Rechtsgeschäfte der Organe einer Körperschaft wird aber niemand persönlich verpflichtet, weder die handelnden Organspersonen noch die Mitglieder1 der durch sie vertretenen Körperschaft, sondern die Gesamtheit der Mitglieder als Einheit. Quod debet universitas non debent singuli.
Was bedeutet das?
Verpflichtet im Rechtssinne nennt man gewöhnlich denjenigen, dessen Verhalten eine Rechtsnorm bestimmen will, der nach Aus- sage dieser Norm verpflichtet sein soll, für den diese Norm unter den gegebenen Voraussetzungen verbindlich ist. Wer eine Sache gekauft hat, ist nach geltendem Recht "verpflichtet", den Preis zu bezahlen; er ist derjenige, dessen Verhalten die gesetzliche Norm (z. B. Schweiz. OR Art. 211) bestimmen will. Es ist nun schwer vorstellbar, wie eine "Gesamtheit" in diesem Sinn verpflichtet sein soll, wie an sie, im Namen der Vernunft, der Ruf des Gesetzgebers ihre rechtmäßig eingegangenen Pflichten zu er- füllen, ergehen kann2. Man müßte die "Gesamtheit", die "Körper- schaft" auch als ein vernunftbegabtes Wesen betrachten können, welcher These es bekanntlich an Verteidigern nicht gefehlt hat. Die Schwierigkeit dieser These ist hier nicht einläßlich zu erörtern. Denn in Wirklichkeit will sich das Gesetz nicht an andere als an physische Personen wenden, auch wenn es eine "Gesamtheit", eine "Körperschaft" als verpflichtet erklärt. Es meint, daß sich der Gläubiger, demgegenüber die Gesamtheit verpflichtet ist, ausschließlich an die Organe dieser Gesamtheit zu halten habe und nicht an die Einzelnen. An das gesetzliche Gebot sollen sich die Mitglieder der Körperschaft halten, welche dessen organ- mäßige Tätigkeit beherrschen und leiten, jeder an seinem Ort. Wenn überhaupt jemand verpflichtet ist, so sind sie es: sie sollen die nötigen Beschlüsse fassen und Befehle erteilen, damit die (vertraglichen) Pflichten nach Gesetz erfüllt werden. Aber für dieses Verhalten kann sie kein Dritter persönlich verantwortlich machen; verantwortlich gemacht werden kann immer nur die
1 Das Gesetz kann allerdings bestimmen, daß die Mitglieder auch z. B. subsidiär, persönlich verpflichtet werden; aber die Verpflichtung einer juristischen Person wird nur dadurch begründet, daß (wenig- stens zunächst) die Gesamtheit und nicht der Einzelne haftet.
2 Vgl. Baumgarten in der Schweizer. Zeitschrift für Strafrecht 40 61.
Die privaten Verbände.
Rechtsgeschäfte der Organe einer Körperschaft wird aber niemand persönlich verpflichtet, weder die handelnden Organspersonen noch die Mitglieder1 der durch sie vertretenen Körperschaft, sondern die Gesamtheit der Mitglieder als Einheit. Quod debet universitas non debent singuli.
Was bedeutet das?
