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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Das Verfassungsrecht.
er nach Grundsätzen geführt werden kann, ein Streit über das rich-
tige Recht, über die Gerechtigkeit.

Die meisten Verfassungen enthalten aber Bestimmungen
über ihre eigene Revision. Und zwar will die Verfassung mit
diesen Vorschriften den Weg vorzeichnen, auf dem allein eine
gültige Verfassungsrevision vorgenommen werden kann, gleich-
wie die Vorschriften über den Gesetzgebungsweg angeben, wie
man vorgehen muß, um gültige Gesetze zu machen. Es mag sein,
daß nicht alle Vorschriften über das Revisionsverfahren als we-
sentliche, die Gültigkeit bedingende Vorschriften gemeint sind; im
ganzen soll aber das Verfahren, wie es die Verfassung angibt, der
einzige Weg zur gültigen Änderung der Verfassung sein. Es sind
also nicht bloß sog. Soll-Vorschriften, d. h. Vorschriften, die auf-
gestellt werden in der Meinung, daß jeder andere Weg, zur Revi-
sion zu gelangen, verboten sein soll, als Ordnungsvorschriften;
denn dann müßte jede Abweichung von diesen Vorschriften
strafbar sein, was nicht der Fall ist (vgl. unten S. 286). Es
sind vielmehr sog. Muß-Vorschriften, d. h. Vorschriften, die auf-
gestellt werden in der Meinung, daß sie beobachtet werden müssen,
wenn das Ergebnis gültig, rechtsbeständig sein soll1. Man will
auch nicht ein Verfahren neben anderen möglichen angeben, die
auch zu einem gültigen Ergebnis führen könnten; man will viel-
mehr das Verfahren der Verfassungsrevision bestimmen, in der
Meinung, daß alles, was nicht in diesem Verfahren geschaffen wird,
ungültig sein soll. Das ist der Sinn dieser Revisionsbestimmungen.
Sind sie aber in dieser Meinung aufgestellt, so fragt sich weiter:
kann eine Verfassung, kann ein rechtlicher Erlaß überhaupt über
seine eigene Geltung verfügen? Kann er bestimmen, unter welchen
formellen Bedingungen er allein gültigerweise abgeändert werden
könne? Er kann es offenbar nicht. Sowenig das Gesetz oder die
Verordnung sich selbst in Kraft setzen, d. h. selbst den Rechts-
titel ihrer Verbindlichkeit abgeben können, sowenig können sie
die Bedingungen ihrer Geltung oder Abänderung bestimmen.
Diese Regeln müssen einer über ihnen stehenden Ordnung ent-

1 Ähnlich Kelsen im Archiv für öffentliches Recht 1914, 419; Hildes-
heimer,
Über die Revision moderner Staatsverfassungen (1918) 14;
Walter Schneider, Die Verordnung im Rechtsstaate (Zürcher Diss.
1918, 50).

Das Verfassungsrecht.
er nach Grundsätzen geführt werden kann, ein Streit über das rich-
tige Recht, über die Gerechtigkeit.

Die meisten Verfassungen enthalten aber Bestimmungen
über ihre eigene Revision. Und zwar will die Verfassung mit
diesen Vorschriften den Weg vorzeichnen, auf dem allein eine
gültige Verfassungsrevision vorgenommen werden kann, gleich-
wie die Vorschriften über den Gesetzgebungsweg angeben, wie
man vorgehen muß, um gültige Gesetze zu machen. Es mag sein,
daß nicht alle Vorschriften über das Revisionsverfahren als we-
sentliche, die Gültigkeit bedingende Vorschriften gemeint sind; im
ganzen soll aber das Verfahren, wie es die Verfassung angibt, der
einzige Weg zur gültigen Änderung der Verfassung sein. Es sind
also nicht bloß sog. Soll-Vorschriften, d. h. Vorschriften, die auf-
gestellt werden in der Meinung, daß jeder andere Weg, zur Revi-
sion zu gelangen, verboten sein soll, als Ordnungsvorschriften;
denn dann müßte jede Abweichung von diesen Vorschriften
strafbar sein, was nicht der Fall ist (vgl. unten S. 286). Es
sind vielmehr sog. Muß-Vorschriften, d. h. Vorschriften, die auf-
gestellt werden in der Meinung, daß sie beobachtet werden müssen,
wenn das Ergebnis gültig, rechtsbeständig sein soll1. Man will
auch nicht ein Verfahren neben anderen möglichen angeben, die
auch zu einem gültigen Ergebnis führen könnten; man will viel-
mehr das Verfahren der Verfassungsrevision bestimmen, in der
Meinung, daß alles, was nicht in diesem Verfahren geschaffen wird,
ungültig sein soll. Das ist der Sinn dieser Revisionsbestimmungen.
Sind sie aber in dieser Meinung aufgestellt, so fragt sich weiter:
kann eine Verfassung, kann ein rechtlicher Erlaß überhaupt über
seine eigene Geltung verfügen? Kann er bestimmen, unter welchen
formellen Bedingungen er allein gültigerweise abgeändert werden
könne? Er kann es offenbar nicht. Sowenig das Gesetz oder die
Verordnung sich selbst in Kraft setzen, d. h. selbst den Rechts-
titel ihrer Verbindlichkeit abgeben können, sowenig können sie
die Bedingungen ihrer Geltung oder Abänderung bestimmen.
Diese Regeln müssen einer über ihnen stehenden Ordnung ent-

