Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.III. Teil. Die Rechtsgeschäftliche Verfassung. Mitgliedern des Verbandes stehende Normen, über deren Anwen-dung nicht mehr der Einzelne, sondern nur noch das Verbands- organ zu bestimmen hat. Umgekehrt aber soll das Verbandsorgan auch nicht beliebig über die Rechte der Gesamtheit verfügen; es ist da, um sie satzungsgemäß zu wahren; im Gegensatz zum ver- traglichen Verhältnis, wie es bei der Kollektivgesellschaft vorliegt, wo jeder jederzeit mit jedem über seine individuellen Vertrags- pflichten- und rechte paktieren kann. Und beider Ursprung ist willkürlich in dem Sinne, daß er auf die rechtlich ungebundene, zufällige Verständigung zurückgeht: sowohl der Ursprung der Ver- fassung wie der Ursprung des genossenschaftlichen Statuts. In der Tat: kein Rechtssatz schreibt vor und kann ohne logischen Widerspruch vorschreiben, daß eine Verfassung oder ein Statut gelten sollen oder Geltung haben; Verfassung wie Statut müssen, wenn auch in etwas verschiedenem Sinn, vereinbart werden1. Aber die Willkür der Gründer einer privaten Körperschaft ist, wenn einmal betätigt, kraft staatlichen Gesetzes verbindlich, während die staatliche Verfassung nie kraft eines höheren Rechts- satzes Verbindlichkeit erlangt, sondern sie gewissermaßen aus sich selbst schöpfen muß (vgl. S. 177, 180); und die Verfassung will das objektiv Richtige verwirklichen, nämlich die Vernunftforderung, daß eine staatliche Verfassung bestehen muß, während die Ver- nunftnotwendigkeit eines privaten Verbandes stets dahingestellt bleibt2. Nach außen aber ist kein Verbandsorgan im gleichen Sinne 1 Oben S. 191. Darin liegt das "Schöpferische der privaten wie der öffentlichen Organisation", von dem Gierke, Genossenschaftstheorie 24, spricht: schöpferisch nämlich im juristischen Sinn, d. h. unableitbar aus schon verbindlichem Recht. 2 Mit dem gesagten hängt auch das Unterscheidungsmerkmal zwi-
schen privaten und öffentlich-rechtlichen Verbänden zusammen: private Verbände sind solche, deren Entstehen und Bestehen durch keinen objek- tiven Rechtssatz gefordert ist; öffentlich-rechtliche solche, die nach ob- jektivem Recht (nämlich die Unterabteilungen des Staates) oder nach der objektiven Vernunft selbst (nämlich der Staat selbst) bestehen müssen. Vgl. oben S. 165. 177 f. III. Teil. Die Rechtsgeschäftliche Verfassung. Mitgliedern des Verbandes stehende Normen, über deren Anwen-dung nicht mehr der Einzelne, sondern nur noch das Verbands- organ zu bestimmen hat. Umgekehrt aber soll das Verbandsorgan auch nicht beliebig über die Rechte der Gesamtheit verfügen; es ist da, um sie satzungsgemäß zu wahren; im Gegensatz zum ver- traglichen Verhältnis, wie es bei der Kollektivgesellschaft vorliegt, wo jeder jederzeit mit jedem über seine individuellen Vertrags- pflichten- und rechte paktieren kann. Und beider Ursprung ist willkürlich in dem Sinne, daß er auf die rechtlich ungebundene, zufällige Verständigung zurückgeht: sowohl der Ursprung der Ver- fassung wie der Ursprung des genossenschaftlichen Statuts. In der Tat: kein Rechtssatz schreibt vor und kann ohne logischen Widerspruch vorschreiben, daß eine Verfassung oder ein Statut gelten sollen oder Geltung haben; Verfassung wie Statut müssen, wenn auch in etwas verschiedenem Sinn, vereinbart werden1. Aber die Willkür der Gründer einer privaten Körperschaft ist, wenn einmal betätigt, kraft staatlichen Gesetzes verbindlich, während die staatliche Verfassung nie kraft eines höheren Rechts- satzes Verbindlichkeit erlangt, sondern sie gewissermaßen aus sich selbst schöpfen muß (vgl. S. 177, 180); und die Verfassung will das objektiv Richtige verwirklichen, nämlich die Vernunftforderung, daß eine staatliche Verfassung bestehen muß, während die Ver- nunftnotwendigkeit eines privaten Verbandes stets dahingestellt bleibt2. Nach außen aber ist kein Verbandsorgan im gleichen Sinne 1 Oben S. 191. Darin liegt das „Schöpferische der privaten wie der öffentlichen Organisation“, von dem Gierke, Genossenschaftstheorie 24, spricht: schöpferisch nämlich im juristischen Sinn, d. h. unableitbar aus schon verbindlichem Recht. 2 Mit dem gesagten hängt auch das Unterscheidungsmerkmal zwi-
