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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
das Bankhaus für die Steuerhinterziehung des Kunden, der Unter-
nehmer für die Polizeiübertretung des Angestellten, der Eigentümer
für den Zustand des Gebäudes, die juristische Person für die Ver-
geßlichkeit des Vorstandes mit Buße bestraft werden. Eine be-
liebige Person, die mit der wirklich schuldigen in keinemZu-
sammenhang steht, zu bestrafen, wenn auch nur mit Geld, hätte
keinen Sinn. Wegen dieser Vernachlässigung der Schuld hat auch
die Polizeistrafe im Vergleich zur eigentlichen Strafe (und bei
gleicher Höhe) eine geringere ethische Bedeutung: Das Verschulden
des Bestraften ist damit nicht festgestellt und abgemessen.

Man kann vielleicht noch einwenden, daß die Strafe nicht die
einzige Reaktion gegen Unrecht sei, daß (abgesehen von dem
unmittelbaren Zwang, der, wie wir annehmen, versagt) auch die
privatrechtliche Schadenersatzpflicht auf der Voraussetzung einer
Rechtswidrigkeit beruht und daher das Verhalten, welches die
Voraussetzung der Entschädigungspflicht bildet, als rechtswidrig
charakterisiert. Das ist nicht unrichtig: Wer wegen schuldhafter
Körperverletzung zu Schadenersatz an den Verletzten verurteilt
wird, ist damit auch als der verantwortliche Urheber einer Rechts-
widrigkeit gekennzeichnet. Aber doch nur einer Rechtswidrigkeit
gegenüber dem Verletzten, die also nur geltend gemacht wird,
wenn der Verletzte es haben will (und es tun kann); zufällig also,
nach der subjektiven Entschließung des Verletzten, und nicht
unbedingt und notwendig, wie es die Folge der Verletzung eines
unbedingt und notwendig verpflichtenden Rechtssatzes des öffent-
lichen Rechtes sein muß. Wenn der Gesetzgeber das Verbot formell
in zwingender Weise ohne Rücksicht auf die Entschließung einer
Privatperson verbindlich machen will, kann er die Antwort auf die
Übertretung nicht von einer solchen zufälligen Entschließung ab-
hängig machen. -- Und ferner: Wenn es die Antwort der Rechts-
ordnung auf die Schuld sein soll, kann die Wiedergutmachung des
Täters nicht nach dem Schaden des Verletzten abgemessen werden;
das ist keine Strafe mehr. Wird aber der Schuldige verpflichtet,
dem Verletzten mehr zu leisten nach der Schwere seines Vergehens
(etwa wie im Wergeld-System), so mag das eine Strafe sein; aber
es bleibt widerspruchsvoll, daß die Übertretung eines Satzes, der
ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten (auch der Ver-
letzten) gelten soll, durch eine Leistung an den Verletzten, die der

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
das Bankhaus für die Steuerhinterziehung des Kunden, der Unter-
nehmer für die Polizeiübertretung des Angestellten, der Eigentümer
für den Zustand des Gebäudes, die juristische Person für die Ver-
geßlichkeit des Vorstandes mit Buße bestraft werden. Eine be-
liebige Person, die mit der wirklich schuldigen in keinemZu-
sammenhang steht, zu bestrafen, wenn auch nur mit Geld, hätte
keinen Sinn. Wegen dieser Vernachlässigung der Schuld hat auch
die Polizeistrafe im Vergleich zur eigentlichen Strafe (und bei
gleicher Höhe) eine geringere ethische Bedeutung: Das Verschulden
des Bestraften ist damit nicht festgestellt und abgemessen.

