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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
die Macht verfügt, sich durchzusetzen; damit ist ihr Geltung ge-
geben; denn nur solche Bestimmungen gelten (siehe oben S. 172).
Werden die Bestimmungen über die Verfassungsrevision befolgt,
so wird die Frage ihrer positiven Geltung nicht praktisch; werden
sie aber nicht befolgt, so werden sie auch nicht hindern, daß die
auf anderem Wege zustande gebrachten Verfassungsgrundsätze gel-
tendes Recht werden. Mit anderen Worten: für die Anhänger der
gegenwärtigen Revisionsbestimmungen gilt es, zu verhindern,
daß sie mißachtet werden; daß auf anderem Wege die Verfassung
verändert werde. Gelingt es, so wird die Frage, ob ordnungs-
widrig aufgestelltes Recht gültig oder nicht gültig sei, nicht prak-
tisch. Kann es aber nicht verhindert werden und hat sich das
neue Recht durchgesetzt und Geltung erhalten, so hat es keinen
Sinn, festzustellen, daß dies in Widerspruch mit den Vorschriften
über die Verfassungsrevision geschehen ist. Es ist geschehen und
das neue Recht erfüllt jetzt alle Voraussetzungen eines geltenden
Rechts. "Hier ist die Wirklichkeit alles, die Form ist nichts",
würde Sieyes sagen. Im einzigen Fall also, wo sich die Revisions-
vorschriften als Gültigkeitsbedingungen, als Mußvorschriften, be-
währen sollten, versagen sie: was im Widerspruch mit ihnen auf-
gestellt wird, ist deswegen nicht ungültig. Und deshalb ist es
widerspruchsvoll, ihnen eine Bedeutung zuzuschreiben, in der sie
sich nicht bewähren können. Der Wortlaut und die systematische
Stellung dieser Bestimmungen in der Verfassungsurkunde lassen
allerdings in der Regel keinen Zweifel, daß sie als Mußvorschriften
gemeint waren; die logische Pflicht des Juristen verwehrt es
ihm aber, ihnen diesen Sinn zuzuschreiben.

Damit soll aber nicht gesagt sein, daß es keinen Sinn habe,
in eine Verfassung Bestimmungen aufzunehmen über die Art, wie
sie revidiert werden soll; im Gegenteil. Es ist nützlich und gut,
daß ein Verfahren angegeben sei, nach dem man gewissermaßen
im allgemeinen Einverständnis zu neuem Verfassungsrecht ge-
langen kann; auch wenn die Verfassung daraus keine Gültigkeits-
bedingungen machen kann. Abgesehen davon, daß die Änderungs-
bestrebungen nach diesem Verfahren jedenfalls nicht strafbar
sein sollen (im Gegensatz zu anderen, die mit Strafe bedacht
werden), ist es zweckmäßig, ein ausführlich geregeltes Verfahren
vorzusehen, um die Verständigung über die Art und Weise des

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
die Macht verfügt, sich durchzusetzen; damit ist ihr Geltung ge-
geben; denn nur solche Bestimmungen gelten (siehe oben S. 172).
Werden die Bestimmungen über die Verfassungsrevision befolgt,
so wird die Frage ihrer positiven Geltung nicht praktisch; werden
sie aber nicht befolgt, so werden sie auch nicht hindern, daß die
auf anderem Wege zustande gebrachten Verfassungsgrundsätze gel-
tendes Recht werden. Mit anderen Worten: für die Anhänger der
gegenwärtigen Revisionsbestimmungen gilt es, zu verhindern,
daß sie mißachtet werden; daß auf anderem Wege die Verfassung
verändert werde. Gelingt es, so wird die Frage, ob ordnungs-
widrig aufgestelltes Recht gültig oder nicht gültig sei, nicht prak-
tisch. Kann es aber nicht verhindert werden und hat sich das
neue Recht durchgesetzt und Geltung erhalten, so hat es keinen
Sinn, festzustellen, daß dies in Widerspruch mit den Vorschriften
über die Verfassungsrevision geschehen ist. Es ist geschehen und
das neue Recht erfüllt jetzt alle Voraussetzungen eines geltenden
Rechts. „Hier ist die Wirklichkeit alles, die Form ist nichts“,
würde Siéyès sagen. Im einzigen Fall also, wo sich die Revisions-
vorschriften als Gültigkeitsbedingungen, als Mußvorschriften, be-
währen sollten, versagen sie: was im Widerspruch mit ihnen auf-
gestellt wird, ist deswegen nicht ungültig. Und deshalb ist es
widerspruchsvoll, ihnen eine Bedeutung zuzuschreiben, in der sie
sich nicht bewähren können. Der Wortlaut und die systematische
Stellung dieser Bestimmungen in der Verfassungsurkunde lassen
allerdings in der Regel keinen Zweifel, daß sie als Mußvorschriften
gemeint waren; die logische Pflicht des Juristen verwehrt es
ihm aber, ihnen diesen Sinn zuzuschreiben.