schen privaten und öffentlich-rechtlichen Verbänden zusammen: private Verbände sind solche, deren Entstehen und Bestehen durch keinen objek- tiven Rechtssatz gefordert ist; öffentlich-rechtliche solche, die nach ob- jektivem Recht (nämlich die Unterabteilungen des Staates) oder nach der objektiven Vernunft selbst (nämlich der Staat selbst) bestehen müssen. Vgl. oben S. 165. 177 f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0357" n="342"/><fw place="top" type="header">III. Teil. Die Rechtsgeschäftliche Verfassung.</fw><lb/> Mitgliedern des Verbandes stehende Normen, über deren Anwen-<lb/> dung nicht mehr der Einzelne, sondern nur noch das Verbands-<lb/> organ zu bestimmen hat. Umgekehrt aber soll das Verbandsorgan<lb/> auch nicht beliebig über die Rechte der Gesamtheit verfügen; es<lb/> ist da, um sie satzungsgemäß <hi rendition="#g">zu wahren;</hi> im Gegensatz zum ver-<lb/> traglichen Verhältnis, wie es bei der Kollektivgesellschaft vorliegt,<lb/> wo jeder jederzeit mit jedem über seine individuellen Vertrags-<lb/> pflichten- und rechte paktieren kann. Und beider Ursprung ist<lb/> willkürlich in dem Sinne, daß er auf die <hi rendition="#g">rechtlich</hi> ungebundene,<lb/> zufällige Verständigung zurückgeht: sowohl der Ursprung der Ver-<lb/> fassung wie der Ursprung des genossenschaftlichen Statuts. In<lb/> der Tat: kein Rechtssatz schreibt vor und kann ohne logischen<lb/> Widerspruch vorschreiben, daß eine Verfassung oder ein Statut<lb/> gelten <hi rendition="#g">sollen</hi> oder Geltung haben; Verfassung wie Statut müssen,<lb/> wenn auch in etwas verschiedenem Sinn, vereinbart werden<note place="foot" n="1">Oben S. 191. Darin liegt das „Schöpferische der privaten wie der<lb/> öffentlichen Organisation“, von dem <hi rendition="#g">Gierke,</hi> Genossenschaftstheorie 24,<lb/> spricht: schöpferisch nämlich im juristischen Sinn, d. h. unableitbar aus<lb/> schon verbindlichem Recht.</note>.<lb/> Aber die Willkür der Gründer einer privaten Körperschaft ist,<lb/> wenn einmal betätigt, kraft staatlichen Gesetzes verbindlich,<lb/> während die staatliche Verfassung nie kraft eines höheren Rechts-<lb/> satzes Verbindlichkeit erlangt, sondern sie gewissermaßen aus sich<lb/> selbst schöpfen muß (vgl. S. 177, 180); und die Verfassung will das<lb/> objektiv Richtige verwirklichen, nämlich die Vernunftforderung,<lb/> daß <hi rendition="#g">eine</hi> staatliche Verfassung bestehen muß, während die Ver-<lb/> nunftnotwendigkeit eines privaten Verbandes stets dahingestellt<lb/> bleibt<note place="foot" n="2">Mit dem gesagten hängt auch das Unterscheidungsmerkmal zwi-<lb/> schen privaten und öffentlich-rechtlichen Verbänden zusammen: private<lb/> Verbände sind solche, deren Entstehen und Bestehen durch keinen objek-<lb/> tiven Rechtssatz gefordert ist; öffentlich-rechtliche solche, die nach ob-<lb/> jektivem Recht (nämlich die Unterabteilungen des Staates) oder nach der<lb/> objektiven Vernunft selbst (nämlich der Staat selbst) bestehen müssen.<lb/> Vgl. oben S. 165. 177 f.</note>.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Nach außen</hi> aber ist kein Verbandsorgan im gleichen Sinne<lb/><hi rendition="#g">zuständig,</hi> nämlich befugt, als Vertreter einer für den Dritten<lb/> und das Organ selbst verbindlichen rechtlichen Ordnung (Ver-<lb/> fassung) einseitig Anordnungen zu treffen. Es ist, soweit das seiner<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [342/0357]
