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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
ist aber gesagt1, daß die Entscheidung nach freiem Ermessen,
wenn sie gleich nicht durch eine fertige Norm gebunden ist, doch
nicht grundlos, d. h. ohne sachliche Begründung und deshalb
unüberprüfbar ist. Das Gesetz mag in solchen, im Gegensatz zu
andern Fällen die Anfechtung durch Rechtsmittel ausschließen;
aber aus der Natur des Ermessens ergibt sich die Unüberprüfbar-
keit nicht. Es könnte sonst auch die untergebene Behörde der
vorgesetzten für den Gebrauch ihres freien Ermessens nicht ver-
antwortlich sein, noch die Regierung dem Parlament 2. Und auch
wo diese interne Verantwortung fehlt, wie bei Verwaltungsakten
des Parlaments oder des Volks (oder bei Akten der Gesetz-
gebung), ist daran festzuhalten, daß die Zuständigkeit, obgleich
unkontrollierbar in der Ausübung, doch nicht gegeben ist, um
unsachlich ausgeübt zu werden. Auch die Entscheidung nach
freiem Ermessen ist Entscheidung nach Recht, nach Grund-
sätzen, wie alle staatliche (oder wenigstens: innerstaatliche)
Tätigkeit3. Der Staat hat keine andere Aufgabe und ratio
essendi als die, das Recht zu weisen. Das Gebiet des freien
Ermessens staatlicher Behörden ist also nicht weniger durch das
Recht beherrscht als das Gebiet der übrigen Staatstätigkeit;

1 Was v. Laun a. a. O. 65 ff., 259 f. übersieht; auch Oertmann,
Gesetzeszwang und Richterfreiheit, Prorektoratsrede (Erlangen 1908) 5, 9,
bez. des Strafmaßes; Michoud, Etude sur le pouvoir discretionnaire de
l'administration (1913) 12, 20, 54. Daß eine Verwaltungsbehörde in un-
überprüfbarer
Weise von ihrem Ermessen Gebrauch machen kann, be-
weist nicht, daß sie in beliebiger Weise davon Gebrauch machen dürfe.
Aber richtig ist, daß der Staat in der Ausübung seiner Privatrechte (nach
außen) frei ist, wie ein Privater. Vgl. unten S. 82.
2 Weshalb Kelsen die Kontrolle des Ermessens gegenüber Selbst-
verwaltungskörpern ausschließt: Staatslehre 367; vgl. über die Gebunden-
heit S. 242.
3 Es ist deshalb unrichtig, Rechtsverletzung und unrichtigen Gebrauch
des freien Ermessens einander gegenüberzustellen; auch hier ist die Recht-
mäßigkeit in Frage. Kormann z. B. (377): Die Behörde kann sich nicht
"fakultativer Versagungsgründe" wegen "verschweigen", erstens, weil sich
eine Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten subjektiver Rechte be-
geben kann, und zweitens, weil es keine fakultativen Versagungsgründe
gibt. Das ist privatrechtlich gedacht. Ähnlicher Fehler bei Vogels, Willens-
mängel bei der Beamtenanstellung, Verwaltungsarchiv 27 247, und Neu-
häuser,
Die Erschleichung rechtsgeschäftlicher Verwaltungsakte (Ham-
burg 1921) 32, 99.

Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
ist aber gesagt1, daß die Entscheidung nach freiem Ermessen,
wenn sie gleich nicht durch eine fertige Norm gebunden ist, doch
nicht grundlos, d. h. ohne sachliche Begründung und deshalb
unüberprüfbar ist. Das Gesetz mag in solchen, im Gegensatz zu
andern Fällen die Anfechtung durch Rechtsmittel ausschließen;
aber aus der Natur des Ermessens ergibt sich die Unüberprüfbar-
keit nicht. Es könnte sonst auch die untergebene Behörde der
vorgesetzten für den Gebrauch ihres freien Ermessens nicht ver-
antwortlich sein, noch die Regierung dem Parlament 2. Und auch
wo diese interne Verantwortung fehlt, wie bei Verwaltungsakten
des Parlaments oder des Volks (oder bei Akten der Gesetz-
gebung), ist daran festzuhalten, daß die Zuständigkeit, obgleich
unkontrollierbar in der Ausübung, doch nicht gegeben ist, um
unsachlich ausgeübt zu werden. Auch die Entscheidung nach
freiem Ermessen ist Entscheidung nach Recht, nach Grund-
sätzen, wie alle staatliche (oder wenigstens: innerstaatliche)
Tätigkeit3. Der Staat hat keine andere Aufgabe und ratio
essendi als die, das Recht zu weisen. Das Gebiet des freien
Ermessens staatlicher Behörden ist also nicht weniger durch das
Recht beherrscht als das Gebiet der übrigen Staatstätigkeit;

