Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Erzwingung des Rechts.
nicht zwingende, private Recht. Allein dieses Ergebnis scheint
mit dem positiven Recht schlecht übereinzustimmen. Im positiven
Recht nämlich wird auch die Verletzung gewisser privater Rechte
in dem Sinne vom Gesetze verboten, daß sie, wenn möglich, von
Amts wegen verhindert wird und, für den anderen Fall (der Nicht-
verhinderung), unter öffentliche Strafe gestellt wird. Die dinglichen
Rechte
nämlich genießen diesen Schutz, vorab das Eigentum1.
Und doch ist das Eigentum ein Privatrecht, auf das der Berechtigte
verzichten kann und dessen Verteidigung der willkürlichen Ent-
schließung des Berechtigten anheimgestellt wird. Wie kann das
Gesetz von Amts wegen eine Norm gegen Eingriffe schützen, deren
Rechtswidrigkeit vom zufälligen Willen einer Privatperson abhängt?

Die Schwierigkeit löst sich auf, wenn wir uns der Eigenart
der dinglichen Rechte, der Sachenrechtsordnung, erinnern. Die
dinglichen Rechte stehen zwar in der Verfügung einer Privatperson
als subjektive Privatrechte; sie können aber nur deshalb zur Ver-
fügung des Berechtigten stehen, weil das Gesetz dafür sorgt, daß
dem Berechtigten diese Verfügungsmacht ungestört bewahrt
bleibe (vgl. oben, S. 30). Es ist also nicht von ungefähr, daß der
Staat von Amts wegen die Eingriffe in diese Sphäre verhindert
oder, wenn ihm die Verhinderung nicht gelungen, bestraft; es ist
die notwendige Voraussetzung einer dinglichen, sachenrechtlichen
Ordnung überhaupt.

Es scheint allerdings so, als ob hier das Gesetz eine Norm von
Amts wegen durchführte, deren Verbindlichkeit, in concreto, ab-
hängig ist vom Verhalten eines Privaten: sobald der Eigentümer
dem Eingriff des unberechtigten Dritten zustimmt, ist der Eingriff
ja berechtigt. Aber eben das ist es, was die dingliche Ordnung
herstellen will: die Verfügungsgewalt des Berechtigten, und dazu
ist ebenso nötig, daß der Berechtigte auf sein Recht verzichten,
den zunächst unberechtigten Eingriff also durch seine Zustimmung
legitimieren könne, wie daß, ohne seine Zustimmung, der Eingriff
verboten sei, d. h. daß er nicht nur die Voraussetzung eines Ersatz-
anspruches sei, sondern von Amts wegen verhindert werde; sonst
hinge es vom Willen jedes Dritten ab, das "Recht" des Eigentümers

1 Was Jhering, Der Zweck im Recht I 475, übersieht; aber auch
die Schwere der Verletzung ist nicht allein entscheidend, wie Dahn, Die
Vernunft im Recht (1879) 171, meint.

Die Erzwingung des Rechts.
nicht zwingende, private Recht. Allein dieses Ergebnis scheint
mit dem positiven Recht schlecht übereinzustimmen. Im positiven
Recht nämlich wird auch die Verletzung gewisser privater Rechte
in dem Sinne vom Gesetze verboten, daß sie, wenn möglich, von
Amts wegen verhindert wird und, für den anderen Fall (der Nicht-
verhinderung), unter öffentliche Strafe gestellt wird. Die dinglichen
Rechte
nämlich genießen diesen Schutz, vorab das Eigentum1.
Und doch ist das Eigentum ein Privatrecht, auf das der Berechtigte
verzichten kann und dessen Verteidigung der willkürlichen Ent-
schließung des Berechtigten anheimgestellt wird. Wie kann das
Gesetz von Amts wegen eine Norm gegen Eingriffe schützen, deren
Rechtswidrigkeit vom zufälligen Willen einer Privatperson abhängt?