Damit soll aber nicht gesagt sein, daß es keinen Sinn habe,
in eine Verfassung Bestimmungen aufzunehmen über die Art, wie
sie revidiert werden soll; im Gegenteil. Es ist nützlich und gut,
daß ein Verfahren angegeben sei, nach dem man gewissermaßen
im allgemeinen Einverständnis zu neuem Verfassungsrecht ge-
langen kann; auch wenn die Verfassung daraus keine Gültigkeits-
bedingungen machen kann. Abgesehen davon, daß die Änderungs-
bestrebungen nach diesem Verfahren jedenfalls nicht strafbar
sein sollen (im Gegensatz zu anderen, die mit Strafe bedacht
werden), ist es zweckmäßig, ein ausführlich geregeltes Verfahren
vorzusehen, um die Verständigung über die Art und Weise des

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[216/0231] II. Teil. Die staatliche Verfassung. die Macht verfügt, sich durchzusetzen; damit ist ihr Geltung ge- geben; denn nur solche Bestimmungen gelten (siehe oben S. 172). Werden die Bestimmungen über die Verfassungsrevision befolgt, so wird die Frage ihrer positiven Geltung nicht praktisch; werden sie aber nicht befolgt, so werden sie auch nicht hindern, daß die auf anderem Wege zustande gebrachten Verfassungsgrundsätze gel- tendes Recht werden. Mit anderen Worten: für die Anhänger der gegenwärtigen Revisionsbestimmungen gilt es, zu verhindern, daß sie mißachtet werden; daß auf anderem Wege die Verfassung verändert werde. Gelingt es, so wird die Frage, ob ordnungs- widrig aufgestelltes Recht gültig oder nicht gültig sei, nicht prak- tisch. Kann es aber nicht verhindert werden und hat sich das neue Recht durchgesetzt und Geltung erhalten, so hat es keinen Sinn, festzustellen, daß dies in Widerspruch mit den Vorschriften über die Verfassungsrevision geschehen ist. Es ist geschehen und das neue Recht erfüllt jetzt alle Voraussetzungen eines geltenden Rechts. „Hier ist die Wirklichkeit alles, die Form ist nichts“, würde Siéyès sagen. Im einzigen Fall also, wo sich die Revisions- vorschriften als Gültigkeitsbedingungen, als Mußvorschriften, be- währen sollten, versagen sie: was im Widerspruch mit ihnen auf- gestellt wird, ist deswegen nicht ungültig. Und deshalb ist es widerspruchsvoll, ihnen eine Bedeutung zuzuschreiben, in der sie sich nicht bewähren können. Der Wortlaut und die systematische Stellung dieser Bestimmungen in der Verfassungsurkunde lassen allerdings in der Regel keinen Zweifel, daß sie als Mußvorschriften gemeint waren; die logische Pflicht des Juristen verwehrt es ihm aber, ihnen diesen Sinn zuzuschreiben. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß es keinen Sinn habe, in eine Verfassung Bestimmungen aufzunehmen über die Art, wie sie revidiert werden soll; im Gegenteil. Es ist nützlich und gut, daß ein Verfahren angegeben sei, nach dem man gewissermaßen im allgemeinen Einverständnis zu neuem Verfassungsrecht ge- langen kann; auch wenn die Verfassung daraus keine Gültigkeits- bedingungen machen kann. Abgesehen davon, daß die Änderungs- bestrebungen nach diesem Verfahren jedenfalls nicht strafbar sein sollen (im Gegensatz zu anderen, die mit Strafe bedacht werden), ist es zweckmäßig, ein ausführlich geregeltes Verfahren vorzusehen, um die Verständigung über die Art und Weise des

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/231>, abgerufen am 24.11.2024.