Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
sätzlich, also in abstrakten Normen festlegt, und alles darin fest-
legt, wird die Rechtsanwendung stets auch die Anwendung einer
abstrakten Regel auf einen konkreten Fall sein, also eine be-
sondere
Anordnung im Verhältnis zur allgemeinen des Gesetzes.
Das Wesentliche aber ist, daß sie bloß die Anwendung bestehender
Rechtssätze ist. Es ist die gebundene Anwendung gegebenen
Rechts auf konkrete (und infolgedessen auch besondere) Tat-
bestände, im Gegensatz zur freien (d. h. nur auf die Vernunft
verwiesenen) Findung neuer Rechtsgrundsätze. Der Gegensatz
von genereller und spezieller Anordnung kennzeichnet nicht das
Verhältnis der formellrechtlichen Verbindlichkeit zweier Anord-
nungen zueinander, sondern das logische Verhältnis ihres Inhaltes:
die spezielle Anordnung verwendet engere Begriffe als die generelle;
Begriffe, die sich denjenigen der generellen unterordnen. Die
Norm, welche aussagt, daß landwirtschaftliche Grundstücke
zum Ertragswert (und die nichtlandwirtschaftlichen zum Ver-
kehrswert) steuerrechtlich einzuschätzen sind, ist spezieller als
die Norm, welche sagt, daß alle Grundstücke zu ihrem wahren
Werte einzuschätzen sind. In welchem formell-rechtlichen Ver-
hältnis sie aber zueinander stehen, geht daraus noch nicht hervor.
Will die speziellere die Anwendung der allgemeineren sein, so
soll sie inhaltlich mit ihr übereinstimmen, d. h. sie darf nichts
anderes vorschreiben, als was die allgemeine Norm vorschreibt,
und diese nur analytisch zergliedern; der Ertragswert muß, für
landwirtschaftliche Grundstücke, der wahre Wert im Sinne jener
allgemeinen Norm sein. Wenn aber einmal (zuständigerweise) auf-
gestellt, ist die anwendende spezielle Anordnung allerdings, weil sie
Recht anwendet, verbindlich, ob sie nun tatsächlich mit der
generellen in Einklang stehe oder nicht. Will dagegen die spe-
zielle Anordnung keine Anwendung der generellen sein, sondern
im Verhältnis zu ihr eine selbständige Rechtssetzung, so kann
sie nur bestimmt sein, die generelle (falls diese, wie wir immer
voraussetzen, vollständig ist) abzuändern, und sie muß, wenn sie
einen Sinn haben soll, jener irgendwie widersprechen. Ob sie
die generelle abändern kann, hängt ab von der Zuständigkeit
der Behörde im Verhältnis zur Behörde, welche die generelle
Norm gesetzt hat, keineswegs aber von dem speziellen Inhalt
jener Norm.

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
sätzlich, also in abstrakten Normen festlegt, und alles darin fest-
legt, wird die Rechtsanwendung stets auch die Anwendung einer
abstrakten Regel auf einen konkreten Fall sein, also eine be-
sondere
Anordnung im Verhältnis zur allgemeinen des Gesetzes.
Das Wesentliche aber ist, daß sie bloß die Anwendung bestehender
Rechtssätze ist. Es ist die gebundene Anwendung gegebenen
Rechts auf konkrete (und infolgedessen auch besondere) Tat-
bestände, im Gegensatz zur freien (d. h. nur auf die Vernunft
verwiesenen) Findung neuer Rechtsgrundsätze. Der Gegensatz
von genereller und spezieller Anordnung kennzeichnet nicht das
Verhältnis der formellrechtlichen Verbindlichkeit zweier Anord-
nungen zueinander, sondern das logische Verhältnis ihres Inhaltes:
die spezielle Anordnung verwendet engere Begriffe als die generelle;
Begriffe, die sich denjenigen der generellen unterordnen. Die
Norm, welche aussagt, daß landwirtschaftliche Grundstücke
zum Ertragswert (und die nichtlandwirtschaftlichen zum Ver-
kehrswert) steuerrechtlich einzuschätzen sind, ist spezieller als
die Norm, welche sagt, daß alle Grundstücke zu ihrem wahren
Werte einzuschätzen sind. In welchem formell-rechtlichen Ver-
hältnis sie aber zueinander stehen, geht daraus noch nicht hervor.
