2. Abschnitt.und Fürsten. -- Es sind echte Züge dieser Zeit hoch auf- geregter, aber bereits verzweifelnder Kräfte und Leiden- schaften, ganz wie einst die Brandstiftung im Tempel von Ephesus zur Zeit des Philipp von Macedonien.
Spott u. Witz.Das Correctiv nicht nur des Ruhmes und der modernen Ruhmbegier, sondern des höher entwickelten Individualismus überhaupt ist der moderne Spott und Hohn, womöglich in der siegreichen Form des Witzes. Wir erfahren aus dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürsten und Große einander mit symbolischem Hohn auf das Aeußerste reizen, oder wie der unterlegene Theil mit höchster symbo- lischer Schmach beladen wird. Daneben beginnt in theo- logischen Streitigkeiten schon hie und da, unter dem Ein- fluß antiker Rhetorik und Epistolographie, der Witz eine Waffe zu werden und die provenzalische Poesie entwickelt eine eigene Gattung von Trotz- und Hohnliedern; auch den Minnesingern fehlt gelegentlich dieser Ton nicht, wie ihre Der Spott und das Indivi- duum.politischen Gedichte zeigen 1). Aber ein selbständiges Element des Lebens konnte der Witz doch erst werden als sein regel- mäßiges Opfer, das ausgebildete Individuum mit persön- lichen Ansprüchen, vorhanden war. Da beschränkt er sich auch bei Weitem nicht mehr auf Wort und Schrift, sondern wird thatsächlich: er spielt Possen und verübt Streiche, die sogenannten burle und beffe, welche einen Hauptinhalt mehrerer Novellensammlungen ausmachen.
1) Das Mittelalter ist reich an sogenannten satirischen Gedichten, allein es ist noch nicht individuelle sondern fast lauter allgemeine, auf Stände, Kategorien, Bevölkerungen etc. gemünzte Satire, welche denn auch leicht in den lehrhaften Ton übergeht. Der allgemeine Nieder- schlag dieser ganzen Richtung ist vorzüglich die Fabel vom Reineke Fuchs in all ihren Redactionen bei den verschiedenen Völkern des Abendlandes. Für die französische Literatur dieses Zweiges ist eine treffliche neuere Arbeit vorhanden: Lenient, la satire en France au moyen-age.
2. Abſchnitt.und Fürſten. — Es ſind echte Züge dieſer Zeit hoch auf- geregter, aber bereits verzweifelnder Kräfte und Leiden- ſchaften, ganz wie einſt die Brandſtiftung im Tempel von Epheſus zur Zeit des Philipp von Macedonien.
Spott u. Witz.Das Correctiv nicht nur des Ruhmes und der modernen Ruhmbegier, ſondern des höher entwickelten Individualismus überhaupt iſt der moderne Spott und Hohn, womöglich in der ſiegreichen Form des Witzes. Wir erfahren aus dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürſten und Große einander mit ſymboliſchem Hohn auf das Aeußerſte reizen, oder wie der unterlegene Theil mit höchſter ſymbo- liſcher Schmach beladen wird. Daneben beginnt in theo- logiſchen Streitigkeiten ſchon hie und da, unter dem Ein- fluß antiker Rhetorik und Epiſtolographie, der Witz eine Waffe zu werden und die provenzaliſche Poeſie entwickelt eine eigene Gattung von Trotz- und Hohnliedern; auch den Minneſingern fehlt gelegentlich dieſer Ton nicht, wie ihre Der Spott und das Indivi- duum.politiſchen Gedichte zeigen 1). Aber ein ſelbſtändiges Element des Lebens konnte der Witz doch erſt werden als ſein regel- mäßiges Opfer, das ausgebildete Individuum mit perſön- lichen Anſprüchen, vorhanden war. Da beſchränkt er ſich auch bei Weitem nicht mehr auf Wort und Schrift, ſondern wird thatſächlich: er ſpielt Poſſen und verübt Streiche, die ſogenannten burle und beffe, welche einen Hauptinhalt mehrerer Novellenſammlungen ausmachen.
1) Das Mittelalter iſt reich an ſogenannten ſatiriſchen Gedichten, allein es iſt noch nicht individuelle ſondern faſt lauter allgemeine, auf Stände, Kategorien, Bevölkerungen ꝛc. gemünzte Satire, welche denn auch leicht in den lehrhaften Ton übergeht. Der allgemeine Nieder- ſchlag dieſer ganzen Richtung iſt vorzüglich die Fabel vom Reineke Fuchs in all ihren Redactionen bei den verſchiedenen Völkern des Abendlandes. Für die franzöſiſche Literatur dieſes Zweiges iſt eine treffliche neuere Arbeit vorhanden: Lenient, la satire en France au moyen-âge.
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und Fürſten. — Es ſind echte Züge dieſer Zeit hoch auf-
geregter, aber bereits verzweifelnder Kräfte und Leiden-
ſchaften, ganz wie einſt die Brandſtiftung im Tempel von
Epheſus zur Zeit des Philipp von Macedonien.
2. Abſchnitt.
Das Correctiv nicht nur des Ruhmes und der modernen
Ruhmbegier, ſondern des höher entwickelten Individualismus
überhaupt iſt der moderne Spott und Hohn, womöglich
in der ſiegreichen Form des Witzes. Wir erfahren aus
dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürſten
und Große einander mit ſymboliſchem Hohn auf das Aeußerſte
reizen, oder wie der unterlegene Theil mit höchſter ſymbo-
liſcher Schmach beladen wird. Daneben beginnt in theo-
logiſchen Streitigkeiten ſchon hie und da, unter dem Ein-
fluß antiker Rhetorik und Epiſtolographie, der Witz eine
Waffe zu werden und die provenzaliſche Poeſie entwickelt
eine eigene Gattung von Trotz- und Hohnliedern; auch den
Minneſingern fehlt gelegentlich dieſer Ton nicht, wie ihre
politiſchen Gedichte zeigen 1). Aber ein ſelbſtändiges Element
des Lebens konnte der Witz doch erſt werden als ſein regel-
mäßiges Opfer, das ausgebildete Individuum mit perſön-
lichen Anſprüchen, vorhanden war. Da beſchränkt er ſich
auch bei Weitem nicht mehr auf Wort und Schrift, ſondern
wird thatſächlich: er ſpielt Poſſen und verübt Streiche, die
ſogenannten burle und beffe, welche einen Hauptinhalt
mehrerer Novellenſammlungen ausmachen.
Spott u. Witz.
Der Spott und
das Indivi-
duum.
1) Das Mittelalter iſt reich an ſogenannten ſatiriſchen Gedichten, allein
es iſt noch nicht individuelle ſondern faſt lauter allgemeine, auf
Stände, Kategorien, Bevölkerungen ꝛc. gemünzte Satire, welche denn
auch leicht in den lehrhaften Ton übergeht. Der allgemeine Nieder-
ſchlag dieſer ganzen Richtung iſt vorzüglich die Fabel vom Reineke
Fuchs in all ihren Redactionen bei den verſchiedenen Völkern des
Abendlandes. Für die franzöſiſche Literatur dieſes Zweiges iſt eine
treffliche neuere Arbeit vorhanden: Lenient, la satire en France
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/164>, abgerufen am 16.02.2025.
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