wenigstens ist es ein ganz entschiedener Ueberschuß an Styl-3. Abschnitt. gefühl, wie die gleichzeitige Masse von italienischen Berich- ten, Geschichtsdarstellungen und selbst Pamphleten in Ter- zinen beweist. So gut Niccolo da Uzzano sein Placat mit einer neuen Staatsverfassung, Macchiavelli seine Uebersicht der Zeitgeschichte, ein Dritter das Leben Savonarola's, ein Vierter die Belagerung von Piombino durch Alfons den Großen 1) u. s. w. in diese schwierige italienische Versart gossen, um eindringlicher zu wirken, eben so gut mochten viele Andere für ihr Publicum des Hexameters bedürfen um es zu fesseln. Was man in dieser Form vertragen konnte und begehrte, zeigt am besten die didactische Poesie.Didactische Poesie. Diese nimmt im XVI. Jahrhundert einen ganz erstaun- lichen Aufschwung, um das Goldmachen, das Schachspiel, die Seidenzucht, die Astronomie, die venerische Seuche u. dgl. in Hexametern zu besingen, wozu noch mehrere umfassende italienische Dichtungen kommen. Man pflegt dergleichen heutzutage ungelesen zu verdammen, und inwiefern diese Lehrgedichte wirklich lesenswerth sind, wüßten auch wir nicht zu sagen. Eins nur ist gewiß, daß Epochen, die der unsrigen an Schönheitssinn unendlich überlegen waren, daß die spätgriechische und die römische Welt und die Renaissance die betreffende Gattung von Poesie nicht entbehren konnten. Man mag dagegen einwenden, daß heute nicht der Mangel an Schönheitssinn sondern der größere Ernst und die uni- versalistische Behandlung alles Lehrenswerthen die poetische Form ausschlössen, was wir auf sich beruhen lassen.
Eines dieser didactischen Werke wird noch jetzt hie und da wieder aufgelegt: der Zodiacus des Lebens, von Mar- cellus Palingenius, einem ferraresischen Cryptoprotestanten.
1)Uzzano s. Arch. IV, I, 296. -- Macchiavelli: i Decennali. -- Savonarola's Geschichte u. d. Titel Cedrus Libani von Fra Benedetto. -- Assedio di Piombino, bei Murat. XXV. -- Hiezu als Parallele der Teuerdank und andere Reimwerke des Nordens.
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wenigſtens iſt es ein ganz entſchiedener Ueberſchuß an Styl-3. Abſchnitt. gefühl, wie die gleichzeitige Maſſe von italieniſchen Berich- ten, Geſchichtsdarſtellungen und ſelbſt Pamphleten in Ter- zinen beweist. So gut Niccolo da Uzzano ſein Placat mit einer neuen Staatsverfaſſung, Macchiavelli ſeine Ueberſicht der Zeitgeſchichte, ein Dritter das Leben Savonarola's, ein Vierter die Belagerung von Piombino durch Alfons den Großen 1) u. ſ. w. in dieſe ſchwierige italieniſche Versart goſſen, um eindringlicher zu wirken, eben ſo gut mochten viele Andere für ihr Publicum des Hexameters bedürfen um es zu feſſeln. Was man in dieſer Form vertragen konnte und begehrte, zeigt am beſten die didactiſche Poeſie.Didactiſche Poeſie. Dieſe nimmt im XVI. Jahrhundert einen ganz erſtaun- lichen Aufſchwung, um das Goldmachen, das Schachſpiel, die Seidenzucht, die Aſtronomie, die veneriſche Seuche u. dgl. in Hexametern zu beſingen, wozu noch mehrere umfaſſende italieniſche Dichtungen kommen. Man pflegt dergleichen heutzutage ungeleſen zu verdammen, und inwiefern dieſe Lehrgedichte wirklich leſenswerth ſind, wüßten auch wir nicht zu ſagen. Eins nur iſt gewiß, daß Epochen, die der unſrigen an Schönheitsſinn unendlich überlegen waren, daß die ſpätgriechiſche und die römiſche Welt und die Renaiſſance die betreffende Gattung von Poeſie nicht entbehren konnten. Man mag dagegen einwenden, daß heute nicht der Mangel an Schönheitsſinn ſondern der größere Ernſt und die uni- verſaliſtiſche Behandlung alles Lehrenswerthen die poetiſche Form ausſchlöſſen, was wir auf ſich beruhen laſſen.
Eines dieſer didactiſchen Werke wird noch jetzt hie und da wieder aufgelegt: der Zodiacus des Lebens, von Mar- cellus Palingenius, einem ferrareſiſchen Cryptoproteſtanten.
1)Uzzano ſ. Arch. IV, I, 296. — Macchiavelli: i Decennali. — Savonarola's Geſchichte u. d. Titel Cedrus Libani von Fra Benedetto. — Assedio di Piombino, bei Murat. XXV. — Hiezu als Parallele der Teuerdank und andere Reimwerke des Nordens.
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wenigſtens iſt es ein ganz entſchiedener Ueberſchuß an Styl-
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zinen beweist. So gut Niccolo da Uzzano ſein Placat mit
einer neuen Staatsverfaſſung, Macchiavelli ſeine Ueberſicht
der Zeitgeſchichte, ein Dritter das Leben Savonarola's, ein
Vierter die Belagerung von Piombino durch Alfons den
Großen 1) u. ſ. w. in dieſe ſchwierige italieniſche Versart
goſſen, um eindringlicher zu wirken, eben ſo gut mochten
viele Andere für ihr Publicum des Hexameters bedürfen
um es zu feſſeln. Was man in dieſer Form vertragen
konnte und begehrte, zeigt am beſten die didactiſche Poeſie.
Dieſe nimmt im XVI. Jahrhundert einen ganz erſtaun-
lichen Aufſchwung, um das Goldmachen, das Schachſpiel,
die Seidenzucht, die Aſtronomie, die veneriſche Seuche u. dgl.
in Hexametern zu beſingen, wozu noch mehrere umfaſſende
italieniſche Dichtungen kommen. Man pflegt dergleichen
heutzutage ungeleſen zu verdammen, und inwiefern dieſe
Lehrgedichte wirklich leſenswerth ſind, wüßten auch wir
nicht zu ſagen. Eins nur iſt gewiß, daß Epochen, die der
unſrigen an Schönheitsſinn unendlich überlegen waren, daß
die ſpätgriechiſche und die römiſche Welt und die Renaiſſance
die betreffende Gattung von Poeſie nicht entbehren konnten.
Man mag dagegen einwenden, daß heute nicht der Mangel
an Schönheitsſinn ſondern der größere Ernſt und die uni-
verſaliſtiſche Behandlung alles Lehrenswerthen die poetiſche
Form ausſchlöſſen, was wir auf ſich beruhen laſſen.
3. Abſchnitt.
Didactiſche
Poeſie.
Eines dieſer didactiſchen Werke wird noch jetzt hie und
da wieder aufgelegt: der Zodiacus des Lebens, von Mar-
cellus Palingenius, einem ferrareſiſchen Cryptoproteſtanten.
1) Uzzano ſ. Arch. IV, I, 296. — Macchiavelli: i Decennali.
— Savonarola's Geſchichte u. d. Titel Cedrus Libani von Fra
Benedetto. — Assedio di Piombino, bei Murat. XXV. — Hiezu
als Parallele der Teuerdank und andere Reimwerke des Nordens.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/269>, abgerufen am 25.11.2024.
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