1 Ähnlich Kelsen im Archiv für öffentliches Recht 1914, 419; Hildes-
heimer,
Über die Revision moderner Staatsverfassungen (1918) 14;
Walter Schneider, Die Verordnung im Rechtsstaate (Zürcher Diss.
1918, 50).
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[213/0228] Das Verfassungsrecht. er nach Grundsätzen geführt werden kann, ein Streit über das rich- tige Recht, über die Gerechtigkeit. Die meisten Verfassungen enthalten aber Bestimmungen über ihre eigene Revision. Und zwar will die Verfassung mit diesen Vorschriften den Weg vorzeichnen, auf dem allein eine gültige Verfassungsrevision vorgenommen werden kann, gleich- wie die Vorschriften über den Gesetzgebungsweg angeben, wie man vorgehen muß, um gültige Gesetze zu machen. Es mag sein, daß nicht alle Vorschriften über das Revisionsverfahren als we- sentliche, die Gültigkeit bedingende Vorschriften gemeint sind; im ganzen soll aber das Verfahren, wie es die Verfassung angibt, der einzige Weg zur gültigen Änderung der Verfassung sein. Es sind also nicht bloß sog. Soll-Vorschriften, d. h. Vorschriften, die auf- gestellt werden in der Meinung, daß jeder andere Weg, zur Revi- sion zu gelangen, verboten sein soll, als Ordnungsvorschriften; denn dann müßte jede Abweichung von diesen Vorschriften strafbar sein, was nicht der Fall ist (vgl. unten S. 286). Es sind vielmehr sog. Muß-Vorschriften, d. h. Vorschriften, die auf- gestellt werden in der Meinung, daß sie beobachtet werden müssen, wenn das Ergebnis gültig, rechtsbeständig sein soll 1. Man will auch nicht ein Verfahren neben anderen möglichen angeben, die auch zu einem gültigen Ergebnis führen könnten; man will viel- mehr das Verfahren der Verfassungsrevision bestimmen, in der Meinung, daß alles, was nicht in diesem Verfahren geschaffen wird, ungültig sein soll. Das ist der Sinn dieser Revisionsbestimmungen. Sind sie aber in dieser Meinung aufgestellt, so fragt sich weiter: kann eine Verfassung, kann ein rechtlicher Erlaß überhaupt über seine eigene Geltung verfügen? Kann er bestimmen, unter welchen formellen Bedingungen er allein gültigerweise abgeändert werden könne? Er kann es offenbar nicht. Sowenig das Gesetz oder die Verordnung sich selbst in Kraft setzen, d. h. selbst den Rechts- titel ihrer Verbindlichkeit abgeben können, sowenig können sie die Bedingungen ihrer Geltung oder Abänderung bestimmen. Diese Regeln müssen einer über ihnen stehenden Ordnung ent- 1 Ähnlich Kelsen im Archiv für öffentliches Recht 1914, 419; Hildes- heimer, Über die Revision moderner Staatsverfassungen (1918) 14; Walter Schneider, Die Verordnung im Rechtsstaate (Zürcher Diss. 1918, 50).

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/228>, abgerufen am 24.11.2024.