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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Das Völkerrecht.
verträge überhaupt ausgesprochen haben: wenn alles abgemacht
werden kann, wie sollte jede Abmachung heilig sein?1

Die Rechtssicherheit verlangt aber das Gegenteil: daß das,
was die Staaten einmal bestimmt haben, verbindlich bleibe. Wenn
nicht die Staaten durch Vertrag bestimmen können, was unter
ihnen rechtens sein soll, wer soll es bestimmen? Auf was soll man
sich verlassen können, wenn im Völkerrecht weder gesetztes noch
auch vereinbartes Recht für die Zukunft eine endgültige unanfecht-
bare Entscheidung treffen können? Wenn man die objektivrecht-
lichen Grundsätze in Frage stellen kann, kann man allerdings auch
die darauf ruhenden Verträge in Frage stellen; aber wie soll man
dann aus dem unvermeidlichen Streit darüber, was rechtens ist,
herauskommen, aus der Rechtsunsicherheit, die beinahe ebenso
verderblich ist wie die Rechtslosigkeit?

Es gibt in der Tat keinen Ausweg, weil die erwähnten Mängel
nicht die Mängel einer zufällig unvollkommen gebliebenen Völker-
rechtsordnung sind, die verbessert werden könnten; es sind Mängel,
welche dem Völkerrecht notwendig anhaften und stets anhaften
werden; sie können praktisch mehr oder weniger hervortreten,
je nachdem die Staaten von sich aus vernünftig und gerecht
handeln oder nicht. Aber sie sind notwendig gegeben mit der Tat-
sache, welche die begriffliche Voraussetzung des Völkerrechtes
bildet: daß es eine Rechtsordnung sein will unter Staaten, d. h.
unter Körperschaften, die, jede für sich, letztinstanzlich ent-
scheiden, was für sie rechtens ist. Durch Verträge können die
Staaten für einmal feststellen, was unter ihnen rechtens sein soll;
aber ob diese Verträge selber gültig seien, ist positivrechtlich nicht
zu entscheiden.

Der Mangel, den wir wahrgenommen haben, besteht in einem
doppelten Widerspruch:

1. Da es kein positivrechtliches objektives Vertragsrecht gibt,

1 Dem Benachteiligten einen Anspruch auf Abänderung des Vertrages
zu geben, wäre kein Ausweg, denn es bliebe immer noch unentschieden,
welche Anordnung der Benachteiligte verlangen könnte; ganz abgesehen von
dem logischen Widerspruch eines Anspruchs auf den Abschluß eines neuen
Vertrages. -- Zum Obigen vgl. meinen Aufsatz in den Schweizer. Monats-
heften für Politik und Kultur (vom März 1923) über "Die Heiligkeit der
Verträge".

Das Völkerrecht.
verträge überhaupt ausgesprochen haben: wenn alles abgemacht
werden kann, wie sollte jede Abmachung heilig sein?1

Die Rechtssicherheit verlangt aber das Gegenteil: daß das,
was die Staaten einmal bestimmt haben, verbindlich bleibe. Wenn
nicht die Staaten durch Vertrag bestimmen können, was unter
ihnen rechtens sein soll, wer soll es bestimmen? Auf was soll man
sich verlassen können, wenn im Völkerrecht weder gesetztes noch
auch vereinbartes Recht für die Zukunft eine endgültige unanfecht-
bare Entscheidung treffen können? Wenn man die objektivrecht-
lichen Grundsätze in Frage stellen kann, kann man allerdings auch
die darauf ruhenden Verträge in Frage stellen; aber wie soll man
dann aus dem unvermeidlichen Streit darüber, was rechtens ist,
herauskommen, aus der Rechtsunsicherheit, die beinahe ebenso
verderblich ist wie die Rechtslosigkeit?

