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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.An die höchsten Fragen von Gott, Tugend und Unsterb-
lichkeit knüpft der Verfasser die Besprechung vieler Ver-
hältnisse des äußern Lebens und ist von dieser Seite auch
eine nichtzuverachtende sittengeschichtliche Autorität. Im
Wesentlichen jedoch geht sein Gedicht schon aus dem Rahmen
der Renaissance heraus, wie denn auch, seinem ernsten Lehr-
zweck gemäß, bereits die Allegorie der Mythologie den
Rang abläuft.

Lateinische
Lyrik.
Weit am nächsten kam aber der Poet-Philolog dem
Alterthum in der Lyrik, und zwar speciell in der Elegie;
außerdem noch im Epigramm.

In der leichtern Gattung übte Catull eine wahrhaft
fascinirende Wirkung auf die Italiener aus. Manches
elegante lateinische Madrigal, manche kleine Invective, manches
boshafte Billet ist reine Umschreibung nach ihm; dann
werden verstorbene Hündchen, Papageien u. s. w. beklagt
ohne ein Wort aus dem Gedicht von Lesbiens Sperling
und doch in völliger Abhängigkeit von dessen Gedankengang.
Indeß giebt es kleine Gedichte dieser Art, welche auch den
Kenner über ihr wahres Alter täuschen können, wenn nicht
ein sachlicher Bezug klar auf das XV. oder XVI. Jahr-
hundert hinweist.

Dagegen möchte von Oden des sapphischen, alcäischen etc.
Versmaßes kaum eine zu finden sein, welche nicht irgend-
wie ihren modernen Ursprung deutlich verriethe. Dieß
geschieht meist durch eine rhetorische Redseligkeit, welche im
Alterthum erst etwa dem Statius eigen ist, durch einen
auffallenden Mangel an lyrischer Concentration, wie diese
Gattung sie durchaus verlangt. Einzelne Partien einer
Ode, 2 oder 3 Strophen zusammen, sehen wohl etwa wie
ein antikes Fragment aus, ein längeres Ganzes hält diese
Farbe selten fest. Und wo dieß der Fall ist, wie z. B. in
der schönen Ode an Venus von Andrea Navagero, da er-
kennt man leicht eine bloße Umschreibung nach antiken

3. Abſchnitt.An die höchſten Fragen von Gott, Tugend und Unſterb-
lichkeit knüpft der Verfaſſer die Beſprechung vieler Ver-
hältniſſe des äußern Lebens und iſt von dieſer Seite auch
eine nichtzuverachtende ſittengeſchichtliche Autorität. Im
Weſentlichen jedoch geht ſein Gedicht ſchon aus dem Rahmen
der Renaiſſance heraus, wie denn auch, ſeinem ernſten Lehr-
zweck gemäß, bereits die Allegorie der Mythologie den
Rang abläuft.

Lateiniſche
Lyrik.
Weit am nächſten kam aber der Poet-Philolog dem
Alterthum in der Lyrik, und zwar ſpeciell in der Elegie;
außerdem noch im Epigramm.

In der leichtern Gattung übte Catull eine wahrhaft
fascinirende Wirkung auf die Italiener aus. Manches
elegante lateiniſche Madrigal, manche kleine Invective, manches
boshafte Billet iſt reine Umſchreibung nach ihm; dann
werden verſtorbene Hündchen, Papageien u. ſ. w. beklagt
ohne ein Wort aus dem Gedicht von Lesbiens Sperling
und doch in völliger Abhängigkeit von deſſen Gedankengang.
Indeß giebt es kleine Gedichte dieſer Art, welche auch den
Kenner über ihr wahres Alter täuſchen können, wenn nicht
ein ſachlicher Bezug klar auf das XV. oder XVI. Jahr-
hundert hinweist.

Dagegen möchte von Oden des ſapphiſchen, alcäiſchen ꝛc.
Versmaßes kaum eine zu finden ſein, welche nicht irgend-
wie ihren modernen Urſprung deutlich verriethe. Dieß
geſchieht meiſt durch eine rhetoriſche Redſeligkeit, welche im
Alterthum erſt etwa dem Statius eigen iſt, durch einen
auffallenden Mangel an lyriſcher Concentration, wie dieſe
Gattung ſie durchaus verlangt. Einzelne Partien einer
Ode, 2 oder 3 Strophen zuſammen, ſehen wohl etwa wie
ein antikes Fragment aus, ein längeres Ganzes hält dieſe
Farbe ſelten feſt. Und wo dieß der Fall iſt, wie z. B. in
der ſchönen Ode an Venus von Andrea Navagero, da er-
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[260/0270] An die höchſten Fragen von Gott, Tugend und Unſterb- lichkeit knüpft der Verfaſſer die Beſprechung vieler Ver- hältniſſe des äußern Lebens und iſt von dieſer Seite auch eine nichtzuverachtende ſittengeſchichtliche Autorität. Im Weſentlichen jedoch geht ſein Gedicht ſchon aus dem Rahmen der Renaiſſance heraus, wie denn auch, ſeinem ernſten Lehr- zweck gemäß, bereits die Allegorie der Mythologie den Rang abläuft. 3. Abſchnitt. Weit am nächſten kam aber der Poet-Philolog dem Alterthum in der Lyrik, und zwar ſpeciell in der Elegie; außerdem noch im Epigramm. Lateiniſche Lyrik. In der leichtern Gattung übte Catull eine wahrhaft fascinirende Wirkung auf die Italiener aus. Manches elegante lateiniſche Madrigal, manche kleine Invective, manches boshafte Billet iſt reine Umſchreibung nach ihm; dann werden verſtorbene Hündchen, Papageien u. ſ. w. beklagt ohne ein Wort aus dem Gedicht von Lesbiens Sperling und doch in völliger Abhängigkeit von deſſen Gedankengang. Indeß giebt es kleine Gedichte dieſer Art, welche auch den Kenner über ihr wahres Alter täuſchen können, wenn nicht ein ſachlicher Bezug klar auf das XV. oder XVI. Jahr- hundert hinweist. Dagegen möchte von Oden des ſapphiſchen, alcäiſchen ꝛc. Versmaßes kaum eine zu finden ſein, welche nicht irgend- wie ihren modernen Urſprung deutlich verriethe. Dieß geſchieht meiſt durch eine rhetoriſche Redſeligkeit, welche im Alterthum erſt etwa dem Statius eigen iſt, durch einen auffallenden Mangel an lyriſcher Concentration, wie dieſe Gattung ſie durchaus verlangt. Einzelne Partien einer Ode, 2 oder 3 Strophen zuſammen, ſehen wohl etwa wie ein antikes Fragment aus, ein längeres Ganzes hält dieſe Farbe ſelten feſt. Und wo dieß der Fall iſt, wie z. B. in der ſchönen Ode an Venus von Andrea Navagero, da er- kennt man leicht eine bloße Umſchreibung nach antiken

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/270>, abgerufen am 22.11.2024.