III. Teil. Die Rechtsgeschäftliche Verfassung.
Mitgliedern des Verbandes stehende Normen, über deren Anwen-
dung nicht mehr der Einzelne, sondern nur noch das Verbands-
organ zu bestimmen hat. Umgekehrt aber soll das Verbandsorgan
auch nicht beliebig über die Rechte der Gesamtheit verfügen; es
ist da, um sie satzungsgemäß zu wahren; im Gegensatz zum ver-
traglichen Verhältnis, wie es bei der Kollektivgesellschaft vorliegt,
wo jeder jederzeit mit jedem über seine individuellen Vertrags-
pflichten- und rechte paktieren kann. Und beider Ursprung ist
willkürlich in dem Sinne, daß er auf die rechtlich ungebundene,
zufällige Verständigung zurückgeht: sowohl der Ursprung der Ver-
fassung wie der Ursprung des genossenschaftlichen Statuts. In
der Tat: kein Rechtssatz schreibt vor und kann ohne logischen
Widerspruch vorschreiben, daß eine Verfassung oder ein Statut
gelten sollen oder Geltung haben; Verfassung wie Statut müssen,
wenn auch in etwas verschiedenem Sinn, vereinbart werden 1.
Aber die Willkür der Gründer einer privaten Körperschaft ist,
wenn einmal betätigt, kraft staatlichen Gesetzes verbindlich,
während die staatliche Verfassung nie kraft eines höheren Rechts-
satzes Verbindlichkeit erlangt, sondern sie gewissermaßen aus sich
selbst schöpfen muß (vgl. S. 177, 180); und die Verfassung will das
objektiv Richtige verwirklichen, nämlich die Vernunftforderung,
daß eine staatliche Verfassung bestehen muß, während die Ver-
nunftnotwendigkeit eines privaten Verbandes stets dahingestellt
bleibt 2.
Nach außen aber ist kein Verbandsorgan im gleichen Sinne
zuständig, nämlich befugt, als Vertreter einer für den Dritten
und das Organ selbst verbindlichen rechtlichen Ordnung (Ver-
fassung) einseitig Anordnungen zu treffen. Es ist, soweit das seiner
1 Oben S. 191. Darin liegt das „Schöpferische der privaten wie der
öffentlichen Organisation“, von dem Gierke, Genossenschaftstheorie 24,
spricht: schöpferisch nämlich im juristischen Sinn, d. h. unableitbar aus
schon verbindlichem Recht.
2 Mit dem gesagten hängt auch das Unterscheidungsmerkmal zwi-
schen privaten und öffentlich-rechtlichen Verbänden zusammen: private
Verbände sind solche, deren Entstehen und Bestehen durch keinen objek-
tiven Rechtssatz gefordert ist; öffentlich-rechtliche solche, die nach ob-
jektivem Recht (nämlich die Unterabteilungen des Staates) oder nach der
objektiven Vernunft selbst (nämlich der Staat selbst) bestehen müssen.
Vgl. oben S. 165. 177 f.
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