Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Zwingendes und nichtzwingendes Recht. lehre) die Unterscheidung Verwendung finden soll; man wird sichnie über die "richtige" Einteilung der Staatsformen oder der Ver- träge einigen können, wenn man nicht zuerst feststellt, wozu die Unterscheidung verschiedener Staatsformen dienen soll; und ebenso gelangt die Erörterung über die Grenze zwischen dem öffentlichen und dem Privatrecht, so wenig wie über die Gliede- rung des Rechtes überhaupt, zu einem sicheren Ergebnis, wenn man nicht weiß, wozu die Unterscheidung nötig ist1. Solange wir das nicht wissen, kann jeder seine Unterscheidung mit gleich gutem Recht für die richtige halten. Ja, man kann die Frage verständlicherweise gar nicht stellen, 1 In jedem Rechtsbegriff, sagt Stammler, Theorie 313, ist schon die Richtung auf einen möglichen Rechtssatz vorhanden und muß es richtiger- weise sein. M. Rümelin, Rede über Windscheid 6 (1909) 42; Ihering, Scherz und Ernst, 4. A., 344. "Sie (die Begriffe) stehen und fallen mit den Rechtssätzen, denen sie entnommen sind." Vgl. auch Jerusalem, Sozio- logie des Rechts (1925) 65. 2 Und merkwürdig ist, daß bisher niemand diesen Widerspruch be-
merkt zu haben scheint. Die Unklarheit der Frage hat allerdings mancher gefühlt, mit einem gewissen Unbehagen; z. B. Holliger 25, der glaubt, den Inhalt des Begriffes aus seinem Umfange bestimmen zu können; Zwingendes und nichtzwingendes Recht. lehre) die Unterscheidung Verwendung finden soll; man wird sichnie über die „richtige“ Einteilung der Staatsformen oder der Ver- träge einigen können, wenn man nicht zuerst feststellt, wozu die Unterscheidung verschiedener Staatsformen dienen soll; und ebenso gelangt die Erörterung über die Grenze zwischen dem öffentlichen und dem Privatrecht, so wenig wie über die Gliede- rung des Rechtes überhaupt, zu einem sicheren Ergebnis, wenn man nicht weiß, wozu die Unterscheidung nötig ist1. Solange wir das nicht wissen, kann jeder seine Unterscheidung mit gleich gutem Recht für die richtige halten. Ja, man kann die Frage verständlicherweise gar nicht stellen, 1 In jedem Rechtsbegriff, sagt Stammler, Theorie 313, ist schon die Richtung auf einen möglichen Rechtssatz vorhanden und muß es richtiger- weise sein. M. Rümelin, Rede über Windscheid 6 (1909) 42; Ihering, Scherz und Ernst, 4. A., 344. „Sie (die Begriffe) stehen und fallen mit den Rechtssätzen, denen sie entnommen sind.“ Vgl. auch Jerusalem, Sozio- logie des Rechts (1925) 65. 2 Und merkwürdig ist, daß bisher niemand diesen Widerspruch be-
merkt zu haben scheint. Die Unklarheit der Frage hat allerdings mancher gefühlt, mit einem gewissen Unbehagen; z. B. Holliger 25, der glaubt, den Inhalt des Begriffes aus seinem Umfange bestimmen zu können; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0028" n="13"/><fw place="top" type="header">Zwingendes und nichtzwingendes Recht.</fw><lb/> lehre) die Unterscheidung Verwendung finden soll; man wird sich<lb/> nie über die „richtige“ Einteilung der Staatsformen oder der Ver-<lb/> träge einigen können, wenn man nicht zuerst feststellt, wozu die<lb/> Unterscheidung verschiedener Staatsformen dienen soll; und<lb/> ebenso gelangt die Erörterung über die Grenze zwischen dem<lb/> öffentlichen und dem Privatrecht, so wenig wie über die Gliede-<lb/> rung des Rechtes überhaupt, zu einem sicheren Ergebnis, wenn<lb/> man nicht weiß, wozu die Unterscheidung nötig ist<note place="foot" n="1">In jedem Rechtsbegriff, sagt <hi rendition="#g">Stammler,</hi> Theorie 313, ist schon die<lb/> Richtung auf einen möglichen Rechtssatz vorhanden und muß es richtiger-<lb/> weise sein. M. <hi rendition="#g">Rümelin,</hi> Rede über Windscheid <hi rendition="#b">6</hi> (1909) 42; <hi rendition="#g">Ihering,</hi><lb/> Scherz und Ernst, 4. A., 344. „Sie (die Begriffe) stehen und fallen mit den<lb/> Rechtssätzen, denen sie entnommen sind.“ Vgl. auch <hi rendition="#g">Jerusalem,</hi> Sozio-<lb/> logie des Rechts (1925) 65.</note>. Solange<lb/> wir das nicht wissen, kann jeder seine Unterscheidung mit gleich<lb/> gutem Recht für die richtige halten.