nicht ihre Besonderheit und ihre Bedeutung im Rechtssystem; wer das Strafrecht nur für sich selbst betrachtet, vermag nicht seine Stellung in der ganzen Rechtsordnung und damit seine Aufgabe zu erfassen und so in anderem mehr. Die Teilprobleme des Rechts können nur in Verbindung miteinander gelöst werden, wie die Pro- bleme der Rechtsphilosophie schließlich nur in Verbindung mit den anderen Problemen der Philosophie gelöst werden können. Das ist die schwere Aufgabe jeder wahren Wissenschaft, daß sie ihre besondere Aufgabe im Rahmen aller anderen Aufgaben, im Rahmen des Ganzen lösen muß. Alles andere ist Stückwerk und verbürgt keine sicheren Ergebnisse.
Durch diese Verbindung der Fragen soll die Erklärung aber nicht ins Allgemeine, Unbestimmte, Verschwommene geraten. Gerade um diesen Fehler zu vermeiden, muß die unerbittliche Forderung gelten, nicht nur in Begriffen, sondern auch in durchaus klaren Begriffen zu denken. Wenngleich abstrakt, so sollen die Begriffe doch fest und klar sein; ja, sie werden erst klar werden, wenn die Abstraktion weit genug getrieben wird. Wer das Recht selbst und seine Bedeutung ergründen will, kann sich zwar nicht mit Rechtsbegriffen begnügen. Wer aber Rechtswissenschaft be- treibt, soll mit Rechtsbegriffen arbeiten und seinen Gedanken soweit abklären, bis er ihn in bekannten Begriffen ausdrücken kann. Er soll nicht fremde Begriffe in seine Wissenschaft hinein- tragen, auch nicht unter dem verdeckenden Zierat beziehungsreicher Bilder. In ethicis mit "Kräften", in juridicis mit "organischem Wachstum", in politicis mit "soziologischen Gesetzen" und der- gleichen mehr zu operieren, ist immer gefährlich und mißverständ- lich. Die Eigenart rechtlicher Einrichtungen, wie der Staat, die Juristische Person, die Strafe, das Privatrecht, muß sich in klaren juristischen Begriffen ausdrücken lassen; sonst ist sie nicht klar erkannt.
Begriffliche Erörterungen, wie die nachstehenden, die unab- hängig vom positiven Recht angestellt werden, können in sicherer Methode nur durchgeführt werden, wenn zum voraus feststeht, daß die erörterten Begriffe allgemeingültig sind. Und wenn sie es sind, können nur die Begriffe bloßgelegt werden, wie sie zur folge- richtigen Durchbildung jedes Rechtes notwendig verwendet wer- den müssen; Rechtssätze können daraus nicht abgeleitet werden.
Vorwort
nicht ihre Besonderheit und ihre Bedeutung im Rechtssystem; wer das Strafrecht nur für sich selbst betrachtet, vermag nicht seine Stellung in der ganzen Rechtsordnung und damit seine Aufgabe zu erfassen und so in anderem mehr. Die Teilprobleme des Rechts können nur in Verbindung miteinander gelöst werden, wie die Pro- bleme der Rechtsphilosophie schließlich nur in Verbindung mit den anderen Problemen der Philosophie gelöst werden können. Das ist die schwere Aufgabe jeder wahren Wissenschaft, daß sie ihre besondere Aufgabe im Rahmen aller anderen Aufgaben, im Rahmen des Ganzen lösen muß. Alles andere ist Stückwerk und verbürgt keine sicheren Ergebnisse.
