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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Erzwingung des Rechts.

Es gibt nun zwar im heutigen Recht Strafen, die kein Ver-
schulden zur Voraussetzung haben; die also nicht die Verantwort-
lichkeit des Täters geltend machen; man nennt das etwa Ordnungs-
strafen und das damit getroffene Unrecht Ordnungswidrigkeit oder
auch Polizeiunrecht1. Solche Strafandrohungen werden auf der
Erwägung beruhen, daß die umständliche Ermittlung des Ver-
schuldens und des wirklich Schuldigen mit der Schwere der Über-
tretung nicht im richtigen Verhältnis stehen würde; aber wenn sie
auch vom Nachweis des Verschuldens absehen, so werden sie doch
immer darauf gerichtet sein, den wahrscheinlichen Schuldigen zu
treffen, wenn nicht unmittelbar, so doch mittelbar, z. B. indem

unbedingt geboten hat, Achtung zu verschaffen, auch wenn kein anderer
Verletzter da wäre als die unpersönliche Rechtsordnung. Vgl. die etwas
matte Verteidigung des Vergeltungsgedankens durch Köhler, Der Ver-
geltungsgedanke und seine praktische Bedeutung (1909). Wenn z. B.
H. Meyer, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 7. A. (Allfeld [1912]), 5,
sagt: "Daß die Gesamtheit den Einzelnen in der Strafe ein Übel erleiden
läßt, kann nicht anders gerechtfertigt werden als damit, daß er selbst der
Gesamtheit ein Übel zugefügt hat", so erinnert das doch bedenklich an die
persönliche Rache: Der Verletzte soll befugt sein, Übel mit Übel zu ver-
gelten. Jeder Verletzte? Jedes Übel? Ähnlich die Lehre Bierlings von
der Strafe als Satisfaktionszwang, a. a. O. 363 ff.; Ad. Merkel, Gesammelte
Abhandlungen I 1ff. Vgl. dagegen Stahl, Philosophie des Rechts II 1, 167.
Max Scheler, Der Formalismus in der Ethik, 215. -- Demgegenüber sage
ich: Der Staat, als der Mehrer des Rechts, muß die Übertretung der
Normen,
die er mit zwingendem Charakter aufgestellt hat, auch mit
Strafe ahnden, weil sonst sein Gebot oder Verbot, wo die Übertretung
nicht verhindert werden kann, keinen Sinn hätte. Was er gebieten oder
verbieten solle, ist eine andere Frage; aber er muß diese Frage zusammen
mit der anderen erwägen: was er verhindern oder mit Strafe bedrohen
wolle. Daß diese beiden begrifflich bestimmten Gedanken zusammen-
gehören (die zwingende Norm und die Bestrafung ihrer Übertretung), ist
zu betonen.
1 Die Terminologie ist allerdings nicht einheitlich; aber der hier
wesentliche Unterschied ist eben der im Text verwendete: Wenn die Strafe
die Form ist, in welcher die Verantwortlichkeit für Rechtswidrigkeiten gel-
tend gemacht wird, entsteht die Frage, wie das Gesetz eine "Strafe" ohne
Rücksicht auf das Verschulden verhängen kann. Daß im positiven Recht
noch andere Unterschiede erheblich sein können, soll damit nicht geleugnet
werden. -- Auch Polizeiunrecht ist Unrecht; vgl. Liszt, Lehrbuch des
deutschen Strafrechts, 23. A. (1921) 119; M. Goldschmidt, Das Verwal-
tungsstrafrecht (1902) 548ff.; Binding, Normen, 2. A., II 319.
Die Erzwingung des Rechts.

Es gibt nun zwar im heutigen Recht Strafen, die kein Ver-
schulden zur Voraussetzung haben; die also nicht die Verantwort-
lichkeit des Täters geltend machen; man nennt das etwa Ordnungs-
strafen und das damit getroffene Unrecht Ordnungswidrigkeit oder
auch Polizeiunrecht1. Solche Strafandrohungen werden auf der
Erwägung beruhen, daß die umständliche Ermittlung des Ver-
schuldens und des wirklich Schuldigen mit der Schwere der Über-
tretung nicht im richtigen Verhältnis stehen würde; aber wenn sie
auch vom Nachweis des Verschuldens absehen, so werden sie doch
immer darauf gerichtet sein, den wahrscheinlichen Schuldigen zu
treffen, wenn nicht unmittelbar, so doch mittelbar, z. B. indem

