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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
"verbrecherischen" Handlungen sein könnten, ist also nicht unsere
Meinung; sie werden es sicher sein, wenn sie psychologisch richtig
gewählt sind. Aber sie sind nicht geeignet, ein Verhalten als rechts-
widrig zu charakterisieren, das nach sachlicher Erwägung und in
folgerichtiger Durchführung einer gegebenen Rechtsordnung not-
wendig als rechtswidrig bezeichnet und behandelt werden muß.

Daß dies aber in unserer Rechtsordnung notwendig ist, ist
leicht einzusehen: Alle die Einrichtungen des öffentlichen Rechts,
die den Menschen von Geburt an in seinen wichtigsten Interessen
von Amts wegen schützen sollen, das "zwingende" Familienrecht,
der öffentlich-rechtliche Schutz der Sachenrechte, die Erziehungs-
und Unterrichtsvorschriften, die Armenunterstützung und die Ver-
waltungspolizei zum Schutz der Gesundheit und des Lebens hätten
keinen Sinn, wären in sich widerspruchsvoll, wenn es jedem er-
laubt
sein sollte, die anderen zu töten, verstümmeln oder der
Krankheit auszusetzen, sofern er sich nichts daraus machte, kürzere
oder längere Zeit "verwahrt" oder "gebessert" zu werden. Wenn
das grundsätzlich erlaubt sein soll, wie kann die Rechtsordnung
Eltern, Behörden, Arbeitgeber, Unternehmer und andere Personen
verpflichten, alle die Rücksichten auf das Wohlergehen der Mit-
menschen zu nehmen und, wo sie es kann, mit präventivem Zwange
darauf hinwirken, daß sie erfüllt werden? Und wenn sie das tut,
kann sie dann ohne flagranten Widerspruch die anderen, vielleicht
schwereren Eingriffe in Gesundheit und Leben, die sie zufällig
nicht verhindern kann, als erlaubt hingehen lassen und die Be-
gehung mit "administrativen" Maßnahmen quittieren?

Was also in unbedingter Weise verboten oder geboten werden
soll, läßt sich nicht allgemeingültig feststellen, sowenig wie irgend
ein Rechtsinhalt; es läßt sich deshalb auch nicht allgemein-
gültig bestimmen, was strafbar ist und was nicht. Aber allgemein-
gültig, weil mit dem Begriff des Rechtes gegeben, läßt sich sagen,
daß alles, was unbedingt verboten (oder geboten) wird und nicht
zwangsweise verhindert (oder bewirkt) werden kann, wenn be-
wußtermaßen ausgeführt, auch mit Strafe bedacht werden muß1.

1 Mit "Vergeltung" ist diese Forderung nicht ganz richtig charakte-
risiert; gewiß soll in der Strafe ein Ausgleich liegen, aber daß der Staat
diesen Ausgleich vornehmen muß, ergibt sich nicht aus der unbestimmten
Forderung einer Vergeltung, sondern aus der Notwendigkeit, dem, was er

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
„verbrecherischen“ Handlungen sein könnten, ist also nicht unsere
Meinung; sie werden es sicher sein, wenn sie psychologisch richtig
gewählt sind. Aber sie sind nicht geeignet, ein Verhalten als rechts-
widrig zu charakterisieren, das nach sachlicher Erwägung und in
folgerichtiger Durchführung einer gegebenen Rechtsordnung not-
wendig als rechtswidrig bezeichnet und behandelt werden muß.

Daß dies aber in unserer Rechtsordnung notwendig ist, ist
leicht einzusehen: Alle die Einrichtungen des öffentlichen Rechts,
die den Menschen von Geburt an in seinen wichtigsten Interessen
von Amts wegen schützen sollen, das „zwingende“ Familienrecht,
der öffentlich-rechtliche Schutz der Sachenrechte, die Erziehungs-
und Unterrichtsvorschriften, die Armenunterstützung und die Ver-
waltungspolizei zum Schutz der Gesundheit und des Lebens hätten
keinen Sinn, wären in sich widerspruchsvoll, wenn es jedem er-
laubt
sein sollte, die anderen zu töten, verstümmeln oder der
Krankheit auszusetzen, sofern er sich nichts daraus machte, kürzere
oder längere Zeit „verwahrt“ oder „gebessert“ zu werden. Wenn
das grundsätzlich erlaubt sein soll, wie kann die Rechtsordnung
Eltern, Behörden, Arbeitgeber, Unternehmer und andere Personen
verpflichten, alle die Rücksichten auf das Wohlergehen der Mit-
menschen zu nehmen und, wo sie es kann, mit präventivem Zwange
darauf hinwirken, daß sie erfüllt werden? Und wenn sie das tut,
kann sie dann ohne flagranten Widerspruch die anderen, vielleicht
schwereren Eingriffe in Gesundheit und Leben, die sie zufällig
nicht verhindern kann, als erlaubt hingehen lassen und die Be-
gehung mit „administrativen“ Maßnahmen quittieren?