Durch diese Verbindung der Fragen soll die Erklärung aber nicht ins Allgemeine, Unbestimmte, Verschwommene geraten. Gerade um diesen Fehler zu vermeiden, muß die unerbittliche Forderung gelten, nicht nur in Begriffen, sondern auch in durchaus klaren Begriffen zu denken. Wenngleich abstrakt, so sollen die Begriffe doch fest und klar sein; ja, sie werden erst klar werden, wenn die Abstraktion weit genug getrieben wird. Wer das Recht selbst und seine Bedeutung ergründen will, kann sich zwar nicht mit Rechtsbegriffen begnügen. Wer aber Rechtswissenschaft be- treibt, soll mit Rechtsbegriffen arbeiten und seinen Gedanken soweit abklären, bis er ihn in bekannten Begriffen ausdrücken kann. Er soll nicht fremde Begriffe in seine Wissenschaft hinein- tragen, auch nicht unter dem verdeckenden Zierat beziehungsreicher Bilder. In ethicis mit „Kräften“, in juridicis mit „organischem Wachstum“, in politicis mit „soziologischen Gesetzen“ und der- gleichen mehr zu operieren, ist immer gefährlich und mißverständ- lich. Die Eigenart rechtlicher Einrichtungen, wie der Staat, die Juristische Person, die Strafe, das Privatrecht, muß sich in klaren juristischen Begriffen ausdrücken lassen; sonst ist sie nicht klar erkannt.
Begriffliche Erörterungen, wie die nachstehenden, die unab- hängig vom positiven Recht angestellt werden, können in sicherer Methode nur durchgeführt werden, wenn zum voraus feststeht, daß die erörterten Begriffe allgemeingültig sind. Und wenn sie es sind, können nur die Begriffe bloßgelegt werden, wie sie zur folge- richtigen Durchbildung jedes Rechtes notwendig verwendet wer- den müssen; Rechtssätze können daraus nicht abgeleitet werden.
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0007"n="VIII"/><fwplace="top"type="header">Vorwort</fw><lb/>
nicht ihre Besonderheit und ihre Bedeutung im Rechtssystem; wer<lb/>
das Strafrecht nur für sich selbst betrachtet, vermag nicht seine<lb/>
Stellung in der ganzen Rechtsordnung und damit seine Aufgabe<lb/>
zu erfassen und so in anderem mehr. Die Teilprobleme des Rechts<lb/>
können nur in Verbindung miteinander gelöst werden, wie die Pro-<lb/>
bleme der Rechtsphilosophie schließlich nur in Verbindung mit<lb/>
den anderen Problemen der Philosophie gelöst werden können.<lb/>
Das ist die schwere Aufgabe jeder wahren Wissenschaft, daß sie<lb/>
ihre besondere Aufgabe im Rahmen aller anderen Aufgaben, im<lb/>
Rahmen des Ganzen lösen muß. Alles andere ist Stückwerk und<lb/>
verbürgt keine sicheren Ergebnisse.</p><lb/><p>Durch diese Verbindung der Fragen soll die Erklärung aber<lb/>
nicht ins Allgemeine, Unbestimmte, Verschwommene geraten.<lb/>
Gerade um diesen Fehler zu vermeiden, muß die unerbittliche<lb/>
Forderung gelten, nicht nur in Begriffen, sondern auch in durchaus<lb/>
klaren Begriffen zu denken. Wenngleich abstrakt, so sollen die<lb/>
Begriffe doch fest und klar sein; ja, sie werden erst klar werden,<lb/>
wenn die Abstraktion weit genug getrieben wird. Wer das Recht<lb/>
selbst und seine Bedeutung ergründen will, kann sich zwar nicht<lb/>
mit Rechtsbegriffen begnügen. Wer aber Rechtswissenschaft be-<lb/>
treibt, soll mit Rechtsbegriffen arbeiten und seinen Gedanken<lb/>
soweit abklären, bis er ihn in bekannten Begriffen ausdrücken<lb/>
kann. Er soll nicht fremde Begriffe in seine Wissenschaft hinein-<lb/>
tragen, auch nicht unter dem verdeckenden Zierat beziehungsreicher<lb/>
Bilder. In ethicis mit „Kräften“, in juridicis mit „organischem<lb/>