1 Was v. Laun a. a. O. 65 ff., 259 f. übersieht; auch Oertmann,
Gesetzeszwang und Richterfreiheit, Prorektoratsrede (Erlangen 1908) 5, 9,
bez. des Strafmaßes; Michoud, Etude sur le pouvoir discrétionnaire de
l'administration (1913) 12, 20, 54. Daß eine Verwaltungsbehörde in un-
überprüfbarer
Weise von ihrem Ermessen Gebrauch machen kann, be-
weist nicht, daß sie in beliebiger Weise davon Gebrauch machen dürfe.
Aber richtig ist, daß der Staat in der Ausübung seiner Privatrechte (nach
außen) frei ist, wie ein Privater. Vgl. unten S. 82.
2 Weshalb Kelsen die Kontrolle des Ermessens gegenüber Selbst-
verwaltungskörpern ausschließt: Staatslehre 367; vgl. über die Gebunden-
heit S. 242.
3 Es ist deshalb unrichtig, Rechtsverletzung und unrichtigen Gebrauch
des freien Ermessens einander gegenüberzustellen; auch hier ist die Recht-
mäßigkeit in Frage. Kormann z. B. (377): Die Behörde kann sich nicht
„fakultativer Versagungsgründe“ wegen „verschweigen“, erstens, weil sich
eine Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten subjektiver Rechte be-
geben kann, und zweitens, weil es keine fakultativen Versagungsgründe
gibt. Das ist privatrechtlich gedacht. Ähnlicher Fehler bei Vogels, Willens-
mängel bei der Beamtenanstellung, Verwaltungsarchiv 27 247, und Neu-
häuser,
Die Erschleichung rechtsgeschäftlicher Verwaltungsakte (Ham-
burg 1921) 32, 99.
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[45/0060] Zwingendes und nichtzwingendes Recht. ist aber gesagt 1, daß die Entscheidung nach freiem Ermessen, wenn sie gleich nicht durch eine fertige Norm gebunden ist, doch nicht grundlos, d. h. ohne sachliche Begründung und deshalb unüberprüfbar ist. Das Gesetz mag in solchen, im Gegensatz zu andern Fällen die Anfechtung durch Rechtsmittel ausschließen; aber aus der Natur des Ermessens ergibt sich die Unüberprüfbar- keit nicht. Es könnte sonst auch die untergebene Behörde der vorgesetzten für den Gebrauch ihres freien Ermessens nicht ver- antwortlich sein, noch die Regierung dem Parlament 2. Und auch wo diese interne Verantwortung fehlt, wie bei Verwaltungsakten des Parlaments oder des Volks (oder bei Akten der Gesetz- gebung), ist daran festzuhalten, daß die Zuständigkeit, obgleich unkontrollierbar in der Ausübung, doch nicht gegeben ist, um unsachlich ausgeübt zu werden. Auch die Entscheidung nach freiem Ermessen ist Entscheidung nach Recht, nach Grund- sätzen, wie alle staatliche (oder wenigstens: innerstaatliche) Tätigkeit 3. Der Staat hat keine andere Aufgabe und ratio essendi als die, das Recht zu weisen. Das Gebiet des freien Ermessens staatlicher Behörden ist also nicht weniger durch das Recht beherrscht als das Gebiet der übrigen Staatstätigkeit; 1 Was v. Laun a. a. O. 65 ff., 259 f. übersieht; auch Oertmann, Gesetzeszwang und Richterfreiheit, Prorektoratsrede (Erlangen 1908) 5, 9, bez. des Strafmaßes; Michoud, Etude sur le pouvoir discrétionnaire de l'administration (1913) 12, 20, 54. Daß eine Verwaltungsbehörde in un- überprüfbarer Weise von ihrem Ermessen Gebrauch machen kann, be- weist nicht, daß sie in beliebiger Weise davon Gebrauch machen dürfe. Aber richtig ist, daß der Staat in der Ausübung seiner Privatrechte (nach außen) frei ist, wie ein Privater. Vgl. unten S. 82. 2 Weshalb Kelsen die Kontrolle des Ermessens gegenüber Selbst- verwaltungskörpern ausschließt: Staatslehre 367; vgl. über die Gebunden- heit S. 242. 3 Es ist deshalb unrichtig, Rechtsverletzung und unrichtigen Gebrauch des freien Ermessens einander gegenüberzustellen; auch hier ist die Recht- mäßigkeit in Frage. Kormann z. B. (377): Die Behörde kann sich nicht „fakultativer Versagungsgründe“ wegen „verschweigen“, erstens, weil sich eine Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten subjektiver Rechte be- geben kann, und zweitens, weil es keine fakultativen Versagungsgründe gibt. Das ist privatrechtlich gedacht. Ähnlicher Fehler bei Vogels, Willens- mängel bei der Beamtenanstellung, Verwaltungsarchiv 27 247, und Neu- häuser, Die Erschleichung rechtsgeschäftlicher Verwaltungsakte (Ham- burg 1921) 32, 99.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/60>, abgerufen am 24.11.2024.