Die Schwierigkeit löst sich auf, wenn wir uns der Eigenart
der dinglichen Rechte, der Sachenrechtsordnung, erinnern. Die
dinglichen Rechte stehen zwar in der Verfügung einer Privatperson
als subjektive Privatrechte; sie können aber nur deshalb zur Ver-
fügung des Berechtigten stehen, weil das Gesetz dafür sorgt, daß
dem Berechtigten diese Verfügungsmacht ungestört bewahrt
bleibe (vgl. oben, S. 30). Es ist also nicht von ungefähr, daß der
Staat von Amts wegen die Eingriffe in diese Sphäre verhindert
oder, wenn ihm die Verhinderung nicht gelungen, bestraft; es ist
die notwendige Voraussetzung einer dinglichen, sachenrechtlichen
Ordnung überhaupt.

Es scheint allerdings so, als ob hier das Gesetz eine Norm von
Amts wegen durchführte, deren Verbindlichkeit, in concreto, ab-
hängig ist vom Verhalten eines Privaten: sobald der Eigentümer
dem Eingriff des unberechtigten Dritten zustimmt, ist der Eingriff
ja berechtigt. Aber eben das ist es, was die dingliche Ordnung
herstellen will: die Verfügungsgewalt des Berechtigten, und dazu
ist ebenso nötig, daß der Berechtigte auf sein Recht verzichten,
den zunächst unberechtigten Eingriff also durch seine Zustimmung
legitimieren könne, wie daß, ohne seine Zustimmung, der Eingriff
verboten sei, d. h. daß er nicht nur die Voraussetzung eines Ersatz-
anspruches sei, sondern von Amts wegen verhindert werde; sonst
hinge es vom Willen jedes Dritten ab, das „Recht“ des Eigentümers

