ihren Gegner nicht
widerlegen sondern in jeder Beziehung zernichten. Etwas
hievon kommt auf Rechnung ihrer Umgebung und Stellung;
wir sahen, wie heftig das Zeitalter, dessen lauteste Organe
sie waren, von den Wogen des Ruhmes und des Hohnes
hin und her geworfen wurde. Auch war ihre Lage im
wirklichen Leben meist eine solche, daß sie sich beständig ihrer
Existenz wehren mußten. In solchen Stimmungen schrieben
und perorirten sie und schilderten einander. Poggio's Werke
allein enthalten schon Schmutz genug um ein Vorurtheil
gegen die ganze Schaar hervorzurufen -- und diese Opera
Poggii mußten gerade am häufigsten aufgelegt werden,
diesseits wie jenseits der Alpen. Man freue sich nicht zu

1) Man übersehe nicht, daß dieselben sehr früh mit alten Scholien und
neuen Commentaren abgedruckt wurden.

3. Abſchnitt.ſein? Sie ſind ſchon frühe genug vernehmlich, allein ohne
ſonderliche Wirkung, offenbar weil man von den Literaten
noch gar zu abhängig war in Betreff des Sachinhaltes des
Alterthums, weil ſie im perſönlichſten Sinne die Beſitzer,
Träger und Verbreiter deſſelben waren. Allein das Ueber-
handnehmen gedruckter Ausgaben der Claſſiker 1), großer
wohlangelegter Handbücher und Nachſchlagewerke emanci-
pirte das Volk ſchon in bedeutendem Grade von dem dauern-
den perſönlichen Verkehr mit den Humaniſten, und ſobald
man ſich ihrer auch nur zur Hälfte entſchlagen konnte, trat
dann jener Umſchlag der Stimmung ein. Gute und Böſe
litten darunter ohne Unterſchied.

Ihre Schuld
daran.
Urheber jener Anklagen ſind durchaus die Humaniſten
ſelbſt. Von Allen, die jemals einen Stand gebildet, haben
ſie am allerwenigſten ein Gefühl des Zuſammenhaltes ge-
habt oder, wo es ſich aufraffen wollte, reſpectirt. Sobald
ſie dann anfingen ſich Einer über den Andern zu erheben,
war ihnen jedes Mittel gleichgültig. Bitzſchnell gehen ſie
von wiſſenſchaftlichen Gründen zur Invective und zur bo-
denloſeſten Läſterung über; ſie wollen ihren Gegner nicht
widerlegen ſondern in jeder Beziehung zernichten. Etwas
hievon kommt auf Rechnung ihrer Umgebung und Stellung;
wir ſahen, wie heftig das Zeitalter, deſſen lauteſte Organe
ſie waren, von den Wogen des Ruhmes und des Hohnes
hin und her geworfen wurde. Auch war ihre Lage im
wirklichen Leben meiſt eine ſolche, daß ſie ſich beſtändig ihrer
Exiſtenz wehren mußten. In ſolchen Stimmungen ſchrieben
und perorirten ſie und ſchilderten einander. Poggio's Werke
allein enthalten ſchon Schmutz genug um ein Vorurtheil
gegen die ganze Schaar hervorzurufen — und dieſe Opera
Poggii mußten gerade am häufigſten aufgelegt werden,
dieſſeits wie jenſeits der Alpen. Man freue ſich nicht zu