Will die speziellere die Anwendung der allgemeineren sein, so
soll sie inhaltlich mit ihr übereinstimmen, d. h. sie darf nichts
anderes vorschreiben, als was die allgemeine Norm vorschreibt,
und diese nur analytisch zergliedern; der Ertragswert muß, für
landwirtschaftliche Grundstücke, der wahre Wert im Sinne jener
allgemeinen Norm sein. Wenn aber einmal (zuständigerweise) auf-
gestellt, ist die anwendende spezielle Anordnung allerdings, weil sie
Recht anwendet, verbindlich, ob sie nun tatsächlich mit der
generellen in Einklang stehe oder nicht. Will dagegen die spe-
zielle Anordnung keine Anwendung der generellen sein, sondern
im Verhältnis zu ihr eine selbständige Rechtssetzung, so kann
sie nur bestimmt sein, die generelle (falls diese, wie wir immer
voraussetzen, vollständig ist) abzuändern, und sie muß, wenn sie
einen Sinn haben soll, jener irgendwie widersprechen. Ob sie
die generelle abändern kann, hängt ab von der Zuständigkeit
der Behörde im Verhältnis zur Behörde, welche die generelle
Norm gesetzt hat, keineswegs aber von dem speziellen Inhalt
jener Norm.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0293" n="278"/><fw place="top" type="header">II. Teil. Die staatliche Verfassung.</fw><lb/>
sätzlich, also in abstrakten Normen festlegt, und alles darin fest-<lb/>
legt, wird die Rechtsanwendung stets auch die Anwendung einer<lb/>
abstrakten Regel auf einen konkreten Fall sein, also eine <hi rendition="#g">be-<lb/>
sondere</hi> Anordnung im Verhältnis zur allgemeinen des Gesetzes.<lb/>
Das Wesentliche aber ist, daß sie bloß die <hi rendition="#g">Anwendung</hi> bestehender<lb/>
Rechtssätze ist. Es ist die <hi rendition="#g">gebundene</hi> Anwendung gegebenen<lb/>
Rechts auf konkrete (und infolgedessen auch besondere) Tat-<lb/>
bestände, im Gegensatz zur <hi rendition="#g">freien</hi> (d. h. nur auf die Vernunft<lb/>
verwiesenen) Findung neuer Rechtsgrundsätze. Der Gegensatz<lb/>
von genereller und spezieller Anordnung kennzeichnet nicht das<lb/>
Verhältnis der formellrechtlichen Verbindlichkeit zweier Anord-<lb/>
nungen zueinander, sondern das logische Verhältnis ihres Inhaltes:<lb/>
die spezielle Anordnung verwendet engere Begriffe als die generelle;<lb/>
Begriffe, die sich denjenigen der generellen unterordnen. Die<lb/>
Norm, welche aussagt, daß <hi rendition="#g">landwirtschaftliche</hi> Grundstücke<lb/>
zum <hi rendition="#g">Ertrags</hi>wert (und die nichtlandwirtschaftlichen zum Ver-<lb/>
kehrswert) steuerrechtlich einzuschätzen sind, ist spezieller als<lb/>
die Norm, welche sagt, daß alle <hi rendition="#g">Grundstücke</hi> zu ihrem wahren<lb/><hi rendition="#g">Werte</hi> einzuschätzen sind. In welchem formell-rechtlichen Ver-<lb/>
hältnis sie aber zueinander stehen, geht <hi rendition="#g">daraus</hi> noch nicht hervor.<lb/>
Will die speziellere die <hi rendition="#g">Anwendung</hi> der allgemeineren sein, so<lb/>
soll sie inhaltlich mit ihr übereinstimmen, d. h. sie darf nichts<lb/>
anderes vorschreiben, als was die allgemeine Norm vorschreibt,<lb/>
und diese nur analytisch zergliedern; der Ertragswert muß, für<lb/>
landwirtschaftliche Grundstücke, der wahre Wert im Sinne jener<lb/>
allgemeinen Norm sein. Wenn aber einmal (zuständigerweise) auf-<lb/>
gestellt, ist die anwendende spezielle Anordnung allerdings, weil sie<lb/>