unbedingt geboten hat, Achtung zu verschaffen, auch wenn kein anderer
Verletzter da wäre als die unpersönliche Rechtsordnung. Vgl. die etwas
matte Verteidigung des Vergeltungsgedankens durch Köhler, Der Ver-
geltungsgedanke und seine praktische Bedeutung (1909). Wenn z. B.
H. Meyer, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 7. A. (Allfeld [1912]), 5,
sagt: „Daß die Gesamtheit den Einzelnen in der Strafe ein Übel erleiden
läßt, kann nicht anders gerechtfertigt werden als damit, daß er selbst der
Gesamtheit ein Übel zugefügt hat“, so erinnert das doch bedenklich an die
persönliche Rache: Der Verletzte soll befugt sein, Übel mit Übel zu ver-
gelten. Jeder Verletzte? Jedes Übel? Ähnlich die Lehre Bierlings von
der Strafe als Satisfaktionszwang, a. a. O. 363 ff.; Ad. Merkel, Gesammelte
Abhandlungen I 1ff. Vgl. dagegen Stahl, Philosophie des Rechts II 1, 167.
Max Scheler, Der Formalismus in der Ethik, 215. — Demgegenüber sage
ich: Der Staat, als der Mehrer des Rechts, muß die Übertretung der
Normen,
die er mit zwingendem Charakter aufgestellt hat, auch mit
Strafe ahnden, weil sonst sein Gebot oder Verbot, wo die Übertretung
nicht verhindert werden kann, keinen Sinn hätte. Was er gebieten oder
verbieten solle, ist eine andere Frage; aber er muß diese Frage zusammen
mit der anderen erwägen: was er verhindern oder mit Strafe bedrohen
wolle. Daß diese beiden begrifflich bestimmten Gedanken zusammen-
gehören (die zwingende Norm und die Bestrafung ihrer Übertretung), ist
zu betonen.
1 Die Terminologie ist allerdings nicht einheitlich; aber der hier
wesentliche Unterschied ist eben der im Text verwendete: Wenn die Strafe
die Form ist, in welcher die Verantwortlichkeit für Rechtswidrigkeiten gel-
tend gemacht wird, entsteht die Frage, wie das Gesetz eine „Strafe“ ohne
Rücksicht auf das Verschulden verhängen kann. Daß im positiven Recht
noch andere Unterschiede erheblich sein können, soll damit nicht geleugnet
werden. — Auch Polizeiunrecht ist Unrecht; vgl. Liszt, Lehrbuch des
deutschen Strafrechts, 23. A. (1921) 119; M. Goldschmidt, Das Verwal-
tungsstrafrecht (1902) 548ff.; Binding, Normen, 2. A., II 319.
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[297/0312] Die Erzwingung des Rechts. Es gibt nun zwar im heutigen Recht Strafen, die kein Ver- schulden zur Voraussetzung haben; die also nicht die Verantwort- lichkeit des Täters geltend machen; man nennt das etwa Ordnungs- strafen und das damit getroffene Unrecht Ordnungswidrigkeit oder auch Polizeiunrecht 1. Solche Strafandrohungen werden auf der Erwägung beruhen, daß die umständliche Ermittlung des Ver- schuldens und des wirklich Schuldigen mit der Schwere der Über- tretung nicht im richtigen Verhältnis stehen würde; aber wenn sie auch vom Nachweis des Verschuldens absehen, so werden sie doch immer darauf gerichtet sein, den wahrscheinlichen Schuldigen zu treffen, wenn nicht unmittelbar, so doch mittelbar, z. B. indem 1 1 Die Terminologie ist allerdings nicht einheitlich; aber der hier wesentliche Unterschied ist eben der im Text verwendete: Wenn die Strafe die Form ist, in welcher die Verantwortlichkeit für Rechtswidrigkeiten gel- tend gemacht wird, entsteht die Frage, wie das Gesetz eine „Strafe“ ohne Rücksicht auf das Verschulden verhängen kann. Daß im positiven Recht noch andere Unterschiede erheblich sein können, soll damit nicht geleugnet werden. — Auch Polizeiunrecht ist Unrecht; vgl. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 23. A. (1921) 119; M. Goldschmidt, Das Verwal- tungsstrafrecht (1902) 548ff.; Binding, Normen, 2. A., II 319. 1 unbedingt geboten hat, Achtung zu verschaffen, auch wenn kein anderer Verletzter da wäre als die unpersönliche Rechtsordnung. Vgl. die etwas matte Verteidigung des Vergeltungsgedankens durch Köhler, Der Ver- geltungsgedanke und seine praktische Bedeutung (1909). Wenn z. B. H. Meyer, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 7. A. (Allfeld [1912]), 5, sagt: „Daß die Gesamtheit den Einzelnen in der Strafe ein Übel erleiden läßt, kann nicht anders gerechtfertigt werden als damit, daß er selbst der Gesamtheit ein Übel zugefügt hat“, so erinnert das doch bedenklich an die persönliche Rache: Der Verletzte soll befugt sein, Übel mit Übel zu ver- gelten. Jeder Verletzte? Jedes Übel? Ähnlich die Lehre Bierlings von der Strafe als Satisfaktionszwang, a. a. O. 363 ff.; Ad. Merkel, Gesammelte Abhandlungen I 1ff. Vgl. dagegen Stahl, Philosophie des Rechts II 1, 167. Max Scheler, Der Formalismus in der Ethik, 215. — Demgegenüber sage ich: Der Staat, als der Mehrer des Rechts, muß die Übertretung der Normen, die er mit zwingendem Charakter aufgestellt hat, auch mit Strafe ahnden, weil sonst sein Gebot oder Verbot, wo die Übertretung nicht verhindert werden kann, keinen Sinn hätte. Was er gebieten oder verbieten solle, ist eine andere Frage; aber er muß diese Frage zusammen mit der anderen erwägen: was er verhindern oder mit Strafe bedrohen wolle. Daß diese beiden begrifflich bestimmten Gedanken zusammen- gehören (die zwingende Norm und die Bestrafung ihrer Übertretung), ist zu betonen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/312>, abgerufen am 24.11.2024.