1) Man überſehe nicht, daß dieſelben ſehr früh mit alten Scholien und
neuen Commentaren abgedruckt wurden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0278" n="268"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">3. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>&#x017F;ein? Sie &#x017F;ind &#x017F;chon frühe genug vernehmlich, allein ohne<lb/>
&#x017F;onderliche Wirkung, offenbar weil man von den Literaten<lb/>
noch gar zu abhängig war in Betreff des Sachinhaltes des<lb/>
Alterthums, weil &#x017F;ie im per&#x017F;önlich&#x017F;ten Sinne die Be&#x017F;itzer,<lb/>
Träger und Verbreiter de&#x017F;&#x017F;elben waren. Allein das Ueber-<lb/>
handnehmen gedruckter Ausgaben der Cla&#x017F;&#x017F;iker <note place="foot" n="1)">Man über&#x017F;ehe nicht, daß die&#x017F;elben &#x017F;ehr früh mit alten Scholien und<lb/>
neuen Commentaren abgedruckt wurden.</note>, großer<lb/>
wohlangelegter Handbücher und Nach&#x017F;chlagewerke emanci-<lb/>
pirte das Volk &#x017F;chon in bedeutendem Grade von dem dauern-<lb/>
den per&#x017F;önlichen Verkehr mit den Humani&#x017F;ten, und &#x017F;obald<lb/>
man &#x017F;ich ihrer auch nur zur Hälfte ent&#x017F;chlagen konnte, trat<lb/>
dann jener Um&#x017F;chlag der Stimmung ein. Gute und Bö&#x017F;e<lb/>
litten darunter ohne Unter&#x017F;chied.</p><lb/>
        <p><note place="left">Ihre Schuld<lb/>
daran.</note>Urheber jener Anklagen &#x017F;ind durchaus die Humani&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Von Allen, die jemals einen Stand gebildet, haben<lb/>
&#x017F;ie am allerwenig&#x017F;ten ein Gefühl des Zu&#x017F;ammenhaltes ge-<lb/>
habt oder, wo es &#x017F;ich aufraffen wollte, re&#x017F;pectirt. Sobald<lb/>
&#x017F;ie dann anfingen &#x017F;ich Einer über den Andern zu erheben,<lb/>
war ihnen jedes Mittel gleichgültig. Bitz&#x017F;chnell gehen &#x017F;ie<lb/>
von wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Gründen zur Invective und zur bo-<lb/>
denlo&#x017F;e&#x017F;ten Lä&#x017F;terung über; &#x017F;ie wollen ihren Gegner nicht<lb/>
widerlegen &#x017F;ondern in jeder Beziehung zernichten. Etwas<lb/>
hievon kommt auf Rechnung ihrer Umgebung und Stellung;<lb/>
wir &#x017F;ahen, wie heftig das Zeitalter, de&#x017F;&#x017F;en laute&#x017F;te Organe<lb/>
&#x017F;ie waren, von den Wogen des Ruhmes und des Hohnes<lb/>
hin und her geworfen wurde. Auch war ihre Lage im<lb/>
wirklichen Leben mei&#x017F;t eine &#x017F;olche, daß &#x017F;ie &#x017F;ich be&#x017F;tändig ihrer<lb/>
Exi&#x017F;tenz wehren mußten. In &#x017F;olchen Stimmungen &#x017F;chrieben<lb/>
und perorirten &#x017F;ie und &#x017F;childerten einander. Poggio's Werke<lb/>
allein enthalten &#x017F;chon Schmutz genug um ein Vorurtheil<lb/>
gegen die ganze Schaar hervorzurufen &#x2014; und die&#x017F;e Opera<lb/>
Poggii mußten gerade am häufig&#x017F;ten aufgelegt werden,<lb/>
die&#x017F;&#x017F;eits wie jen&#x017F;eits der Alpen. Man freue &#x017F;ich nicht zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0278] ſein? Sie ſind ſchon frühe genug vernehmlich, allein ohne ſonderliche Wirkung, offenbar weil man von den Literaten noch gar zu abhängig war in Betreff des Sachinhaltes des Alterthums, weil ſie im perſönlichſten Sinne die Beſitzer, Träger und Verbreiter deſſelben waren. Allein das Ueber- handnehmen gedruckter Ausgaben der Claſſiker 1), großer wohlangelegter Handbücher und Nachſchlagewerke emanci- pirte das Volk ſchon in bedeutendem Grade von dem dauern- den perſönlichen Verkehr mit den Humaniſten, und ſobald man ſich ihrer auch nur zur Hälfte entſchlagen konnte, trat dann jener Umſchlag der Stimmung ein. Gute und Böſe litten darunter ohne Unterſchied. 3. Abſchnitt. Urheber jener Anklagen ſind durchaus die Humaniſten ſelbſt. Von Allen, die jemals einen Stand gebildet, haben ſie am allerwenigſten ein Gefühl des Zuſammenhaltes ge- habt oder, wo es ſich aufraffen wollte, reſpectirt. Sobald ſie dann anfingen ſich Einer über den Andern zu erheben, war ihnen jedes Mittel gleichgültig. Bitzſchnell gehen ſie von wiſſenſchaftlichen Gründen zur Invective und zur bo- denloſeſten Läſterung über; ſie wollen ihren Gegner nicht widerlegen ſondern in jeder Beziehung zernichten. Etwas hievon kommt auf Rechnung ihrer Umgebung und Stellung; wir ſahen, wie heftig das Zeitalter, deſſen lauteſte Organe ſie waren, von den Wogen des Ruhmes und des Hohnes hin und her geworfen wurde. Auch war ihre Lage im wirklichen Leben meiſt eine ſolche, daß ſie ſich beſtändig ihrer Exiſtenz wehren mußten. In ſolchen Stimmungen ſchrieben und perorirten ſie und ſchilderten einander. Poggio's Werke allein enthalten ſchon Schmutz genug um ein Vorurtheil gegen die ganze Schaar hervorzurufen — und dieſe Opera Poggii mußten gerade am häufigſten aufgelegt werden, dieſſeits wie jenſeits der Alpen. Man freue ſich nicht zu Ihre Schuld daran. 1) Man überſehe nicht, daß dieſelben ſehr früh mit alten Scholien und neuen Commentaren abgedruckt wurden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/278
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/278>, abgerufen am 22.11.2024.