Es gibt in der Tat keinen Ausweg, weil die erwähnten Mängel
nicht die Mängel einer zufällig unvollkommen gebliebenen Völker-
rechtsordnung sind, die verbessert werden könnten; es sind Mängel,
welche dem Völkerrecht notwendig anhaften und stets anhaften
werden; sie können praktisch mehr oder weniger hervortreten,
je nachdem die Staaten von sich aus vernünftig und gerecht
handeln oder nicht. Aber sie sind notwendig gegeben mit der Tat-
sache, welche die begriffliche Voraussetzung des Völkerrechtes
bildet: daß es eine Rechtsordnung sein will unter Staaten, d. h.
unter Körperschaften, die, jede für sich, letztinstanzlich ent-
scheiden, was für sie rechtens ist. Durch Verträge können die
Staaten für einmal feststellen, was unter ihnen rechtens sein soll;
aber ob diese Verträge selber gültig seien, ist positivrechtlich nicht
zu entscheiden.

Der Mangel, den wir wahrgenommen haben, besteht in einem
doppelten Widerspruch:

1. Da es kein positivrechtliches objektives Vertragsrecht gibt,

1 Dem Benachteiligten einen Anspruch auf Abänderung des Vertrages
zu geben, wäre kein Ausweg, denn es bliebe immer noch unentschieden,
welche Anordnung der Benachteiligte verlangen könnte; ganz abgesehen von
dem logischen Widerspruch eines Anspruchs auf den Abschluß eines neuen
Vertrages. — Zum Obigen vgl. meinen Aufsatz in den Schweizer. Monats-
heften für Politik und Kultur (vom März 1923) über „Die Heiligkeit der
Verträge“.
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[395/0410] Das Völkerrecht. verträge überhaupt ausgesprochen haben: wenn alles abgemacht werden kann, wie sollte jede Abmachung heilig sein? 1 Die Rechtssicherheit verlangt aber das Gegenteil: daß das, was die Staaten einmal bestimmt haben, verbindlich bleibe. Wenn nicht die Staaten durch Vertrag bestimmen können, was unter ihnen rechtens sein soll, wer soll es bestimmen? Auf was soll man sich verlassen können, wenn im Völkerrecht weder gesetztes noch auch vereinbartes Recht für die Zukunft eine endgültige unanfecht- bare Entscheidung treffen können? Wenn man die objektivrecht- lichen Grundsätze in Frage stellen kann, kann man allerdings auch die darauf ruhenden Verträge in Frage stellen; aber wie soll man dann aus dem unvermeidlichen Streit darüber, was rechtens ist, herauskommen, aus der Rechtsunsicherheit, die beinahe ebenso verderblich ist wie die Rechtslosigkeit? Es gibt in der Tat keinen Ausweg, weil die erwähnten Mängel nicht die Mängel einer zufällig unvollkommen gebliebenen Völker- rechtsordnung sind, die verbessert werden könnten; es sind Mängel, welche dem Völkerrecht notwendig anhaften und stets anhaften werden; sie können praktisch mehr oder weniger hervortreten, je nachdem die Staaten von sich aus vernünftig und gerecht handeln oder nicht. Aber sie sind notwendig gegeben mit der Tat- sache, welche die begriffliche Voraussetzung des Völkerrechtes bildet: daß es eine Rechtsordnung sein will unter Staaten, d. h. unter Körperschaften, die, jede für sich, letztinstanzlich ent- scheiden, was für sie rechtens ist. Durch Verträge können die Staaten für einmal feststellen, was unter ihnen rechtens sein soll; aber ob diese Verträge selber gültig seien, ist positivrechtlich nicht zu entscheiden. Der Mangel, den wir wahrgenommen haben, besteht in einem doppelten Widerspruch: 1. Da es kein positivrechtliches objektives Vertragsrecht gibt, 1 Dem Benachteiligten einen Anspruch auf Abänderung des Vertrages zu geben, wäre kein Ausweg, denn es bliebe immer noch unentschieden, welche Anordnung der Benachteiligte verlangen könnte; ganz abgesehen von dem logischen Widerspruch eines Anspruchs auf den Abschluß eines neuen Vertrages. — Zum Obigen vgl. meinen Aufsatz in den Schweizer. Monats- heften für Politik und Kultur (vom März 1923) über „Die Heiligkeit der Verträge“.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/410>, abgerufen am 22.11.2024.