Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

15ten Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stel-3. Abschnitt.
lung des jugendlichen Humanismus zu seinem Jahrhundert
erörtert. Es darf nicht täuschen, daß er immerfort nur
von der "Poesie" spricht, denn bei näherm Zusehen wird
man bemerken, daß er die ganze geistige Thätigkeit des
Poeten-Philologen meint 1). Diese ist es, deren Feinde er
auf das Schärfste bekämpft: die frivolen Unwissenden, die
nur für Schlemmen und Prassen Sinn haben; die sophi-
stischen Theologen, welchen Helicon, der castalische Quell
und der Hain des Phöbus als bloße Thorheiten erscheinen;
die goldgierigen Juristen, welche die Poesie für überflüssig
halten insofern sie kein Geld verdient; endlich die (in Um-
schreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die
gern über Heidenthum und Immoralität Klage führen 2).
Darauf folgt die positive Vertheidigung, das Lob der Poesie,
namentlich des tiefern, zumal allegorischen Sinnes, den
man ihr überall zutrauen müsse, der wohlberechtigten Dun-
kelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwissenden zur Ab-
schreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Ver-Humanismus
und Religion.

fasser das neue Verhältniß der Zeit zum Heidenthum
überhaupt, in klarer Beziehung auf sein gelehrtes Werk 3).
Anders als jetzt möge es allerdings damals sich verhalten
haben, da die Urkirche sich noch gegen die Heiden vertheidi-

1) Poeta bedeutet noch bei Dante (Vita nuova, p. 47) ohnedieß nur
den lateinisch Dichtenden, während für den italienischen die Ausdrücke
Rimatore, Dicitore per rima gebraucht werden. Allerdings ver-
mischen sich mit der Zeit Ausdrücke und Begriffe.
2) Auch Petrarca auf dem Gipfel seines Ruhmes klagt in melancholi-
schen Augenblicken: sein übles Gestirn habe gewollt, daß er in später
Zeit unter Halunken -- extremi fures -- leben müsse. In
dem fingirten Brief an Livius, Opera, p. 704 seq.
3) Strenger hält sich Boccaccio an die eigentliche Poesie in seinem
(spätern) Brief an Jacobus Pizinga, in den opere volgari,
Vol. XVI.
Und doch erkennt er auch hier nur das für Poesie, was
von Alterthum Notiz nimmt, und ignorirt die Trovatoren.

15ten Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stel-3. Abſchnitt.
lung des jugendlichen Humanismus zu ſeinem Jahrhundert
erörtert. Es darf nicht täuſchen, daß er immerfort nur
von der „Poeſie“ ſpricht, denn bei näherm Zuſehen wird
man bemerken, daß er die ganze geiſtige Thätigkeit des
Poeten-Philologen meint 1). Dieſe iſt es, deren Feinde er
auf das Schärfſte bekämpft: die frivolen Unwiſſenden, die
nur für Schlemmen und Praſſen Sinn haben; die ſophi-
ſtiſchen Theologen, welchen Helicon, der caſtaliſche Quell
und der Hain des Phöbus als bloße Thorheiten erſcheinen;
die goldgierigen Juriſten, welche die Poeſie für überflüſſig
halten inſofern ſie kein Geld verdient; endlich die (in Um-
ſchreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die
gern über Heidenthum und Immoralität Klage führen 2).
Darauf folgt die poſitive Vertheidigung, das Lob der Poeſie,
namentlich des tiefern, zumal allegoriſchen Sinnes, den
man ihr überall zutrauen müſſe, der wohlberechtigten Dun-
kelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwiſſenden zur Ab-
ſchreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Ver-Humanismus
und Religion.

faſſer das neue Verhältniß der Zeit zum Heidenthum
überhaupt, in klarer Beziehung auf ſein gelehrtes Werk 3).
Anders als jetzt möge es allerdings damals ſich verhalten
haben, da die Urkirche ſich noch gegen die Heiden vertheidi-