Recht <hi rendition="#g">anwendet,</hi> verbindlich, ob sie nun tatsächlich mit der<lb/>
generellen in Einklang stehe oder nicht. Will dagegen die spe-<lb/>
zielle Anordnung keine Anwendung der generellen sein, sondern<lb/>
im Verhältnis zu ihr eine selbständige Rechtssetzung, so kann<lb/>
sie nur bestimmt sein, die generelle (falls diese, wie wir immer<lb/>
voraussetzen, vollständig ist) abzuändern, und sie muß, wenn sie<lb/>
einen Sinn haben soll, jener irgendwie widersprechen. Ob sie<lb/>
die generelle abändern kann, hängt ab von der Zuständigkeit<lb/>
der Behörde im Verhältnis zur Behörde, welche die generelle<lb/>
Norm gesetzt hat, keineswegs aber von dem speziellen Inhalt<lb/>
jener Norm.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0293] II. Teil. Die staatliche Verfassung. sätzlich, also in abstrakten Normen festlegt, und alles darin fest- legt, wird die Rechtsanwendung stets auch die Anwendung einer abstrakten Regel auf einen konkreten Fall sein, also eine be- sondere Anordnung im Verhältnis zur allgemeinen des Gesetzes. Das Wesentliche aber ist, daß sie bloß die Anwendung bestehender Rechtssätze ist. Es ist die gebundene Anwendung gegebenen Rechts auf konkrete (und infolgedessen auch besondere) Tat- bestände, im Gegensatz zur freien (d. h. nur auf die Vernunft verwiesenen) Findung neuer Rechtsgrundsätze. Der Gegensatz von genereller und spezieller Anordnung kennzeichnet nicht das Verhältnis der formellrechtlichen Verbindlichkeit zweier Anord- nungen zueinander, sondern das logische Verhältnis ihres Inhaltes: die spezielle Anordnung verwendet engere Begriffe als die generelle; Begriffe, die sich denjenigen der generellen unterordnen. Die Norm, welche aussagt, daß landwirtschaftliche Grundstücke zum Ertragswert (und die nichtlandwirtschaftlichen zum Ver- kehrswert) steuerrechtlich einzuschätzen sind, ist spezieller als die Norm, welche sagt, daß alle Grundstücke zu ihrem wahren Werte einzuschätzen sind. In welchem formell-rechtlichen Ver- hältnis sie aber zueinander stehen, geht daraus noch nicht hervor. Will die speziellere die Anwendung der allgemeineren sein, so soll sie inhaltlich mit ihr übereinstimmen, d. h. sie darf nichts anderes vorschreiben, als was die allgemeine Norm vorschreibt, und diese nur analytisch zergliedern; der Ertragswert muß, für landwirtschaftliche Grundstücke, der wahre Wert im Sinne jener allgemeinen Norm sein. Wenn aber einmal (zuständigerweise) auf- gestellt, ist die anwendende spezielle Anordnung allerdings, weil sie Recht anwendet, verbindlich, ob sie nun tatsächlich mit der generellen in Einklang stehe oder nicht. Will dagegen die spe- zielle Anordnung keine Anwendung der generellen sein, sondern im Verhältnis zu ihr eine selbständige Rechtssetzung, so kann sie nur bestimmt sein, die generelle (falls diese, wie wir immer voraussetzen, vollständig ist) abzuändern, und sie muß, wenn sie einen Sinn haben soll, jener irgendwie widersprechen. Ob sie die generelle abändern kann, hängt ab von der Zuständigkeit der Behörde im Verhältnis zur Behörde, welche die generelle Norm gesetzt hat, keineswegs aber von dem speziellen Inhalt jener Norm.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/293
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/293>, abgerufen am 25.11.2024.