1 Was Jhering, Der Zweck im Recht I 475, übersieht; aber auch
die Schwere der Verletzung ist nicht allein entscheidend, wie Dahn, Die
Vernunft im Recht (1879) 171, meint.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0306" n="291"/><fw place="top" type="header">Die Erzwingung des Rechts.</fw><lb/>
nicht zwingende, private Recht. Allein dieses Ergebnis scheint<lb/>
mit dem positiven Recht schlecht übereinzustimmen. Im positiven<lb/>
Recht nämlich wird auch die Verletzung gewisser privater Rechte<lb/>
in dem Sinne vom Gesetze verboten, daß sie, wenn möglich, von<lb/>
Amts wegen verhindert wird und, für den anderen Fall (der Nicht-<lb/>
verhinderung), unter öffentliche Strafe gestellt wird. Die <hi rendition="#b">dinglichen<lb/>
Rechte</hi> nämlich genießen diesen Schutz, vorab das Eigentum<note place="foot" n="1">Was <hi rendition="#g">Jhering,</hi> Der Zweck im Recht I 475, übersieht; aber auch<lb/>
die Schwere der Verletzung ist nicht allein entscheidend, wie <hi rendition="#g">Dahn,</hi> Die<lb/>
Vernunft im Recht (1879) 171, meint.</note>.<lb/>
Und doch ist das Eigentum ein Privatrecht, auf das der Berechtigte<lb/>
verzichten kann und dessen Verteidigung der willkürlichen Ent-<lb/>
schließung des Berechtigten anheimgestellt wird. Wie kann das<lb/>
Gesetz von Amts wegen eine Norm gegen Eingriffe schützen, deren<lb/>
Rechtswidrigkeit vom zufälligen Willen einer Privatperson abhängt?</p><lb/>
              <p>Die Schwierigkeit löst sich auf, wenn wir uns der Eigenart<lb/>
der dinglichen Rechte, der Sachenrechtsordnung, erinnern. Die<lb/>
dinglichen Rechte stehen zwar in der Verfügung einer Privatperson<lb/>
als subjektive Privatrechte; sie können aber nur deshalb zur Ver-<lb/>
fügung des Berechtigten stehen, weil das Gesetz dafür sorgt, daß<lb/>
dem Berechtigten diese Verfügungsmacht ungestört bewahrt<lb/>
bleibe (vgl. oben, S. 30). Es ist also nicht von ungefähr, daß der<lb/>
Staat von Amts wegen die Eingriffe in diese Sphäre verhindert<lb/>
oder, wenn ihm die Verhinderung nicht gelungen, bestraft; es ist<lb/>
die notwendige Voraussetzung einer dinglichen, sachenrechtlichen<lb/>
Ordnung überhaupt.</p><lb/>
              <p>Es scheint allerdings so, als ob hier das Gesetz eine Norm von<lb/>
Amts wegen durchführte, deren Verbindlichkeit, in concreto, ab-<lb/>
hängig ist vom Verhalten eines Privaten: sobald der Eigentümer<lb/>
dem Eingriff des unberechtigten Dritten zustimmt, ist der Eingriff<lb/>
ja berechtigt. Aber eben das ist es, was die dingliche Ordnung<lb/>
herstellen will: die Verfügungsgewalt des Berechtigten, und dazu<lb/>
ist ebenso nötig, daß der Berechtigte auf sein Recht verzichten,<lb/>
den zunächst unberechtigten Eingriff also durch seine Zustimmung<lb/>
legitimieren könne, wie daß, ohne seine Zustimmung, der Eingriff<lb/>
verboten sei, d. h. daß er nicht nur die Voraussetzung eines Ersatz-<lb/>
anspruches sei, sondern von Amts wegen verhindert werde; sonst<lb/>
hinge es vom Willen jedes Dritten ab, das &#x201E;Recht&#x201C; des Eigentümers<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0306] Die Erzwingung des Rechts. nicht zwingende, private Recht. Allein dieses Ergebnis scheint mit dem positiven Recht schlecht übereinzustimmen. Im positiven Recht nämlich wird auch die Verletzung gewisser privater Rechte in dem Sinne vom Gesetze verboten, daß sie, wenn möglich, von Amts wegen verhindert wird und, für den anderen Fall (der Nicht- verhinderung), unter öffentliche Strafe gestellt wird. Die dinglichen Rechte nämlich genießen diesen Schutz, vorab das Eigentum 1. Und doch ist das Eigentum ein Privatrecht, auf das der Berechtigte verzichten kann und dessen Verteidigung der willkürlichen Ent- schließung des Berechtigten anheimgestellt wird. Wie kann das Gesetz von Amts wegen eine Norm gegen Eingriffe schützen, deren Rechtswidrigkeit vom zufälligen Willen einer Privatperson abhängt? Die Schwierigkeit löst sich auf, wenn wir uns der Eigenart der dinglichen Rechte, der Sachenrechtsordnung, erinnern. Die dinglichen Rechte stehen zwar in der Verfügung einer Privatperson als subjektive Privatrechte; sie können aber nur deshalb zur Ver- fügung des Berechtigten stehen, weil das Gesetz dafür sorgt, daß dem Berechtigten diese Verfügungsmacht ungestört bewahrt bleibe (vgl. oben, S. 30). Es ist also nicht von ungefähr, daß der Staat von Amts wegen die Eingriffe in diese Sphäre verhindert oder, wenn ihm die Verhinderung nicht gelungen, bestraft; es ist die notwendige Voraussetzung einer dinglichen, sachenrechtlichen Ordnung überhaupt. Es scheint allerdings so, als ob hier das Gesetz eine Norm von Amts wegen durchführte, deren Verbindlichkeit, in concreto, ab- hängig ist vom Verhalten eines Privaten: sobald der Eigentümer dem Eingriff des unberechtigten Dritten zustimmt, ist der Eingriff ja berechtigt. Aber eben das ist es, was die dingliche Ordnung herstellen will: die Verfügungsgewalt des Berechtigten, und dazu ist ebenso nötig, daß der Berechtigte auf sein Recht verzichten, den zunächst unberechtigten Eingriff also durch seine Zustimmung legitimieren könne, wie daß, ohne seine Zustimmung, der Eingriff verboten sei, d. h. daß er nicht nur die Voraussetzung eines Ersatz- anspruches sei, sondern von Amts wegen verhindert werde; sonst hinge es vom Willen jedes Dritten ab, das „Recht“ des Eigentümers 1 Was Jhering, Der Zweck im Recht I 475, übersieht; aber auch die Schwere der Verletzung ist nicht allein entscheidend, wie Dahn, Die Vernunft im Recht (1879) 171, meint.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/306
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/306>, abgerufen am 22.11.2024.