1) Poeta bedeutet noch bei Dante (Vita nuova, p. 47) ohnedieß nur
den lateiniſch Dichtenden, während für den italieniſchen die Ausdrücke
Rimatore, Dicitore per rima gebraucht werden. Allerdings ver-
miſchen ſich mit der Zeit Ausdrücke und Begriffe.
2) Auch Petrarca auf dem Gipfel ſeines Ruhmes klagt in melancholi-
ſchen Augenblicken: ſein übles Geſtirn habe gewollt, daß er in ſpäter
Zeit unter Halunken — extremi fures — leben müſſe. In
dem fingirten Brief an Livius, Opera, p. 704 seq.
3) Strenger hält ſich Boccaccio an die eigentliche Poeſie in ſeinem
(ſpätern) Brief an Jacobus Pizinga, in den opere volgari,
Vol. XVI.
Und doch erkennt er auch hier nur das für Poeſie, was
von Alterthum Notiz nimmt, und ignorirt die Trovatoren.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0211" n="201"/>
15ten Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stel-<note place="right"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">3. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note><lb/>
lung des jugendlichen Humanismus zu &#x017F;einem Jahrhundert<lb/>
erörtert. Es darf nicht täu&#x017F;chen, daß er immerfort nur<lb/>
von der &#x201E;Poe&#x017F;ie&#x201C; &#x017F;pricht, denn bei näherm Zu&#x017F;ehen wird<lb/>
man bemerken, daß er die ganze gei&#x017F;tige Thätigkeit des<lb/>
Poeten-Philologen meint <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Poeta</hi> bedeutet noch bei Dante (<hi rendition="#aq">Vita nuova, p.</hi> 47) ohnedieß nur<lb/>
den lateini&#x017F;ch Dichtenden, während für den italieni&#x017F;chen die Ausdrücke<lb/><hi rendition="#aq">Rimatore, Dicitore per rima</hi> gebraucht werden. Allerdings ver-<lb/>
mi&#x017F;chen &#x017F;ich mit der Zeit Ausdrücke und Begriffe.</note>. Die&#x017F;e i&#x017F;t es, deren Feinde er<lb/>
auf das Schärf&#x017F;te bekämpft: die frivolen Unwi&#x017F;&#x017F;enden, die<lb/>
nur für Schlemmen und Pra&#x017F;&#x017F;en Sinn haben; die &#x017F;ophi-<lb/>
&#x017F;ti&#x017F;chen Theologen, welchen Helicon, der ca&#x017F;tali&#x017F;che Quell<lb/>
und der Hain des Phöbus als bloße Thorheiten er&#x017F;cheinen;<lb/>
die goldgierigen Juri&#x017F;ten, welche die Poe&#x017F;ie für überflü&#x017F;&#x017F;ig<lb/>
halten in&#x017F;ofern &#x017F;ie kein Geld verdient; endlich die (in Um-<lb/>
&#x017F;chreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die<lb/>
gern über Heidenthum und Immoralität Klage führen <note place="foot" n="2)">Auch Petrarca auf dem Gipfel &#x017F;eines Ruhmes klagt in melancholi-<lb/>
&#x017F;chen Augenblicken: &#x017F;ein übles Ge&#x017F;tirn habe gewollt, daß er in &#x017F;päter<lb/>
Zeit unter Halunken &#x2014; <hi rendition="#aq">extremi fures</hi> &#x2014; leben mü&#x017F;&#x017F;e. In<lb/>
dem fingirten Brief an Livius, <hi rendition="#aq">Opera, p. 704 seq.</hi></note>.<lb/>
Darauf folgt die po&#x017F;itive Vertheidigung, das Lob der Poe&#x017F;ie,<lb/>
namentlich des tiefern, zumal allegori&#x017F;chen Sinnes, den<lb/>
man ihr überall zutrauen mü&#x017F;&#x017F;e, der wohlberechtigten Dun-<lb/>
kelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwi&#x017F;&#x017F;enden zur Ab-<lb/>
&#x017F;chreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Ver-<note place="right">Humanismus<lb/>
und Religion.</note><lb/>
fa&#x017F;&#x017F;er das neue Verhältniß der Zeit zum Heidenthum<lb/>
überhaupt, in klarer Beziehung auf &#x017F;ein gelehrtes Werk <note place="foot" n="3)">Strenger hält &#x017F;ich Boccaccio an die eigentliche Poe&#x017F;ie in &#x017F;einem<lb/>
(&#x017F;pätern) Brief an Jacobus Pizinga, in den <hi rendition="#aq">opere volgari,<lb/>
Vol. XVI.</hi> Und doch erkennt er auch hier nur das für Poe&#x017F;ie, was<lb/>
von Alterthum Notiz nimmt, und ignorirt die Trovatoren.</note>.<lb/>
Anders als jetzt möge es allerdings damals &#x017F;ich verhalten<lb/>
haben, da die Urkirche &#x017F;ich noch gegen die Heiden vertheidi-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0211] 15ten Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stel- lung des jugendlichen Humanismus zu ſeinem Jahrhundert erörtert. Es darf nicht täuſchen, daß er immerfort nur von der „Poeſie“ ſpricht, denn bei näherm Zuſehen wird man bemerken, daß er die ganze geiſtige Thätigkeit des Poeten-Philologen meint 1). Dieſe iſt es, deren Feinde er auf das Schärfſte bekämpft: die frivolen Unwiſſenden, die nur für Schlemmen und Praſſen Sinn haben; die ſophi- ſtiſchen Theologen, welchen Helicon, der caſtaliſche Quell und der Hain des Phöbus als bloße Thorheiten erſcheinen; die goldgierigen Juriſten, welche die Poeſie für überflüſſig halten inſofern ſie kein Geld verdient; endlich die (in Um- ſchreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die gern über Heidenthum und Immoralität Klage führen 2). Darauf folgt die poſitive Vertheidigung, das Lob der Poeſie, namentlich des tiefern, zumal allegoriſchen Sinnes, den man ihr überall zutrauen müſſe, der wohlberechtigten Dun- kelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwiſſenden zur Ab- ſchreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Ver- faſſer das neue Verhältniß der Zeit zum Heidenthum überhaupt, in klarer Beziehung auf ſein gelehrtes Werk 3). Anders als jetzt möge es allerdings damals ſich verhalten haben, da die Urkirche ſich noch gegen die Heiden vertheidi- 3. Abſchnitt. Humanismus und Religion. 1) Poeta bedeutet noch bei Dante (Vita nuova, p. 47) ohnedieß nur den lateiniſch Dichtenden, während für den italieniſchen die Ausdrücke Rimatore, Dicitore per rima gebraucht werden. Allerdings ver- miſchen ſich mit der Zeit Ausdrücke und Begriffe. 2) Auch Petrarca auf dem Gipfel ſeines Ruhmes klagt in melancholi- ſchen Augenblicken: ſein übles Geſtirn habe gewollt, daß er in ſpäter Zeit unter Halunken — extremi fures — leben müſſe. In dem fingirten Brief an Livius, Opera, p. 704 seq. 3) Strenger hält ſich Boccaccio an die eigentliche Poeſie in ſeinem (ſpätern) Brief an Jacobus Pizinga, in den opere volgari, Vol. XVI. Und doch erkennt er auch hier nur das für Poeſie, was von Alterthum Notiz nimmt, und ignorirt die Trovatoren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/211
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/211>, abgerufen am 27.11.2024.