Verpflichtet im Rechtssinne nennt man gewöhnlich denjenigen, dessen Verhalten eine Rechtsnorm bestimmen will, der nach Aus- sage dieser Norm verpflichtet sein soll, für den diese Norm unter den gegebenen Voraussetzungen verbindlich ist. Wer eine Sache gekauft hat, ist nach geltendem Recht „verpflichtet“, den Preis zu bezahlen; er ist derjenige, dessen Verhalten die gesetzliche Norm (z. B. Schweiz. OR Art. 211) bestimmen will. Es ist nun schwer vorstellbar, wie eine „Gesamtheit“ in diesem Sinn verpflichtet sein soll, wie an sie, im Namen der Vernunft, der Ruf des Gesetzgebers ihre rechtmäßig eingegangenen Pflichten zu er- füllen, ergehen kann2. Man müßte die „Gesamtheit“, die „Körper- schaft“ auch als ein vernunftbegabtes Wesen betrachten können, welcher These es bekanntlich an Verteidigern nicht gefehlt hat. Die Schwierigkeit dieser These ist hier nicht einläßlich zu erörtern. Denn in Wirklichkeit will sich das Gesetz nicht an andere als an physische Personen wenden, auch wenn es eine „Gesamtheit“, eine „Körperschaft“ als verpflichtet erklärt. Es meint, daß sich der Gläubiger, demgegenüber die Gesamtheit verpflichtet ist, ausschließlich an die Organe dieser Gesamtheit zu halten habe und nicht an die Einzelnen. An das gesetzliche Gebot sollen sich die Mitglieder der Körperschaft halten, welche dessen organ- mäßige Tätigkeit beherrschen und leiten, jeder an seinem Ort. Wenn überhaupt jemand verpflichtet ist, so sind sie es: sie sollen die nötigen Beschlüsse fassen und Befehle erteilen, damit die (vertraglichen) Pflichten nach Gesetz erfüllt werden. Aber für dieses Verhalten kann sie kein Dritter persönlich verantwortlich machen; verantwortlich gemacht werden kann immer nur die
1 Das Gesetz kann allerdings bestimmen, daß die Mitglieder auch z. B. subsidiär, persönlich verpflichtet werden; aber die Verpflichtung einer juristischen Person wird nur dadurch begründet, daß (wenig- stens zunächst) die Gesamtheit und nicht der Einzelne haftet.
2 Vgl. Baumgarten in der Schweizer. Zeitschrift für Strafrecht 40 61.
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Die privaten Verbände.
Rechtsgeschäfte der Organe einer Körperschaft wird aber niemand
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noch die Mitglieder 1 der durch sie vertretenen Körperschaft,
sondern die Gesamtheit der Mitglieder als Einheit. Quod debet
universitas non debent singuli.
Was bedeutet das?
Verpflichtet im Rechtssinne nennt man gewöhnlich denjenigen,
dessen Verhalten eine Rechtsnorm bestimmen will, der nach Aus-
sage dieser Norm verpflichtet sein soll, für den diese Norm unter
den gegebenen Voraussetzungen verbindlich ist. Wer eine Sache
gekauft hat, ist nach geltendem Recht „verpflichtet“, den Preis
zu bezahlen; er ist derjenige, dessen Verhalten die gesetzliche
Norm (z. B. Schweiz. OR Art. 211) bestimmen will. Es ist
nun schwer vorstellbar, wie eine „Gesamtheit“ in diesem Sinn
verpflichtet sein soll, wie an sie, im Namen der Vernunft, der Ruf
des Gesetzgebers ihre rechtmäßig eingegangenen Pflichten zu er-
füllen, ergehen kann 2. Man müßte die „Gesamtheit“, die „Körper-
schaft“ auch als ein vernunftbegabtes Wesen betrachten können,
welcher These es bekanntlich an Verteidigern nicht gefehlt hat.
Die Schwierigkeit dieser These ist hier nicht einläßlich zu erörtern.
Denn in Wirklichkeit will sich das Gesetz nicht an andere als
an physische Personen wenden, auch wenn es eine „Gesamtheit“,
eine „Körperschaft“ als verpflichtet erklärt. Es meint, daß sich
der Gläubiger, demgegenüber die Gesamtheit verpflichtet ist,
ausschließlich an die Organe dieser Gesamtheit zu halten habe
und nicht an die Einzelnen. An das gesetzliche Gebot sollen
sich die Mitglieder der Körperschaft halten, welche dessen organ-
mäßige Tätigkeit beherrschen und leiten, jeder an seinem Ort.
Wenn überhaupt jemand verpflichtet ist, so sind sie es: sie sollen
die nötigen Beschlüsse fassen und Befehle erteilen, damit die
(vertraglichen) Pflichten nach Gesetz erfüllt werden. Aber für
dieses Verhalten kann sie kein Dritter persönlich verantwortlich
machen; verantwortlich gemacht werden kann immer nur die
1 Das Gesetz kann allerdings bestimmen, daß die Mitglieder auch
z. B. subsidiär, persönlich verpflichtet werden; aber die Verpflichtung
einer juristischen Person wird nur dadurch begründet, daß (wenig-
stens zunächst) die Gesamtheit und nicht der Einzelne haftet.
2 Vgl. Baumgarten in der Schweizer. Zeitschrift für Strafrecht 40 61.
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/344>, abgerufen am 16.07.2024.
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