Wachstum“, in politicis mit „soziologischen Gesetzen“ und der-<lb/>
gleichen mehr zu operieren, ist immer gefährlich und mißverständ-<lb/>
lich. Die Eigenart <hirendition="#g">rechtlicher</hi> Einrichtungen, wie der Staat, die<lb/>
Juristische Person, die Strafe, das Privatrecht, muß sich in klaren<lb/><hirendition="#g">juristischen</hi> Begriffen ausdrücken lassen; sonst ist sie nicht klar<lb/>
erkannt.</p><lb/><p>Begriffliche Erörterungen, wie die nachstehenden, die unab-<lb/>
hängig vom positiven Recht angestellt werden, können in sicherer<lb/>
Methode nur durchgeführt werden, wenn zum voraus feststeht, daß<lb/>
die erörterten Begriffe allgemeingültig sind. Und wenn sie es sind,<lb/>
können nur die <hirendition="#g">Begriffe</hi> bloßgelegt werden, wie sie zur folge-<lb/>
richtigen Durchbildung jedes Rechtes notwendig verwendet wer-<lb/>
den müssen; Rechts<hirendition="#g">sätze</hi> können daraus nicht abgeleitet werden.</p><lb/></div></front></text></TEI>
[VIII/0007]
Vorwort
nicht ihre Besonderheit und ihre Bedeutung im Rechtssystem; wer
das Strafrecht nur für sich selbst betrachtet, vermag nicht seine
Stellung in der ganzen Rechtsordnung und damit seine Aufgabe
zu erfassen und so in anderem mehr. Die Teilprobleme des Rechts
können nur in Verbindung miteinander gelöst werden, wie die Pro-
bleme der Rechtsphilosophie schließlich nur in Verbindung mit
den anderen Problemen der Philosophie gelöst werden können.
Das ist die schwere Aufgabe jeder wahren Wissenschaft, daß sie
ihre besondere Aufgabe im Rahmen aller anderen Aufgaben, im
Rahmen des Ganzen lösen muß. Alles andere ist Stückwerk und
verbürgt keine sicheren Ergebnisse.
Durch diese Verbindung der Fragen soll die Erklärung aber
nicht ins Allgemeine, Unbestimmte, Verschwommene geraten.
Gerade um diesen Fehler zu vermeiden, muß die unerbittliche
Forderung gelten, nicht nur in Begriffen, sondern auch in durchaus
klaren Begriffen zu denken. Wenngleich abstrakt, so sollen die
Begriffe doch fest und klar sein; ja, sie werden erst klar werden,
wenn die Abstraktion weit genug getrieben wird. Wer das Recht
selbst und seine Bedeutung ergründen will, kann sich zwar nicht
mit Rechtsbegriffen begnügen. Wer aber Rechtswissenschaft be-
treibt, soll mit Rechtsbegriffen arbeiten und seinen Gedanken
soweit abklären, bis er ihn in bekannten Begriffen ausdrücken
kann. Er soll nicht fremde Begriffe in seine Wissenschaft hinein-
tragen, auch nicht unter dem verdeckenden Zierat beziehungsreicher
Bilder. In ethicis mit „Kräften“, in juridicis mit „organischem
Wachstum“, in politicis mit „soziologischen Gesetzen“ und der-
gleichen mehr zu operieren, ist immer gefährlich und mißverständ-
lich. Die Eigenart rechtlicher Einrichtungen, wie der Staat, die
Juristische Person, die Strafe, das Privatrecht, muß sich in klaren
juristischen Begriffen ausdrücken lassen; sonst ist sie nicht klar
erkannt.
Begriffliche Erörterungen, wie die nachstehenden, die unab-
hängig vom positiven Recht angestellt werden, können in sicherer
Methode nur durchgeführt werden, wenn zum voraus feststeht, daß
die erörterten Begriffe allgemeingültig sind. Und wenn sie es sind,
können nur die Begriffe bloßgelegt werden, wie sie zur folge-
richtigen Durchbildung jedes Rechtes notwendig verwendet wer-
den müssen; Rechtssätze können daraus nicht abgeleitet werden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/7>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.