Was also in unbedingter Weise verboten oder geboten werden
soll, läßt sich nicht allgemeingültig feststellen, sowenig wie irgend
ein Rechtsinhalt; es läßt sich deshalb auch nicht allgemein-
gültig bestimmen, was strafbar ist und was nicht. Aber allgemein-
gültig, weil mit dem Begriff des Rechtes gegeben, läßt sich sagen,
daß alles, was unbedingt verboten (oder geboten) wird und nicht
zwangsweise verhindert (oder bewirkt) werden kann, wenn be-
wußtermaßen ausgeführt, auch mit Strafe bedacht werden muß1.

1 Mit „Vergeltung“ ist diese Forderung nicht ganz richtig charakte-
risiert; gewiß soll in der Strafe ein Ausgleich liegen, aber daß der Staat
diesen Ausgleich vornehmen muß, ergibt sich nicht aus der unbestimmten
Forderung einer Vergeltung, sondern aus der Notwendigkeit, dem, was er
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[296/0311] II. Teil. Die staatliche Verfassung. „verbrecherischen“ Handlungen sein könnten, ist also nicht unsere Meinung; sie werden es sicher sein, wenn sie psychologisch richtig gewählt sind. Aber sie sind nicht geeignet, ein Verhalten als rechts- widrig zu charakterisieren, das nach sachlicher Erwägung und in folgerichtiger Durchführung einer gegebenen Rechtsordnung not- wendig als rechtswidrig bezeichnet und behandelt werden muß. Daß dies aber in unserer Rechtsordnung notwendig ist, ist leicht einzusehen: Alle die Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die den Menschen von Geburt an in seinen wichtigsten Interessen von Amts wegen schützen sollen, das „zwingende“ Familienrecht, der öffentlich-rechtliche Schutz der Sachenrechte, die Erziehungs- und Unterrichtsvorschriften, die Armenunterstützung und die Ver- waltungspolizei zum Schutz der Gesundheit und des Lebens hätten keinen Sinn, wären in sich widerspruchsvoll, wenn es jedem er- laubt sein sollte, die anderen zu töten, verstümmeln oder der Krankheit auszusetzen, sofern er sich nichts daraus machte, kürzere oder längere Zeit „verwahrt“ oder „gebessert“ zu werden. Wenn das grundsätzlich erlaubt sein soll, wie kann die Rechtsordnung Eltern, Behörden, Arbeitgeber, Unternehmer und andere Personen verpflichten, alle die Rücksichten auf das Wohlergehen der Mit- menschen zu nehmen und, wo sie es kann, mit präventivem Zwange darauf hinwirken, daß sie erfüllt werden? Und wenn sie das tut, kann sie dann ohne flagranten Widerspruch die anderen, vielleicht schwereren Eingriffe in Gesundheit und Leben, die sie zufällig nicht verhindern kann, als erlaubt hingehen lassen und die Be- gehung mit „administrativen“ Maßnahmen quittieren? Was also in unbedingter Weise verboten oder geboten werden soll, läßt sich nicht allgemeingültig feststellen, sowenig wie irgend ein Rechtsinhalt; es läßt sich deshalb auch nicht allgemein- gültig bestimmen, was strafbar ist und was nicht. Aber allgemein- gültig, weil mit dem Begriff des Rechtes gegeben, läßt sich sagen, daß alles, was unbedingt verboten (oder geboten) wird und nicht zwangsweise verhindert (oder bewirkt) werden kann, wenn be- wußtermaßen ausgeführt, auch mit Strafe bedacht werden muß 1. 1 Mit „Vergeltung“ ist diese Forderung nicht ganz richtig charakte- risiert; gewiß soll in der Strafe ein Ausgleich liegen, aber daß der Staat diesen Ausgleich vornehmen muß, ergibt sich nicht aus der unbestimmten Forderung einer Vergeltung, sondern aus der Notwendigkeit, dem, was er

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/311>, abgerufen am 22.11.2024.