Man kann vielleicht noch einwenden, daß die Strafe nicht die
einzige Reaktion gegen Unrecht sei, daß (abgesehen von dem
unmittelbaren Zwang, der, wie wir annehmen, versagt) auch die
privatrechtliche Schadenersatzpflicht auf der Voraussetzung einer
Rechtswidrigkeit beruht und daher das Verhalten, welches die
Voraussetzung der Entschädigungspflicht bildet, als rechtswidrig
charakterisiert. Das ist nicht unrichtig: Wer wegen schuldhafter
Körperverletzung zu Schadenersatz an den Verletzten verurteilt
wird, ist damit auch als der verantwortliche Urheber einer Rechts-
widrigkeit gekennzeichnet. Aber doch nur einer Rechtswidrigkeit
gegenüber dem Verletzten, die also nur geltend gemacht wird,
wenn der Verletzte es haben will (und es tun kann); zufällig also,
nach der subjektiven Entschließung des Verletzten, und nicht
unbedingt und notwendig, wie es die Folge der Verletzung eines
unbedingt und notwendig verpflichtenden Rechtssatzes des öffent-
lichen Rechtes sein muß. Wenn der Gesetzgeber das Verbot formell
in zwingender Weise ohne Rücksicht auf die Entschließung einer
Privatperson verbindlich machen will, kann er die Antwort auf die
Übertretung nicht von einer solchen zufälligen Entschließung ab-
hängig machen. — Und ferner: Wenn es die Antwort der Rechts-
ordnung auf die Schuld sein soll, kann die Wiedergutmachung des
Täters nicht nach dem Schaden des Verletzten abgemessen werden;
das ist keine Strafe mehr. Wird aber der Schuldige verpflichtet,
dem Verletzten mehr zu leisten nach der Schwere seines Vergehens
(etwa wie im Wergeld-System), so mag das eine Strafe sein; aber
es bleibt widerspruchsvoll, daß die Übertretung eines Satzes, der
ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten (auch der Ver-
letzten) gelten soll, durch eine Leistung an den Verletzten, die der

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[298/0313] II. Teil. Die staatliche Verfassung. das Bankhaus für die Steuerhinterziehung des Kunden, der Unter- nehmer für die Polizeiübertretung des Angestellten, der Eigentümer für den Zustand des Gebäudes, die juristische Person für die Ver- geßlichkeit des Vorstandes mit Buße bestraft werden. Eine be- liebige Person, die mit der wirklich schuldigen in keinemZu- sammenhang steht, zu bestrafen, wenn auch nur mit Geld, hätte keinen Sinn. Wegen dieser Vernachlässigung der Schuld hat auch die Polizeistrafe im Vergleich zur eigentlichen Strafe (und bei gleicher Höhe) eine geringere ethische Bedeutung: Das Verschulden des Bestraften ist damit nicht festgestellt und abgemessen. Man kann vielleicht noch einwenden, daß die Strafe nicht die einzige Reaktion gegen Unrecht sei, daß (abgesehen von dem unmittelbaren Zwang, der, wie wir annehmen, versagt) auch die privatrechtliche Schadenersatzpflicht auf der Voraussetzung einer Rechtswidrigkeit beruht und daher das Verhalten, welches die Voraussetzung der Entschädigungspflicht bildet, als rechtswidrig charakterisiert. Das ist nicht unrichtig: Wer wegen schuldhafter Körperverletzung zu Schadenersatz an den Verletzten verurteilt wird, ist damit auch als der verantwortliche Urheber einer Rechts- widrigkeit gekennzeichnet. Aber doch nur einer Rechtswidrigkeit gegenüber dem Verletzten, die also nur geltend gemacht wird, wenn der Verletzte es haben will (und es tun kann); zufällig also, nach der subjektiven Entschließung des Verletzten, und nicht unbedingt und notwendig, wie es die Folge der Verletzung eines unbedingt und notwendig verpflichtenden Rechtssatzes des öffent- lichen Rechtes sein muß. Wenn der Gesetzgeber das Verbot formell in zwingender Weise ohne Rücksicht auf die Entschließung einer Privatperson verbindlich machen will, kann er die Antwort auf die Übertretung nicht von einer solchen zufälligen Entschließung ab- hängig machen. — Und ferner: Wenn es die Antwort der Rechts- ordnung auf die Schuld sein soll, kann die Wiedergutmachung des Täters nicht nach dem Schaden des Verletzten abgemessen werden; das ist keine Strafe mehr. Wird aber der Schuldige verpflichtet, dem Verletzten mehr zu leisten nach der Schwere seines Vergehens (etwa wie im Wergeld-System), so mag das eine Strafe sein; aber es bleibt widerspruchsvoll, daß die Übertretung eines Satzes, der ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten (auch der Ver- letzten) gelten soll, durch eine Leistung an den Verletzten, die der

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/313>, abgerufen am 24.11.2024.