</p><lb/> <p>Ja, man kann die Frage verständlicherweise gar nicht stellen,<lb/> ohne sich über die Verwendung der gesuchten Unterscheidung<lb/> klar zu sein. Ich kann wohl fragen, wie sich die indirekten Steuern<lb/> von den direkten unterscheiden i. S. des eidgenössischen Garantie-<lb/> gesetzes vom 23. Dezember 1851, oder die Beamten von den Nicht-<lb/> beamten im Sinne des Bundesstrafrechts, und desgleichen kann<lb/> ich fragen, wie sich die öffentlich-rechtlichen von den privatrecht-<lb/> lichen (zivilrechtlichen) Streitigkeiten unterscheiden i. S. der Ge-<lb/> richtsstandnorm des Art. 110 BV oder der Kompetenznorm des<lb/> Art. 64 BV oder im Sinne des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1891<lb/> über die „zivilrechtlichen“ Verhältnisse der Niedergelassenen. Aber<lb/> ich kann nicht ganz allgemein fragen: wie unterscheiden sich die<lb/> öffentlich-rechtlichen von den privatrechtlichen Verhältnissen;<lb/> denn entweder weiß ich, in was sie sich unterscheiden, dann brauche<lb/> ich nicht zu fragen, oder ich weiß es nicht, dann weiß ich auch<lb/> nicht, nach was ich frage. Wie sollte ich auch entscheiden, ob die<lb/> Antwort richtig ist, wenn ich die beiden zu unterscheidenden<lb/> Dinge nicht kenne? Wenn die Antwort selbst erst die Bedeu-<lb/> tung der Frage bestimmen soll?<note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="2">Und merkwürdig ist, daß bisher niemand diesen Widerspruch be-<lb/> merkt zu haben scheint. Die Unklarheit der Frage hat allerdings mancher<lb/> gefühlt, mit einem gewissen Unbehagen; z. B. <hi rendition="#g">Holliger</hi> 25, der glaubt,<lb/> den <hi rendition="#g">Inhalt</hi> des Begriffes aus seinem <hi rendition="#g">Umfange</hi> bestimmen zu können;</note> Wir müssen uns also vor<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [13/0028]
Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
lehre) die Unterscheidung Verwendung finden soll; man wird sich
nie über die „richtige“ Einteilung der Staatsformen oder der Ver-
träge einigen können, wenn man nicht zuerst feststellt, wozu die
Unterscheidung verschiedener Staatsformen dienen soll; und
ebenso gelangt die Erörterung über die Grenze zwischen dem
öffentlichen und dem Privatrecht, so wenig wie über die Gliede-
rung des Rechtes überhaupt, zu einem sicheren Ergebnis, wenn
man nicht weiß, wozu die Unterscheidung nötig ist 1. Solange
wir das nicht wissen, kann jeder seine Unterscheidung mit gleich
gutem Recht für die richtige halten.
Ja, man kann die Frage verständlicherweise gar nicht stellen,
ohne sich über die Verwendung der gesuchten Unterscheidung
klar zu sein. Ich kann wohl fragen, wie sich die indirekten Steuern
von den direkten unterscheiden i. S. des eidgenössischen Garantie-
gesetzes vom 23. Dezember 1851, oder die Beamten von den Nicht-
beamten im Sinne des Bundesstrafrechts, und desgleichen kann
ich fragen, wie sich die öffentlich-rechtlichen von den privatrecht-
lichen (zivilrechtlichen) Streitigkeiten unterscheiden i. S. der Ge-
richtsstandnorm des Art. 110 BV oder der Kompetenznorm des
Art. 64 BV oder im Sinne des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1891
über die „zivilrechtlichen“ Verhältnisse der Niedergelassenen. Aber
ich kann nicht ganz allgemein fragen: wie unterscheiden sich die
öffentlich-rechtlichen von den privatrechtlichen Verhältnissen;
denn entweder weiß ich, in was sie sich unterscheiden, dann brauche
ich nicht zu fragen, oder ich weiß es nicht, dann weiß ich auch
nicht, nach was ich frage. Wie sollte ich auch entscheiden, ob die
Antwort richtig ist, wenn ich die beiden zu unterscheidenden
Dinge nicht kenne? Wenn die Antwort selbst erst die Bedeu-
tung der Frage bestimmen soll? 2 Wir müssen uns also vor
1 In jedem Rechtsbegriff, sagt Stammler, Theorie 313, ist schon die
Richtung auf einen möglichen Rechtssatz vorhanden und muß es richtiger-
weise sein. M. Rümelin, Rede über Windscheid 6 (1909) 42; Ihering,
Scherz und Ernst, 4. A., 344. „Sie (die Begriffe) stehen und fallen mit den
Rechtssätzen, denen sie entnommen sind.“ Vgl. auch Jerusalem, Sozio-
logie des Rechts (1925) 65.
2 Und merkwürdig ist, daß bisher niemand diesen Widerspruch be-
merkt zu haben scheint. Die Unklarheit der Frage hat allerdings mancher
gefühlt, mit einem gewissen Unbehagen; z. B. Holliger 25, der glaubt,
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